Wie in der Hölle so in Derby…
Da war das letzte Ereignis mit dieser Wahnsinnstruppe aus Britannien gerade mal wenige Stunden her und schon stand fest, dass man eigentlich die von der Band angekündigte »Greatest Show on Earth«, die Aufführung der kompletten "Church of Hell"-Inszenierung als Termin festhalten sollte. Ein paar Tage später kam für mich sogar die persönliche Einladung von der Band und da passte es wie die Faust aufs Auge, dass der Veranstalter des Rommelrock-Festivals eine Fahrt zum Konzert ins englische Derby organisieren wollte. Über die Wochen kristallisierte sich dann eine ganze Busladung von Fans heraus, die den 'Höllentrip' mitmachen wollten. Ebenso schnell nahm die Zahl der verfügbaren Eintrittskarten für die Show ab und mit einem Male hieß es dann auch 'Sold out!' und schon ging das Wehklagen der Langsamen auf Plattformen wie Facebook los. Ganze Grüppchen und Gruppen aus vielen Teilen Europas hatten sich nämlich zusammengetan, um nicht nur dieser Show beizuwohnen, sondern vielleicht sogar einen 'Auftritt' in der an diesem Abend zu erstellenden DVD zu bekommen. Wer sich wie anziehen, schminken oder sogar verkleiden wollte, wurde ebenso diskutiert, wie die Möglichkeit, ein Fantreffen vor der Show zu stemmen. Ich erspare Euch die Details, aber je näher der Tag rückte, desto intensiver konnte man die Vibes spüren. Als quasi letzte Meldung ging dann die Neuigkeit über den Äther, dass fußläufig zu der Location, den Assembly Rooms, im Pub The Standing Order ein speziell gebrautes Hell-Bier mit 6,66 Vol.-% ausgeschenkt werden sollte. Bekanntermaßen sind ja Frontmann David Bower und Gitarrist Kevin Bower Brüder. Weniger bekannt war die Tatsache, dass es einen dritten Bruder gibt, der eine Brauerei besitzt – aber das ist spätestens seit dem vergangenen Wochenende auch kein Geheimnis mehr…
Kaum eine Stunde Schlaf war mir vergönnt gewesen, als der Wecker erbarmungslos zuschlug. Passenderweise hatte ich mich erst gar nicht ins Bett begeben, sondern lediglich unten auf dem Sofa platziert. Ein schneller Kaffee, die Kamera gepackt und noch nicht einmal eine Stunde später gab es schon das erste Bier. Am Treffpunkt, dem für diverse Shows bekannten Rockcafé Jan Hertog im belgischen Maasmechelen, hatten sich die ganz Harten schon am Abend zuvor eingefunden und einfach bis zur Abfahrt weiter gezecht. Eine illustre Truppe fand sich hier ein, hauptsächlich aus dem belgisch-niederländischen Limburg. De Zigeuner hieß dann auch passenderweise der Bus, der uns über Antwerpen und Gent nach Calais zur ersten Fähre des Tages bringen sollte. Sollte, denn daraus wurde nichts. Die Damen und Herren von der Einwanderungsbehörde I.M. Königin Elizabeth II. hatten andere Pläne. Auf der unentwegten Suche nach Illegalen aus Nordafrika wurden schon vor dem Check-in auf französischer Seite des Kanals umfangreiche Kontrollen durchgeführt. Alle raus aus dem Bus (und den paar Dutzend anderen), rein in den Kontrollraum, in die Schlange stellen und so weiter, ganz wie in alten Zeiten am Grenzübergang Marienborn. Allerdings fehlte hier die Humorlosigkeit der damaligen Grenztruppen, denn selbst dem tumbsten Offiziellen war schnell klar, dass diese rund vierzig Metalheads nicht so recht ins Beuteschema passten. Trotzdem war die Fähre weg und es hieß warten. Irgendwann ging es dann doch weiter und wir waren dennoch lange vor dem Einlass an den Assembly Rooms.
Ein paar Fans hatten sich schon vor der Tür versammelt, aber für uns hieß es erst einmal Pressepässe organisieren und vielleicht ein kurzes Schwätzchen mit der Band zu ermöglichen. Der Rest der Zeit wurde mit Essenfassen und/bei einem Besuch des The Standing Order verbracht. Was für ein Pub! Aus einer ehemaligen Bank hat man 1993 eben diese Mischung aus Pub, Restaurant und Sportsbar gemacht. Riesig groß, riesig hoch, mit einer zentralen Bar und natürlich einem 20 Quadratmeter großen TV-Screen, wo gerade der England-France-Test aus dem Six Nations-Cup live übertragen wurde. Die ansonsten eher gesetzte Klientel verriet mit englischer Höflichkeit nicht die Spur eines Befremdens ob der gewaltigen Horde langhaariger 'Schwarzer'. Draußen sah das Straßenbild in der angrenzenden Fußgängerzone geprägt von Fanartikeln des heutigen Headliners aus: T-Shirts und Schriftzüge sowie die ubiquitäre 666. Aber auch aufwändige Verkleidungen konnte man an jeder Ecke entdecken, Dornenkronen zierten nicht wenige Häupter und manch ein Gesicht war passend gebleicht. Alles strömte dann irgendwann in Richtung Eingang, wo gegen 18:30 Uhr endlich die Türen aufgingen und die eisige Kälte des englischen Winters gegen die wohlige Wärme des Theaterfoyers getauscht werden konnte – schließlich waren wir ja auf dem Weg in die Hölle.
Schnell gecheckt, wer denn so den Zugang zum Backstage und dem Graben bewachte und schon mal den Rucksack hinter die Absperrung gebracht. Dann folgte der obligatorische Gang zum Verkaufsstand, wo alle Bands des Abends ihre Devotionalien feilboten. Klare Sache, dass hier das Gedränge groß war, schließlich hatten Hell eine 'limited edition' ihres T-Shirts angekündigt.
Recht zeitig ging es dann auch mit dem ersten Anheizer los. A Thousand Enemies standen als erste auf dem Zettel und man hatte laut Kev Bower sowohl mit dieser Band als auch dem zweiten Support Winterfylleth ein regionales Zeichen setzen wollen. Erstere stammt aus der Region um Derby und Nottingham während zweitere aus dem etwas nördlich gelegenen Manchester kommt. A Thousand Enemies erfreuten sich beim lokal ansässigen Teil des Publikums offensichtlicher Beliebtheit und Frontmann Bane Holland verstand es, den sich noch füllenden Saal durchaus in seinen Bann zu ziehen, nicht zuletzt wegen seines durchaus beeindruckenden Äußeren. Zu ihren Einflüssen zählt die Band Alter Bridge, Black Stone Cherry, Stone Sour oder Trivium, legt aber viel Wert darauf, nicht als Kopierer zu gelten, sondern ihr eigenes Ding zu machen. Wie auch immer, ihr Mix aus Metal und Hard Rock kam gut an und die Jungs ernteten mehr als nur artigen Applaus.
Auch die Truppe von Winterfylleth schien mit ihrer Mischung aus Black Metal/Death Metal und Stoner Rock (gibt es so was?) auf offene Ohren zu stoßen, wenngleich ich zugeben muss, dass die Nummer nix für meines Vaters Sohn war. Immerhin haben die vier Jungs seit ihrer Gründung vor sechs Jahren bereits drei ordentliche Alben auf den Markt gebracht und es gab nicht wenige Zuschauer, die recht firm in Melodie und Text schienen, während ich mich von der Soundwalze in die Bar befördern ließ.
Irgendwann war aber auch das vorbei und die fotografierende Presse zog es schon mal hinter die Absperrung, wo die zentralen Plätze nicht nur begehrt, sondern von der Filmcrew auch noch zusätzlich auf ein Minimum reduziert waren. Ein Kollege aus Derby äußerte seine Verwunderung über diesen Presseandrang, war er es doch gewohnt, üblicherweise das alleinige Hausrecht innezuhaben.
Die altbekannte Ouvertüre erklang und wir konnten das gesamte Setting auf der Bühne noch ein wenig wirken lassen. Da gab es Kirchenfenster mit unzweifelhaften Motiven von Teufel und Verdammnis, Chimären am Bühnenrand, Teufelsfratzen und Pfaffenkanzel – halt eine ordentliche "Church of Hell". Die Betrachtungen wurden aber jäh unterbrochen vom Erscheinen des Master of Ceremonies, der alle anwesenden Sünder aus Belgien, Holland, Skandinavien und nicht zuletzt natürlich Derby einlud, dem Spektakel beizuwohnen. Tim Bowler bestieg als erster sein imposantes Drum-Podest – es sollte der letzte ordentliche Blick sein, den wir von ihm erhaschen konnten – bevor dann die anderen Herren, Andy Sneap und Kev Bower an den Gitarren sowie Tony Speakman am Bass, für die ersten schnellen Töne von "Let Battle Commence" sorgten. Die optische Hauptattraktion in Form des Frontmannes David Bower erschien wenige Augenblicke später mit den Textzeilen »Hello! Good evening! Welcome to the show! […] I bid you welcome to Hell« und ab da waren die nächsten 100 Minuten ein einziges Schauspiel aus Musik, Kostümen, Feuer, Blitz und Donner. Die bösen Vorahnungen höllischer Verdammnis in "On Earth As It Is In Hell" oder die teuflischen Werkzeuge in "The Devil's Deadly Weapon" (so hatte man übrigens auch das spezielle Bier getauft, das es obendrein an der Bar gab) wurden nicht nur durch Bowers an der Grenze zum Wahnsinn klingenden Gesang anschaulich dargestellt, er versteht es ja auch immer wieder, mit seinen Kostümierungen einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Dornenkrone, rote Kontaktlinsen und weißes Gesicht sind bei nahezu allen Darstellungen gleich, aber das Priestergewand, die Kutte des Leichensammlers oder die Peitsche des Geißlers werden von ihm perfektionistisch zur Untermalung der Texte eingesetzt. Von Hause aus Schauspieler (vgl. David Beckford) weiß er um die Wirkung von Gestik und Mimik und zieht jeden Saal binnen Sekunden in seinen Bann. Hier wartete er mit eindrücklichen Überraschungen auf, wie dem überlebensgroßen Teufel, den er auf versteckten Stelzen mit riesigen Hörnern personifizierte und der mit einem nicht minder großen Dreizack seinen Äußerungen Nachdruck verlieh. Und als wäre das noch nicht genug gewesen, versprühten die Zacken am Ende auch noch einen Funkenregen, den er geschickt in Rotation versetzte. Das Licht und der beißende Qualm gaben der Atmosphäre im Saal in der Tat einen höllischen Charakter und auch die Warnung an uns Fotografen, dass wir uns während der Show auf nicht versichertem Terrain befänden, bekam allmählich ein gewisses Gewicht.
Untermalt wurde die Vorstellung Bowers natürlich mit den entsprechenden Beiträgen der musikalischen Mitstreiter. Sneap und Bower hämmerten ein Riff nach dem anderen raus, unterbrachen zwischendurch mit eindrücklichen Soli oder versammelten sich mit Speakman am Bass zu einem headbangenden Trio in einer Ecke der Bühne. Die Choreo war sicher bis ins kleinste Detail einstudiert, wirkte aber angenehm wenig künstlich oder übertrieben. Da ließ dann auch ein kleines 'Gitarrenproblem' den Fortgang nur wenig aufhalten, wenngleich Speakmans Blick in Richtung des Kollegen schon Bände sprach. A propos Speakman, neben dem Fronter ist er sicherlich das dankbarste Motiv für jeden halbwegs ambitionierten Knipser, weiß er doch mit seinen Grimassen, seiner Mimik eindrückliche Akzente zu setzen. Und eine kleine Story am Rande noch: Andy Sneap stand als Teenager schon immer in der ersten Reihe, wenn in den Achtzigern die Urformation von Hell zum Spektakel rief. Der frühere Sänger David Halliday brachte ihm sogar das Gitarrespielen bei. Heute ist Halliday leider tot – man sagt, er habe sich über dem Auseinanderbrechen der Band 1987 das Leben genommen – und Sneap ein gefragter Produzent, und eben auch Gitarrist bei seinen Helden von vor 30 Jahren.
Kommen wir noch einmal zurück auf die Warnung, die man der fotografierenden Zunft schriftlich ausgehändigt hatte, denn mit ein paar Funken aus dem Dreizack kann man natürlich noch keinen Blumentopf gewinnen. Da gab es die fast bedrohend unheimlich wirkende Szene, in der Bower mit einem Kreuz in der Hand die Kanzel betrat und dieses plötzlich Feuer fing. Da explodierte ihm in einer weiteren die Bibel vor der Nase und Band und Publikum wurden nicht nur ein Mal mit einem Funkenregen eingedeckt. Die Chimären am Bühnenrand beherbergten Flammenwerfer, bei denen man Angst um die Decke der Assembly Rooms haben musste und auch die Musiker wurden als lebende Feuerspucker eingesetzt. Natürlich sind das alles keine neuen Erfindungen, aber die Komplexität der Show und gleichzeitig deren Kompaktheit, das Zusammenspiel dieses packenden musikalischen Parts aus der NWoBHM-Ecke mit den optischen, theatralischen Darbietungen war schon etwas Besonderes. Das komplette "Human Remains"-Album wurde vorgetragen, mit all seinen Krachern wie dem bereits erwähnten "On Earth As It Is In Hell", "Save Us From Those Who Would Save Us", "Macbeth" oder "Plague And Fyre" und dazu gab es noch ein paar andere Stücke wie das grandiose "Darkhangel" oder die mehr als passend betitelte Zugabe "Bedtime". Auf jeden Fall lag nach der Show der prozentuale Anteil der berauschten oder zumindest beeindruckten Gesichter bei einem Näherungswert, der gegen 100 tendierte. David Bower konnte man noch lange hinterher an der Barriere sehen, wo er sich ausgiebigst Zeit nahm, den Fotowünschen der Fans zu entsprechen oder ein paar Devotionalien zu signieren. Wir dürfen nach dem "Human Remains"-Album nun sehr gespannt sein, wie die neue Scheibe ausfällt und Kev Bower hat versichert, man würde sie auf jeden Fall als echte Hell-Platte erkennen. Doppelt interessant wird die Veröffentlichung natürlich durch die Bonus-DVD mit dem Mitschnitt der "Greatest Show On Earth…As It Is In Hell" am 23. Februar 2013 in Derby. Und jetzt wird es höchste Eisenbahn, dass wir endlich mal das Debütalbum hier in den Index kriegen.
Herzlichen Dank an Koen vom Rommelrock-Festival für das Organisieren des 37-stündigen Höllentrips sowie an Kev Bower und den Rest von Hell für den Pressepass und die Möglichkeit, ein paar tolle Aufnahmen während einer tollen Show zu machen. Darauf trinken wir beim R-Mine Metalfest in der Tat ein paar Bier!
»No, no, no - nobility's no sanctuary
Flee, flee, flee - the rat's bubonic flea
But the sourge is everywhere, England weeps in her despair
And in misty eyes a cure cannot be seen«
Line-up:
David Bower (vocals)
Andy Sneap (guitar)
Kevin Bower (guitar, keyboards)
Tony Speakman (bass)
Tim Bowler (drums)
Rob Bannister (Master of Ceremonies)
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