Heroina / Same
Heroina Spielzeit: 67:34
Medium: CD
Label: Sireena Records, 2011 (1991)
Stil: Dance Rock


Review vom 06.10.2011


Ulli Heiser
Eine vergessene Perle. Nicht ganz, denn nur das kann vergessen sein, was man mal gekannt hatte. Und die Band Heroina sagte mir bis vor ein paar Tagen absolut nichts. Mein Interesse an dem Album wurde geweckt, nachdem das Label bekannt war: Sireena; ohne Worte …
Zusätzliche Neugierde auch, weil es ein Cover-Album ist und u.a. "Dancing Barefoot" darauf enthalten ist. Patti Smith - da werde ich kribbelig. Überhaupt ist die Mischung der Cover sehr spannend. Neben Patti wären da R.E.M., Stranglers, Sex Pistols, Prince und dann »le môme piaf«, Édith Piaf († Oktober 1963).
Auf Patti und Édith war ich besonders gespannt. Wenn man sich das Leben, welches »der kleine Spatz« mit der großen Stimme führte, so anschaut, dann kann man das schon Rock'n'Roll nennen. Vielleicht mit ein Grund, wieso sie es auf vorliegende Platte geschafft hat. Dass sie es auch wegen ihrer Musik gepackt hätte, steht für mich ebenso außer Frage.
Sireena bewirbt "Heroina" wie folgt: »Dabei entstand eines der tanzbarsten Alben, das jemals aus deutschen Landen frisch auf den Tisch kam. Indierock goes Dancefloor! Das Rezept ging auf: Kaum eine Tanzdiele, die nicht HEROINA präsentierte, übrigens auch im Ausland.«. Anfang der 1990er erschien das Album unter dem Label Strange Ways (Lothar Gärtner ,† 2006), siehe auch folgendes Interview) und außer dieser Platte gibt es keine weitere. Es gab auch nie Live-Konzerte.
Es war einfach ein Projekt der drei Musiker Günther Janssen (Donna Regina), Tobias Gruben († 1996, Cyan Revue, Die Erde) und Matthias Arfmann (Kastrierte Philosophen), in dessen Knochenhaus-Studio auf St. Pauli auch der überwiegende Teil der Aufnahmen entstanden ist. Neben den drei Protagonisten spielten auch immer wieder Gäste mit, wie z.B. Katrin Achinger, Rüdiger Klose, († September 2010) beide Kastrierte Philosophen, Rüdiger ist uns auch von
Mythen In Tüten bekannt) oder der 'Hidden Gentleman'.
Schaut man sich die musikalischen Viten von Günther Janssen aka Gün Yan Sen und Matthias Arfmann an, erklärt sich das Label-Zitat »Indierock goes Dancefloor«. Dazu die Gruft Rock-Vergangenheit von Tobias Gruben und fertig ist der Stil auf diesem Album. Und ich kann verstehen, dass vor nunmehr 20 Jahren die Tanzböden bebten. Leider war meine Zeit in Rock-Discos Ende der 1970er bereits vorbei. Diese Platte hätte auch zu meiner Zeit die Truppen von den Stühlen gefegt. Ganz im morbiden Velvet Underground-Charme sorgen Heroina für einen irren, tranceartigen Groove.
Gleich zu Beginn, beim Stranglers-Cover groovt man sich ein und sofort begeistern die Einsätze des Keyboards. Voll und gewaltig schweben die Tastenklänge immer wieder wie aus dem Off ein und geben dem hypnotischen Drive erste Höhepunkte. Stark auch, wie sich die Gitarre reinrotzt. Aber es wird noch besser werden ...
"The One I Love" behält, ebenso wie Opener und kommende Tracks, immer eine Spur der Originalinterpreten. Erkennbar sind sie; Stil, Ausrichtung und Struktur sind fast unverändert. ABER, Heroina haben ihren eigenen Stempel dick aufgedrückt. Da wird schon mal ein Turntable bemüht, dem Rhythmus eine irre hypnotische Wirkung verpasst und häufig offengelassen, wann das Stück endet. Wenn es das tut, kommt es so abrupt, dass man seine Knochen im sich immer noch im Kopf befindlichen Takt, weiterschüttelt. Den Sex Pistols hat man etwas Geschwindigkeit genommen und wenn ich ehrlich bin, gefällt mir die coole Heroina-Version sogar besser. Ich find, dass dieses Tranceartige die Punk-Attitüde sogar verstärkt. Klingt seltsam, ist aber so.
Nun aber: "Dans Ma Rue". Über neun Minuten Edith Piaf! Das Chanson-Flair ist zu keinem Zeitpunkt zu überhören. Schleppende Percussion, akustische Gitarre, französische Song-Tristesse. Hammer, gerade noch die Sex Pistols und nun die grande petite Madame. Tobias Gruben bringt das stimmlich auch absolut könnerhaft rüber und legt eine enorme Ausdruckskraft an den Tag. Gün Yan Sen, der bei diesem Stück alle Instrumente spielt, sorgt für süchtig machende Percussion und man wünscht sich mindestens zwei Füße mehr zu haben, damit man noch mehr mitgehen kann.
Nun die andere Dame, Patti Smith. "Dancing Barefoot" ist eines der Lieder, deren bloße Namensnennung mich stundenlang beschäftigt, selbiges im Geiste zu singen. Die Heroina-Version ist an Affengeilheit kaum zu überbieten. Zweistimmige Vocals (Gruben, Arfmann), bedeckt, zurückhaltend, auf die Hooks hinarbeitend, dann voller Verve herausschreiend; Keys wie vom anderen Stern, spährisch und trotzdem dezent. Wie sind derzeit die Gänsehautpreise? Vielleicht könnte ich reich werden. Sieben Minuten sind eigentlich eine gute Track-Zeit. Hier jedoch eindeutig zu wenig...
Ich gebe es zu, ich bin mitnichten das, was man einen Prince-Kenner nennen könnte. Sicher, die vier, fünf bekannten Stücke, die die Meisten kennen, sind auch mir im Ohr und gefallen. "The Cross" war mir neu und gleich zu Beginn des Neunminüters erinnert mich die Keyboardmelodie und auch das Getrommel nicht wenig an Iron Butterflys "In-A-Gadda-Da-Vida". Sägend rifft sich die Sechssaitige aus dem Nichts und kotzt dann zeitlupenhafte Wah Wah-Ergüsse auf die Tanzfläche mit den sich wie in Trance bewegenden Körpern, von denen, bei DER Gitarre, sicher mancher an den guten Jimi denken müsste. Diese geile Gitarrenarbeit und irgendwie läuft in einer anderen Gehirnwindung auch der 'eiserne Schmetterling' weiter. Dazu eine Perkussion - dezent und doch so treibend. Den Vocals wird eine psychedelische Komponente beigemischt und schwupps, hat man das Gefühl, sich voll im psychedelischen Kosmos zu befinden. Dazu dieser eigentliche Tanzhallen-Rhythmus. Das ist eine Meisterleistung. Fast körperlicher Schmerz stellt sich ein, wenn die neun Minuten zu Ende sind. Bei "Legalize Cross" muss ich etwas stutzen (nach der Freude, dass es im gleichen Takt weitergeht), denn obwohl als Urheber Heroina selbst angegeben sind - das ist eindeutig eine Fortsetzung des Prince-Tracks. Wahrscheinlich hat die Band selbst bemerkt, dass man gerne noch siebeneinhalb Minuten dranhängen kann. "Legalize Cross" bringt es fertig, den Hörer wieder langsam vom Trip zu holen, indem sie im Verlauf den Hypnose-Tenor zurückfahren und langsam in sphärische Konstrukte übergehen.
Die Original-Platte ist nun zu Ende. Sireena hat ihrer Ausgabe allerdings vier Bonustracks spendiert. Diese Versionen entstammen verschiedenen Quellen (siehe Tracklist). Im Falle von "Dancing Barefoot" handelt es sich um eine Erstveröffentlichung; instrumental, was erstmal ungewohnt ist. Allerdings - und damit auch ein Kompliment an die Original-Interpretation - zeigt dies, wie stark dieses Stück ist. Auch ohne den Text eine geniale Komposition.
Schade, dass es von Heroina kein weiteres Material gibt und dass dieses Projekt einmalig geblieben ist. Daher kann ich jedem nur empfehlen, sich dieses Teil zu besorgen. Es eignet sich zu jeder Zeit zum Eigenverbrauch, aber nicht nur. Damit kann man musikbegeisterten Freunden so manches Rätsel stellen, und ich bin sicher, keine Füße im Raum werden bewegungslos bleiben. Ein tolles und seltenes Stück Musikgeschichte!
Line-up:
Gün Yan Sen (keyboards, guitar, bass)
Matthias Arfmann (DJ., vocals, guitar)
Tobias Gruben (vocals)

Rüdiger Klose (drums - #1,3,6)
Chris Reed (guitar & bass - #1)
Katrin Achinger (vocals - #2,6, bass - #2, keyboards - #3)
Christian Liebsch (saxophone - #3)
Emilio Winschetti aka The Hidden Gentleman (vocals - #6)
Tracklist
01:Skin Deep (4:30) [The Stranglers]
02:The One I Love (5:10) [R.E.M.]
03:Submission (4:17) [Sex Pistols]
04:Dans Ma Rue (9:10) [Édith Piaf]
05:Dancing Barefoot (7:18) [Patti Smith]
06:The Cross (9:05) [Prince]
07:Legalize Cross (7:31)

Bonuns Tracks:
08:The One I Love (Swamprider Version, 3:58) [from the compilation "The Perc Presents the Furious Swampriders"]
09:Skin Deep (Skip Version, 5:32) [from the compilation "The Skip"]
10:Daning Barefoot (Instrumental Version, 7:17) [previously unreleased]
11:The Cross (Radio Version, 3:34) [from the maxi vinyl single "The Cross"]
Externe Links: