Wir erinnern uns, 1986, also (gefühlt) etwa Ende vorletzter Woche, brachte Peter Gabriel "So" raus. Tagsdrauf packte er die Koffer, respektive Trucks und begab sich auf Tour. Nicht ohne zuvor seinen Special Guest, den Senegalesen Youssou N'Dour samt Super Etoile de Dakar einzuladen. Außerdem mit an Bord waren Manu Katché mit seinen Drums, Tony Levin mit einem Arsenal an Bässen und Sticks, Gitarrist David Rhodes und Keyboarder David Sancious.
Pünktlich zur jetzt, 2013, anstehenden Tour erscheinen die damals in Athen aufgezeichneten Shows nun auf DVD. Gab es Teile dieser Konzerte zuvor auf dem Film "P.O.V.", so ist die Veröffentlichung in dieser eigenständigen Form, als DVD und Blu-ray, auch außerhalb der nicht ganz billigen "So (25th Anniversary Deluxe Box)" erstmalig. Dabei wurden die Gigs – aus 'drei mach eins' so zusammengeschnitten, dass die fast perfekte Illusion eines einzigen Konzerts entsteht. Wer gerne 'finde den Fehler' spielt, wird an der einen oder anderen Stelle fündig. Puristen können das bemängeln, auch dass die Setlist nicht ganz der damaligen entspricht, ließe sich kritisieren, wenn man denn so fan-atisch sein wollte. Oder aber eine Augenbraue hochziehen vor Erstaunen, dass Perfektionist Gabriel sich tatsächliche auf diese (für seine Verhältnisse) geradezu 'minimalistische' Lösung eingelassen hat...
… mit der, für mein Gefühl und Erinnerungsvermögen, ein sehr authentisch rüberkommendes Dokument gelungen ist. Wenn es tatsächlich möglich ist, ein kleines Bisschen vom Live-Feeling eines Gabriel-Konzerts einzufangen und via Technik zu transportieren, dann wurden hier mindestens 80 von 100 Punkten erreicht. Zumindest war bei mir die Erinnerung an das Gefühl beim und nach dem Konzert in Offenbach, etwa drei Wochen vor diesen Aufzeichnungen, wieder sehr präsent.
Peter Gabriel
Als Intro und Bandvorstellung wurde – entgegen der ursprünglichen Setlist – "This Is The Picture" an den Anfang gestellt, vermischt mit Szenen aus dem Soundcheck. Die fünf Musiker stehen in einer Reihe und hopsen hin und her, die hier umgesetzte 80er-Jahre Choreografie lässt im Nachhinein doch eher schmunzeln, war aber damals gängig. Die Bühne selbst ist relativ schlicht und vor allem dunkel gehalten, ein paar Podeste und die später noch zum speziellen Einsatz kommenden Schwenkarme mit Scheinwerfern. Der Fokus liegt aber ganz stark auf den Protagonisten, neben Gabriel selbst auch seinen Musikern. Die Kameraführung und der Bühnenaufbau sind nicht spektakulär (wie ein paar Jahre später bei "Secret World") aber ausgesprochen solide. Die Kamera fängt das Zusammenspiel der Band wie auch Charakteristika der Einzelmitglieder ein. Ob nun Tony Levin mit wachsweich federnden Knien mit einem seiner Bässe groovend tanzt oder Manu Katché seine Trommeln weich und rhythmisch anschlägt, um dann Augenblicke später Gewehrsalven aus seiner Schießbude abzufeuern, David Sancious scheinbar ungerührt und hochkonzentriert auf den schwarzen und weißen Tasten zaubert oder David Rhodes energisch die Saiten seiner Gitarre beackert.
Tänzerisch, teils gar pantomimisch untermalt Gabriel seinen Gesang und hat eine ganz starke, eigentlich nicht wirklich erklärbare Präsenz. Praktisch ungeschminkt, in schlichter schwarzer Hose und ebensolchem Hemd, mit weißer Jacke, wirkt er eher unscheinbar, wie der nette junge Mann von nebenan. Er marschiert im Stechschritt bei "Games Without Frontiers", wälzt sich verzweifelt auf dem Boden der "Mercy Street", weicht den Angriffen der Scheinwerferarme bei "No Self Control" aus. Aber diese 'Showelemente' sind es gar nicht, die seine Ausstrahlung ausmachen. Für mich ist er einer der faszinierendsten und authentischsten Musiker, einer mit viel Persönlichkeit. Einer, der keine billigen Starallüren braucht. Der sich anmerken lässt, dass ihm beim Stagediving zu "Lay Your Hands On Me" schon auch mulmig ist. Der andere nicht nur neben sich akzeptiert, sondern auch gerne fördert. Seinen Support Youssou 'N Dour beispielsweise. Nicht nur, dass er diesen mitsamt seinen Mitmusikern zu den letzten Songs auf die Bühne holt und mit ihnen zusammen eine sehr warme, erdige und temperamentvolle Version von "In Your Eyes" und zum gemeinsamen Abschluss dann noch "Biko", in einer dieser emotionalen Versionen performt, die bei mir auch heute noch Kloß im Hals und feuchte Augen hervorrufen.
Youssou N'Dour
So wie bei Gabriel-Konzerten die Support-Band den gleichen richtig guten Sound erhält wie er selbst, ist auch auf der DVD das Set des Afrikaners vertreten. Und zwar sowohl als eigenständiger, gleichberechtigter Menüpunkt mit Titelwahl wie auch als Beginn, wenn man 'Play all' wählt. Gabriel sagt ihn an, als einen seiner Lieblingsmusiker. Weltmusik beeinflusste zu dieser Zeit das Werk des Briten stark und die Zusammenarbeit mit dem Senegalesen sollte sich über Jahre hinweg bewähren.
Sehr eigenständig, afrikanisch und mutmaßlich auch ziemlich politisch sind die fünf Songs, die N'Dour mit seiner Band auf die Bühne bringt. Sehr rhythmisch, ritualisiert, Youssou als 'Vorsänger', Band und Publikum als Chor. Durchaus faszinierend aber – zumindest für mich – zunächst auch sperrig und gegen alle Hörgewohnheiten, trotz E-Gitarren und rockigen Einflüssen. Temperamentvoll geht es zu, Tänzerin und Schaukampf zwischen Youssou und seinem Tama-Trommler bereichern die Show und beim letzten Lied, "Sama Dome / My Daughter" kommt erste Vertrautheit mit dieser Musik auf.
Extras
Neben einer 5.1 Audio Version des "Sledgehammer"-Videos, wartet die DVD mit einem Interview mit Paul Gambaccini von Radio 1 aus dem Jahr 1986 auf, in dem Gabriel sich unter anderen ausführlich über seine Ansichten zu Musikvideos äußert. Dass sie für ihn eine eigene Kunstform darstellen. Wovon sich der Käufer auch direkt überzeugen kann, den "Play" wurde hier mit draufgepackt, eine DVD, die schon alleine erhältlich war, mit einem Querschnitt seiner Musikvideos.
Play
Von "Solsbury Hill" und einem "Modern Love"-Promo (bei den Extras) aus den Endsiebzigern bis zu "Growing Up" Anfang der Zweitausender sind hier 23 Original-Videos und weiteres Bonusmaterial draufgepackt.
Kleiner Tipp vorweg – den Menüpunkt 'Introduction' (steht auf off) ruhig auch mal 'on' schalten, dann gibt es kleine Erklärungen oder auch mal Einblicke in die Arbeit an den Videos vorweg. Für Gabriel stellen sie eine eigene Kunstform dar und wenn ich sie heute (wieder-)betrachte, dann zeigen sie nicht nur die Entwicklung über Jahrzehnte, sondern auch die sehr individuellen Handschriften ihrer Schöpfer. Ich greife nur ein paar heraus, immer wieder sehenswert sind sie aber alle!!
"Games Without Frontiers" (1980) – York Tillyer erzeugt Beklemmung mit eindrucksvollen (Schwarz-Weiß-)Bildern – Oly,mpische Spiele , Atomexplosionen und Sequenzen aus "Duck And Cover" (hinter eine Mauer werfen und die Hände übern Kopf – kann sich da noch jemand aus der Schulzeit dran erinnern?).
Selbstredend ist auch "Sledgehammer" (1986), einer der auf MTV am häufigsten gesendeten Clips vertreten, mit ein paar Erläuterungen Gabriels zu den Aufnahmen. (Auf dem SO – Classic Album gibt es das übrigens auch noch in ausführlich.) Diese waren noch mit konventioneller Technik gemacht und die Fische, die ihm um und durch den Kopf schwammen, stanken am zweiten Tag bestialisch. Über das Video selbst noch was zu erzählen, wäre wohl Eulen nach Athen getragen, denn an das Gewusel der Knetmännchen, die tanzenden gerupften Hühner und die collagenartige Darstellung kann sich wahrscheinlich jeder noch erinnern. Verantwortlich für diesen Meilenstein zeichnet Stephen R. Johnson, der ein Jahr später für "Big Time" und 1992 für "Steam" erneut engagiert wurde.
Bei "Biko" (1987) überlagern Kevin Godley und Lol Creme Liveaufnahmen von Gabriel mit dokumentarisch wirkenden Bildern und Filmsequenzen des besungenen südafrikanischen Bürgerrechtlers.
Das surrealistische "Blood Of Eden" (1992) von Nichola Bruce und Michael Coulson mit Sinéad O'Connor lässt mich immer wieder an Frida Kahlos Bildersprache denken, gerade die Hochzeitsszene und die collagenartigen Parts erinnern mich stark an die mexikanische Malerin.
"The Barry Williams Show" (2003) von Sean Penn zeigt ein ganzes Panoptikum grotesker Figuren in dieser fiktiven Talkshow. Ein Sado-Maso-Paar, die Frau, die ein Mann war und die Tochter, die Sex verkauft, sind nur ein paar der skurrilen Gestalten, die um jeden Preis ins Fernsehen wollen.
"Father, Son" (2004) wurde von Tochter Anna Gabriel sehr einfühlsam und liebevoll gestaltet. Gabriel am Flügel wechselt mit Familien-Filmen in Super 8-Optik, die ihn mit seinem Vater und seinem Sohn zeigen. Der Song gewinnt durch die Bilder nur noch mehr an Tiefe und berührt durch die optische Komponente noch mehr.
Extras gibt’s auch hier nochmal, neben weiteren Clips auch die Trailer zu "Secret World Live", "Growing Up Live" sowie "Growing Up Live: A Family Portrait", ein Film seiner Tochter Anna.
Alles in allem eine sehr schöne Veröffentlichung, die Realworld und Eagle Vision da gemeinsam unters Volk bringen. Klar wartet die Fangemeinde ungeduldig auf neues Material, aber zum Überbrücken der Wartezeit, ggf. in Erinnerungen schwelgen oder Vorbereitung auf die in Europa demnächst anstehende 'Back To Front'-Tour in gleicher Besetzung kriegt "Peter Gabriel Live In Athens 1987" von mir eine klare Kaufempfehlung. High End-Audiophile sollten sich vielleicht noch an anderen Stellen kundig machen, ob die Veröffentlichung ihren Ansprüchen und Gerätschaften genügt; mit meinen Normalo-Ohren und -Equipment ist sie auf jeden Fall ein Augen- und Ohrenschmaus!
Line-up:
Manu Katché (drums)
Tony Levin (bass)
David Rhodes (guitar, backing vocals)
David Sancious (keyboards)
Peter Gabriel (vocals and keyboards)
Tracklist |
Disc 1 - Live in Athens:
01:This Is The Picture
02:San Jacinto
03:Shock The Monkey
04:Family Snapshot
05:Intruder
06:Games Without Frontiers
07:No Self Control
08:Mercy Street
09:Family And The Fishing Net
10:Don’t Give Up
11:Solsbury Hill
12:Lay Your Hands On Me
13:Sledgehammer
14:Here Comes The Flood
15:In Your Eyes
16:Biko
Bonusmaterial:
01:Interview with Paul Gambaccini
02:Sledgehammer (5.1 Audio)
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Disc 2 - Play:
01:Father, Son
02:Sledgehammer
03:Blood Of Eden
04:Games Without Frontiers
05:I Don't Remember
06:Big Time
07:Lovetown
08:Red Rain
09:In Your Eyes
10:Don't Give Up
11:The Barry Williams Show
12:Washing Of The Water
13:Biko
14:Kiss That Frog
15:Mercy Street
16:Growing Up
17:Shaking The Tree
18:Shock The Monkey
19:Steam
20:The Drop
21:Zaar
22:Solsbury Hill
23:Digging In The Dirt
Bonusmaterial:
01:Games Without Frontiers (Growing Up Live-Version)
02:Modern Love (1977)
03:The Nest That Sailed The Sky
04:Trailer Growing Up Live: A Family Portrait
05:Trailer Growing Up Live
06:Trailer Secret World Live
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Externe Links:
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