Der Name
Glass Hammer muss fast zwangsläufig fallen, wenn Kritiker über den Retro Prog herfallen. Ist diese Band nur ein weiterer
Yes-Klon, oder die x-te Hommage an die frühen
Genesis? Eine bunt schillernde Seifenblase... ein schöngeistig verhüllter Hauch von einem Nichts? Prog-Kollegen wie die
Flower Kings machen ja eigentlich auch nichts anderes, als den Prog der Siebziger neu aufzugießen? Die Antwort ist wie so oft ein klares Jein!
Wer sich an solch großen Vorbildern abarbeitet und das auch noch gut, muss von vornherein einmal eine hohe Musikalität, 'handwerkliches' Können und die Gabe, große Arrangements zu erschaffen, mitbringen. Dass
Glass Hammer all dies draufhaben, haben sie mit einigen Klasse-Alben bis dato nachdrücklich bewiesen. Mit ihrem neuen Opus "Cor Cordium" - das Herz der Herzen oder das Herz, dass alle anderen in sich birgt - tragen sie die Retro Prog-Schminke allerdings etwas zu dick auf. Man höre sich nur "One Heart" an, und man weiß nicht nur, wer der legitime Ersatz für
Jon Anderson gewesen wäre - nein, man glaubt gar, einem
Yes'schen Abziehbild zu lauschen. Dieses Aha-Erlebnis stellt sich noch mehrmals bei diversen anderen Passagen ein. Es ist wirklich ein Jammer, dass hervorragende Musiker wie
Steve Babb oder
Fred Schendel derart kompromisslos auf Eigenständigkeit verzichten.
Doch das soll hier kein Verriss werden - beileibe nicht! 'Das Herz der Herzen' geht konsequent den mit
If eingeschlagenen Weg weiter und genau dies war durchaus beabsichtigt, wie
Steve Babb zu dem mittlerweile vierzehnten Album der US-Progger ausführt. Auch das Cover ähnelt auf frappierende Weise dem Vorgänger.
Die vier Herren haben ihr untrügliches Gespür für Melodien weiterentwickelt, selbst wenn diese gelegentlich mit einem bombatischen Zuckerguss überdeckt werden. Aber - um eine Metapher zu bemühen - es handelt sich um Zucker und keinen Süßstoff!
Man kann auf "Cor Cordium" eigentlich keinen Schwachpunkt ausmachen: "Nothing Box" ist schön, "Dear Daddy" noch schöner und das gut achtzehnminütige "To Someone" eine Steigerung davon, weil hier einige federleichte Momente für Abwechslungsreichtum sorgen. Anspruchsvolle Unterhaltung ist garantiert, da mag es umso befremdlicher wirken, dass es
Glass Hammer an Mut zur Individualität zu mangeln scheint. Viele Möglichkeiten bleiben schlichtweg ungenutzt, weil
Glass Hammer einfach zu dicht an den Vorbildern zu kleben scheint. Es werden zwar alle Register des Progs der siebziger Jahre (und dies durchaus fulminant) gezogen, aber die neuen, vielleicht sogar wegweisenden Perspektiven bleiben in der schöngeistigen Vergangenheit stecken. Neue inspirierende Momente? Viel zu selten sind sie erkennbar...
Nicht nur
Glass Hammer - ein ganzes Genre scheint am Scheidepunkt angelangt zu sein: Die momentan eingeschlagene Richtung des Retro Prog könnte in einer Sackgasse münden, wie dies kürzlich auch bei
Phideaux zu konstatieren war. Aber man kann ja auch durchaus in Schönheit vergehen... Mit den letzten Ergüssen der großen Vorbilder wie
Yes oder
Asia vermag "Cor Cordium" allerdings locker mithalten. Aber ob das für die Zukunft ausreichend ist...?