Flip Grater / Pigalle
Pigalle Spielzeit: 40:14
Medium: CD
Label: Make My Day Records, 2014
Stil: Singer/Songwriter

Review vom 29.03.2014


Boris Theobald
Was macht eine Neuseeländerin in Paris?
Musik.
Aber wieso klingt sie so amerikanisch?
Flip Grater stammt aus Christchurch, hat seit 2006 drei Alben rausgebracht ("Cage For A Song", "Be All And End All", While I'm Awake, I'm At War), kam musikalisch in der Welt umher und entschloss sich schließlich 2013, Paris zu ihrer neuen Heimat zu machen. Mit einer komplett neuen Band nahm sie in den Pigalle-Studios ihr viertes Album auf. Der Name "Pigalle" wurde auch gleich auf das Album gedruckt. Das ist irgendwie ein sympathisches Herkunftssiegel; es markiert eine ganz neue Schaffensphase Flip Graters. Das heißt jedoch nicht, dass ihr Album aus dem Land des Chansons sehr 'französisch' klingen würde. Akkordeon, Violine und sonstige eiffeltürmelig-klischeehafte Straßenmusikeraccessoires fehlen. Zum Glück. Dafür schwingt der wilde Westen mit, aber ganz zahm.
Flip Grater zaubert eine Art Mix aus Indie Folk und Alternative Country - Singer/Songwriterei mit Western-Appeal. Habe ich geschrieben, 'sie zaubert'? Oh ja - es ist ein vortreffliches Gespür für die Magie des Moments, das die Gitarre spielende Sängerin da beweist. Viel Ausdruck ... zart und melancholisch, aber immer ganz bestimmt, nie fragend - das ist das Besondere. Oder, etwas alltagstauglicher ausgedrückt: Sie heult nicht rum; sie sagt uns einfach, warum es ihr schlecht geht. Es sind Songs von gescheiterter Liebe und Gedanken irgendwo zwischen Trauer und Durchhalten. Flip Graters Metaphern zu entschlüsseln, ist die richtige geistige Beschäftigung für schlaflose Nächte mit einem (französischen) Rotwein.
»I'll pick up sticks and braid my hair
until I'm grey and old
And I will take a moment to undress
my only doll
And I will take a moment to address
my weary soul«

("My Only Doll")
Flip Grater zeichnet einige ihrer Songs slow und smooth in die Dunkelheit der Nacht. Zarte Percussion, hier eine Bratsche, da ein Kontrabass, eine akustische Gitarre und eine halbakustische mit deutlichem Country-Twang der hauchzarten Manier. Ob Willie Nelson, der Held der Country-Tandems, den Namen Flip Grater schon mal gehört hat? Mit dem gedankenversunkenen "The Quit" könnte sie ihn ganz sicherlich bezirzen. Oder mit dem süßlichen "Marry Me". Oder mit "The Safety Of The Lights" - das ist kein Song, das ist ein Gefühl. Oder mit "Hymns" - so einfühlsam 'untertrieben', dass das Stück gefühlt fast mehr gesungene Silben als gespielte Noten und Akkorde aufweist. Jeder Griff an die Gitarre ist zu hören, bevor der der Ton erklingt - so nah und intim ist das.
Doch plötzlich sind da auch die Songs, mit denen Flip Grater richtig überrascht. "Diggin' For The Devil" hat mehr Dynamik, pulsiert, und zwar tief - beinahe 'dreckig' tief, unterschwellig bedrohlich. Der Soundtrack für einen modernen Western. Mit Tiefgang statt Colts. Nicht ungeeigneter dafür wäre "My Only Doll" mit seiner verklärt-zerbrechlichen Ausstrahlung. Ziemlich straight durch die Schwingtür des Saloons geht es dagegen mit "Hide And Seek", dem akustisch auffälligsten Song des kompletten Albums. Surreale Trötenklänge, ratschende Percussioninstrumente, eine Art verstimmter Gong. Gleich kommen Henry Fonda und John Wayne ins Bild. Obwohl ... das wäre zu platt, so ist das gar nicht Flip Graters Art. Sie klingt nicht banal, sondern subversiv.
"To The Devil", das Duett mit Gesangsgast Nicolas Ker versucht, mit seiner beschwipsten Melancholie auch in diese Richtung zu gehen. Es ist aber leider kein Highlight geworden. Es erinnert zu sehr an "Summer Wine" von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra, ist aber leider etwas langweilig ausgefallen. Man verschmerzt es, hat das Album dafür doch noch ein herausragendes Highlight zu bieten: "Exit Sign" vereint alles in sich, was die Musik Flip Graters so gespenstisch anziehend macht. Der Song ist nicht schnell, und so minimalistisch arrangiert, dass er im Chorus gar beinahe zu erstarren scheint (jawohl, im Chorus - das sollte man mal gehört haben). Umso markanter sticht diese geniale Bass-Hookline heraus, mit fast frechen Tonsprüngen. Coole Nummer.
Wie die amerikanischen Fiery Blue, die deutsche Andrea Schroeder ... so entpuppt sich auch Flip Grater als Geheimtipp - ein neuseeländischer Geheimtipp aus Paris. Des chansons avec du charme du Far West. Dieses Album klingt wie der Soundtrack zu "High Noon", "Fear And Loathing In Las Vegas", "Pulp Fiction" und "Brokeback Mountain" in einem. Man würde ihn in diesen Filmen in den verqueren und still-nachdenklichen Momenten hören. Oder steckt doch ein wenig Frankreich mit drin, ein bisschen Pigalle in "Pigalle"? Nun ja, etwas Anrüchiges haben Songs wie "The Smell Of Strangers" ja schon.
Line-up:
Flip Grater (guitars, vocals)
Maxime Delpierre (guitars, Chamberlain, juno, casiotone)
Sebastien Gastine (double bass)
Olivier Samouillan (viola, mandolin)
Fabrice Martinez (trumpet, bugle)
Babx (piano, Chamberlain, bass)
Nicolas Ker (vocals)
Mark Kerr (drums, backing vocals)
Frederic Jean (drums)
Alice Lewis, L, Jeanne (backing vocals)
Misc. extra sounds & percussion by Jerome Poulouin, Flip Grater, Maxime Delpierre, Babx
Tracklist
01:The Quiz (3:59)
02:Diggin' For The Devil (3:05)
03:Exit Sign (4:08)
04:Hide And Seek (3:39)
05:Hymns (3:39)
06:Justin Was A Junkie (3:53)
07:My Only Doll (1:36)
08:Marry Me (2:48)
09:The Safety Of The Lights (4:35)
10:The Smell Of Strangers (3:21)
11:To The Devil (5:30)
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