Vor fast genau einem Jahr hatte ich die Hamburg Blues Band an gleicher Stelle, in Berlins angesagtem Quasimodo, genießen dürfen. Damals noch an Gert Langes linker Seite, wie in all in den Jahren zuvor, Deutschlands Ausnahmegitarrist Alex Conti. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass die Konstellation Conti mit dem damaligen Gastmusiker Clem Clempson, sich nicht wiederholen würde. Wie bereits hinlänglich bekannt, haben sich die Wege von Conti und der HBB, warum auch immer, inzwischen getrennt.
Trotzdem hatten die Bluesrocker aus Hamburg am letzten Samstag dafür gesorgt, dass der Club, genau wie damals, erneut brechend voll war. So sicherte ich mir vorzeitig noch einen Frontplatz, der meiner 'Digi' die besten Voraussetzungen ermöglichte, um für unser Magazin reichlich Bilder einzufangen. Die nachschiebenden Fans, die Scheinwerfer und wenig Zugluft ließen schon vorab erste Schweißperlen auf meiner Stirn herumwandern, zumal es anhand des vollen Clubs fast unmöglich war, für nötigen Nachschub an Getränken zu sorgen.
Als die Fans durch Pfeifen, Klatschen und Gebrüll die Band nicht mehr in Ruhe ließen, erlöste die Combo um 22.30 Uhr mit "Rockin' Chair" ihren Anhang und begann den Gig. Schon beim folgenden Song "Make My Day" überzeugte Bandboss Lange mit tiefer kräftiger Stimme und bediente sich gar eines Slideröhrchens! Er zählt für mich zur Spitze der deutschen Rhythmusklampfer, die gerade in der Blues Rock-Szene, immer seltener werden. Eine Fähigkeit, die oftmals unterschätzt wird, zumal wenn man mit solchen Gitarrenheroen wie Clempson zusammen spielt. Dieser legte gleich seine Referenzen offen, wobei die Zielgruppe natürlich wusste, dass er früher bei Humble Pie und Colosseum tätig war.
Sicherlich auch ein Erfolgsrezept der HBB, dass man sich nicht nur mit einer üblichen 3- oder 4 Mann-Band zufrieden gibt, sondern mit Adrian Askew einen Tastenmann der Extraklasse und mit Chris Farlowe noch eine singende Blueslegende präsentiert! Dazu noch die langjährigen Weggefährten von Lange, Basser Michael 'Bexi' Becker und Drummer Hans Wallbaum. Fertig ist die 'Mixtur', die später das Quasimodo noch ins Wanken bringen sollte! Im ersten Set schenkte die Band ihren Zuhörern auch zwei Hörproben ihres neuen Albums "Mad Dog Blues", das eigentlich schon längst auf dem Markt sein sollte. Das ist bisher noch nicht geschehen, doch ich vernahm den allgemeinen Tenor der Fans, dass es mit der Veröffentlichung nun aber an der Zeit ist!
Nach guten 50 Minuten, bei der die neu vorgetragenen Songs reine 'Schmusiblueser' waren, zog Gert nun endlich den Trumpf aus dem Ärmel. Chris Farlowe! Und es war, als ob man einen Gladiator, einen Helden in die Menge warf. Er kam, sah und siegte! Die Fans waren angesichts des Blues-Entertainers schier aus dem Häuschen und Farlowe warf seine ganze Routine in die Waagschale, sorgte wie immer für herzhafte, spaßige Sprüche, einzigartige Grimassen und hatte die Meute in Sekundenschnelle in seinen Bann gezogen. Aber es waren natürlich nicht nur die Showeinlagen des sympathischen Engländers, sondern in erster Linie sein Gesang, der die Fans begeisterte. Zu meiner rechten Seite befand sich eine Familie, die extra aus Mailand nach Berlin flog, um Farlowe die Ehre zu erweisen! Respekt! Wahre Fans!
Ich muss gestehen, dass der in die Jahre gekommene Blueser auch auf mich eine Faszination ausübte. Aber letztlich war es die Gesamtheit der Band, die auf engstem Raum als Sextett dem Publikum gehörig das Adrenalin in die Höhe trieb. Man braucht nicht extra zu erwähnen, dass Farlowe sich alle Freiheiten herausnahm. So leistete er sich den Luxus bei Askew während des Spielens in die Tasten zu greifen. Später schlug er sein Handtuch mehrmals an den Fellen von Wallbaum aus, hielt zwischenzeitlich einen Dialog über Fußball, bestellte 2 Mal »Berlinöör Weiße«, lobte die Fans der Bundeshauptstadt, sowie das einheimische Bier und als er von einem Fan nach Phil Palmer gefragt wurde, antwortete Farlowe in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch: »Ohh it's long, long her. Da hatten wir noch einen Kaiser!«
Die zweite Hälfte des Gigs fing mit "It Ain't Right" und "Can't Last Forever" an. Fast hätte ich vergessen, einige brauchbare Fotos zu machen, so beeindruckend wurden die Songs dargeboten. Die Folge: Ich bekam die Setlist im Nachhinein nicht mehr komplett zusammen. Man sollte sich eben nicht zu sehr ablenken lassen! Doch die Klassiker wie z. B. "Shaky Ground" oder "All Or Nothing" waren jedenfalls dabei. Die Band ließ sich von der sauguten Atmosphäre anstecken und haute den Fans ein Highlight nach dem anderen um die Ohren.
Adrian Askew, den ich zwar schon beim diesjährigen Hamburger Bluesfestival beobachten konnte, überzeugte mich an diesem Abend voll und ganz! Er bereichert die Band ungemein, gilt für mich als absoluter Gewinn und erweitert zudem die Vielfalt der Band! 'Bexi' Becker spielte, immer mit einem Lächeln versehen, einen starken Tieftöner und Wallbaum gab an seiner 'Muckibude' fehlerfrei die Taktvorgaben! Obwohl man auf solche Musiker nicht verzichten kann, standen aber ganz klar Farlowe, Lange und Clempson im Mittelpunkt!
Clempson wechselte mehrmals seine Klampfen, spielt hervorragend Slide und ließ in seinen Soli die große Klasse aufblitzen. Lange, der nicht nur eine markante, rockige Stimme besitzt, führte, in der Mitte der Bühne platziert, immer glänzend Regie, stand mit seinen Kollegen ständig in Kontakt, versprühte eine große Spielfreude und hatte auch kein Problem, seinen Frontplatz mit Farlowe zu teilen! Der alte Haudegen, der früher mit solchen Rockgrößen wie Jimmy Page, Albert Lee oder Charlie Morgan zusammen arbeitete, und dem selbst ein Mick Jagger früher beim Background-Gesang behilflich war, zeigte allen, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört! Man möge ihm wünschen, dass er auch ein paar Heesters-Gene besitzt. Dann werden die Fans auch in den nächsten Jahrzehnten an ihm noch eine Menge Freude haben. Denn eins hat dieses Konzert bewiesen. Chris Farlowe braucht die Bühne, die Clubs, die Fans. Und die Fans wollen auf ihn auch zukünftig nicht verzichten!
Alles im allen war es ein denkwürdiger Rockabend. Das mussten die Norddeutschen auch so empfunden haben, denn als das Quasimodo fast leer war, hörte ich die Band aus dem Backstage, im Chorgesang den Gospelsong "Rain In Your Life" singen. Auch aus der Ferne klang es richtig gut! So lange sich die Band weiterhin in dieser Formation präsentiert, kann ich allen Liebhabern des Blues Rocks nur raten, sie sich unbedingt live reinzuziehen!
Line-up:
Gert Lange (rhythm guitar, vocals)
Chris Farlowe (vocals)
Clem Clempson (lead guitar)
Michael 'Bexi' Becker (bass)
Hans Wallbaum (drums)
Adrian Askew (keyboard, piano)
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