Nicht von dieser Welt
David Gilmour auf den Königsplatz München, 29.Juli 2006
Eine gigantische Konstruktion von mindestens 30 Meter Länge, 15 Meter Breite
und 15 Meter Höhe thronte an diesem lauen Sommerabend über der klassizistischen Kulisse des Münchner Königsplatzes.
Etwa 8000 mehr oder minder bekennende Pink Floyd-Jünger, wollten sich ihren kollektiven Späthippie-Erinnerungen hingeben, oder einfach nur ihre emotionale Beziehung zu dieser Musik pflegen.
Selbst die utopischen Eintrittpreise hielten Selbige nicht davor zurück, einen
wahrhaftigen Musikergenie und beileibe keinen "Alten Sack"zu huldigen.
David Gilmours alles zerschneidender Gitarrensound hat sich über drei Jahrzehnte in
das gemeinsame Gedächtnis mehrerer Generationen eingraviert.
Das Pink Floyd lebendig sind, zeigte schließlich auch der singuläre Wiedervereinigungsauftritt bei "Live 8" im Juli vergangenen Jahres.
Ein Ton genügte, um fast in jedem Menschen jenseits der Vierzig verschüttete Erinnerungen
zu erwecken. Die vier Heroen, zusammen 244 Jahre alt waren damals mit Abstand, in ihrer Souveränität die Sensation des Abends.
Roger Waters, Gilmour's ewiger Widersacher schreibt mittlerweile Opern und ist momentan mit dem ewigen Chartalbum The Dark Side Of The Moon allein auf Tour. Kreativkopf Gilmour hingegen geht einen anderen, weiterführenden Weg. Auf seinem neuen Studiowerk On An Island scheint er die bisherige musikalische Entwicklung rückwärts zu durchlaufen.
Von der pompösen Ouvertüre bis hin zu stilleren, melancholischen und spirituellen Songs.
Er ist mit Sicherheit leiser geworden aber keinesfalls unspektakulärer.
Gilmours weltentrückte Stimme erklingt auch an diesem Abend ohne einen Funken Wehmut, sondern mit einem inneren Frieden. Er hat viel erreicht, seine Musik in die Analen gemeißelt und unzählige Menschen auf dieser Erde damit glücklich gemacht.
Das wichtigste aber ist wohl, dass er eine intakte Familie (in diesen Kreisen keine Selbstverständlichkeit) in seinem Rücken weiß, welche mit Ehefrau Polly und den
Kindern der gesamten Show am Bühnenrand beiwohnte.
Sinfonisches Gewaber, Herzschlagen, Kirchenglocken, psychedelische Geräuschfetzen, darüber die pathetische Gitarre in den höchsten Lagen. Fast scheint es, als knüpfe der Meister und seine hochkarätige Begleitmannschaft dort an,
wo die meisten ihn und Pink Floyd zum letzten Mal wahrgenommen haben.
Beim Dinosaurier-Art-Rock der Spätphase, der logistisch wie auch künstlerisch nur noch mit
einem gigantischen materiellen Aufwand zu bewältigen war.
Dabei hat sich kaum etwas geändert, die optisch perfekt ausgeklügelte Licht und Lasershow,
sorgte spätestens beim Sinne-und Rausch-Opus "Echoes" für eine visuelle Bewusstseins-
Erweiterung. Mit diesem Track in seiner vollen Länge, in einer Mischung aus Magie, Energie und Nostalgie, ließ er das verzückte Publikum in fassungsloser Faszination versinken.
Das Konzert splittete sich in zwei Akte, wobei sich der Erste mit Ausnahme der "The Dark Side Of The Moon"-Opener dem vollständigen 1:1 Vortrag des aktuellen "On An Island" Solowerkes widmete.
Nach der Pause, wurden die Nebelmaschinen und Lautstärkeregler hochgedreht, die Laser und die musikalisch historischen Epen, auf die wohl alle gewartet hatten, ausgepackt.
Bei "Shine On You Crazy Diamond" (das Intro übrigens auf Weingläsern angestimmt), blieb
erst gar nicht die Zeit, an einen fernen, gemeinsamen Pink Floyd Auftritt zu denken.
Dafür war Gilmour seinem Publikum umso näher, auch mit seinen wenigen einstudierten deutschen Worten.
Über seine Begleitcombo braucht man wohl auch nicht viele Ausführungen zu machen, zumal
es sich erwartungsgemäß um Spitzenhandwerker in ihrer Branche handelt. Da sind Roxy Music-Gitarrist Phil Manzanera, Keyboarder & Gitarrist Jon Carin,
Superbassist Guy Pratt, Schlagzeuger Steve DiStanislao, Saxophon-Legende Dick Parry
und But Not Least, Pink Floyd Kollege Richard Wright an den Tasten, der an diesem
Abend noch nachträglich seinen sechzigsten Geburtstag feierte, und dafür auch von den
8000 besungen wurde.
Aber trotz überbordender exzellenter Technik, kannte der Abend auch intime Momente, wenn
Gilmour mit jenseits der 60, stimmlich absolut auf der Höhe, an der Akustikgitarre in sich
versunken, erhabene sehnsüchtige Momente heraufbeschwor.
Vielleicht ist es gar ein himmlisches Zeichen, als beim letzten musikalischen Nachruf an
den kürzlich verstorbenen Floyd-Begründer Syd Barrett, die Himmelspforten sich zum
Platzregen öffneten, aber sich danach auch wieder plötzlich verschlossen.
Durchnässt bis auf die Haut, explodierten die Emotionen förmlich, die Szenerie wirkte wie eine Befreiung.
Hier lebte es wieder auf, was höchstens eine handvoll Leute aus dem Publikum Anfang der Siebziger selbst miterlebt haben dürften; das alte Pink Floyd-Live-Feeling.
Nach fast drei Stunden ging mit dem ausufernden Gitarrensoli von "Comfortably Numb"
ein Konzert zu Ende, dessen erstklassiger Sound begeisterte und dessen geniales
Lichtkonzept vom Floyd-Lichtdesigner Mark Brickman eindrucksvoll zeigte, was man ohne
Feuerwerk, Filme und fliegenden Schweinen alles an Effekten erzielen kann.
An diesem denkwürdigen Abend zeigte sich erneut, dass Pink Floyd sofort in bestechender Form Konzerte geben könnten, wenn Gilmour es nur wollte.
Nach diesem Erlebnis beschlich mich ein wenig die Wehmut, vielleicht das letzte von ihm gesehen und gehört zu haben, aber auch ein Glücksgefühl das Konzertereignis des Jahres
miterlebt zu haben.
Um mit Davids standesgemäßen Abschiedsworten zu sprechen: »See you again, anyway, one of these days«.
Und neben mir hörte ich jemanden aus der Menge sagen: »Das ist einfach nicht von dieser Welt!«
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