Wer bei der aktuellen Tournee der Jan Garbarek Group den so prägnanten Nordic World Jazz des Maestros erwartete, den er auf seinem letzten Studioalbum "In Praise Of Dreams" (bzw. zuvor u.a. mit den erfolgreichen Produktionen "Rites" oder "Visible World") zelebrierte, der hat eine ziemliche Überraschung erlebt. Seither sind ja auch schon reichlich Jahre vergangen und dazwischen statuierte die Live-Doppel-CD "Dresden" (2009) ein deutliches Statement in Sachen Rückkehr zum handfesten Jazz. Wobei sich Garbarek selbst schon lange nicht mehr als Jazzer sieht, sondern seine Musik vor allem mit Ethno-Stylistiken erweitert hat.
Das Konzert im Haus Auensee war das letzte seiner aktuellen Tour, die im Herbst 2009 begann. Neben seinem jahrzehntelangen Weggefährten Rainer Brüninghaus an den Keyboards und am Piano, und dem seit dem Ausfall von Eberhard Weber am Bass agierenden Yuri Daniel, ist im Frühjahr Trilok Gurtu an Schlagzeug und Percussions für Manu Katché mit an Bord, also Dreiviertel der "Dresden"-Besetzung.
Für den RockTimes-Abgesandten aus Franken war es die erste Veranstaltung im Haus Auensee inmitten einer Parklandschaft vor den Toren der Bach-Stadt. Im Foyer gab's Bockwurst, drinnen im Saal Getränke zu cityüblichen Preisen, die Parkgebühr mit 3,50 Euro nahm sich schon recht heftig aus. Das Gebäude kann nächstes Jahr den einhundertsten Geburtstag feiern und hatte mit seinem ausgesprochen schönen Saal genau die richtige Größe für das fast ausverkaufte Konzert. Allerdings boten die enggestellten Plastikklappstühle nicht unbedingt gehobenen Sitzkomfort und, wie Gesprächen zu entnehmen war, wurde es nicht nur diesmal gegen Ende ziemlich 'schattig' im Bau. Beeindruckend leuchtete schon vor Beginn die ganz in nordisch-kühles Blau getauchte Segellandschaft der Bühnenkulisse, die die Vorfreude auf den Ästhetik-Jazz des dreiundsechzigjährigen Schweigers aus Norge mit seinen Kollegen hob.
Ähnlich fulminant wie auf dem Live-Mitschnitt aus der anderen Sachsenmetropole spielte das multinationale Quartett auch hier auf. Nach einem kurzen Intro mit Keyboard-Säuseln feuerte das Sopransaxophon wie ein Schneidbrenner durch den Raum und entfachte ein zweieinhalbstündiges intellektuelles Gewitter voller musikalischer Eruptionen und wenigen Momenten des Innehaltens. Dass hier ein Kollektiv am Werk war und nicht ein Star mit Begleitmusikern, wurde schnell klar. Lang ausgespielte Themen, die selten unter 20 Minuten blieben und mehrfach mit Solo- bzw. Duettexkursionen untergliedert wurden. Passend dazu die sich kaum verändernde Beleuchtung, meist in Pastelltönen.
Stoisch, fast meditativ, verharrten die vier Musiker lange auf ihren Plätzen, in sich versunken, ohne mimische Regung und auch ohne jegliche sichtbare Interaktion untereinander, geschweige denn mit dem konzentriert folgenden Publikum. Gerade mal ein knappes Nicken als Reaktion auf den von Beginn an lautstarken Beifall, der sich am Ende zu tosendem Applaus mit Glücksrufen steigerte. Welche Stücke gespielt wurden, bzw. ineinander übergingen, offenbarte sich nur dem wirklichen Kenner, der mit dem bald 40 Alben umfassenden Backkatalog des Maestros eng vertraut war. Der sich dazu nicht zählende Berichterstatter erhielt von den Soundtechnikern nur die Bestätigung, dass es die gleichen Kompositionen wie bei den letzten Konzerten seien und die deshalb ohne Gewähr nachstehend von dem Auftritt aus Wien am 1. März übernommen wurden (aufgelistet von der dortigen Neuen Presse).
Während sich Garbarek ausschließlich auf ein oft sehr zurückhaltendes Teamplay beschränkte und dabei zwischen Sopran- und Tenorsax wechselte, traten seine Mitmusiker regelmäßig mit längeren Passagen in den Vordergrund. Vor allem Brüninghaus nutzte seinen Freiraum mit Ausflügen in die unterschiedlichsten Stilarten. Er pendelte zwischen fein perlenden Kaskaden, flächigen Soundteppichen und baute lateinamerikanische Themen ein. Recht eindrucksvoll sein 'Call & Response' mit Gurtu. Gegen Ende des Konzerts wechselte er zum Flügel, sein zunächst 'klassisches Spiel' entlud sich in einem fulminanten Klanggewitter. Vor giftgrünem Hintergrund bewies Daniel seine hohen technischen Fertigkeiten auf dem bundlosen Warwick-Bass. Über dem loopenden Grundmotiv improvisierte der Brasilianer solistisch vorwiegend in den hohen Lagen seiner fünf Saiten und mit einer schnellen Folge von Flageolett-Tönen. Insgesamt hat sein Spiel deutlich mehr Groove, als das 'akademische' von Weber. Nicht nur deshalb bewegte sich das Quartett öfters in satten Fusion-Gefilden, bei der dann auch Gurtu die Muskeln spielen ließ.
Der kam gleich zweimal zu ausgiebigen Soloparts auf seinem umfangreichen Percussion-Equipment. Spätestens als er dabei mit Knack- und Schnalzlauten scattend für zusätzliche Rhythmik sorgte, wich die Strenge auch aus den Gesichtern der Musiker und es breitete sich eine vorsichtige Heiterkeit im Saal aus. Der Inder nutzte u.a. das Klangspektrum eines Wassereimers in Verbindung mit Rascheln und Gongs und ließ allmählich eine Dschungelszenerie mit filmreifer Dramaturgie entstehen. Das abschließende Zwiegespräch mit dem mit einer nordischen Seljeflöte eingestiegenen Garbarek hatte ausgesprochen humoristische Momente und der Meister lächelte sogar (einmal) kurz!
Gegen Setende drehte die Band richtig auf, der von Beginn an hervorragende Sound nahm auch deutlich an Lautstärke zu. Statt des eigentlich typischen lyrischen Tons 'schrie' das Sax nun vermehrt, was auf
Dauer dann doch die Nerven beanspruchte und das Adrenalin in die Höhe trieb. Nach einem wahren Beifallssturm zum
Finale kehrten die Musiker zu einer ausgiebigen, entspannt-gefühlsbetonten Zugabe zurück auf die Bühne und entließen dann die begeisterten Fans in die erfrischende sächsische Vorfrühlingsnacht.
Setlist:
Tall Tear Trees
Liquid
YR
Considering The Snail
Transformations
Jodphur
Pygmy Lullaby
Once I Dreamt A Tree Upside Down
Stolt Øli
Mission: To Be Where I Am
RockTimes dankt der MAWI Concert GmbH und Frau Sakel im Haus Auensee für die gute Zusammenarbeit!
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