Sehr schön! Die "Original Album Classics"-Serie hat sich endlich auch des englischen Rockmusikers Ian Hunter angenommen. In dieser kleineren (drei statt wie zumeist fünf) CD-Box liegen nun die ersten Soloalben des Briten vor, der bis heute aktiv ist und mit "When I'm President" gerade erst sein brandneues Studioalbum vorgelegt hat. Aber lasst uns erstmal einen Blick zurück in die Vergangenheit werfen:
Nachdem die englische Arbeiterklasse-Band Mott The Hoople bereits vier Alben auf dem Markt hatte und dennoch kaum verkaufsmäßige Erfolge aufweisen konnte, wollte sie sich im Jahr 1972 schon auflösen, bevor ihnen der sich als Fan outende David Bowie (ungefragt) zur Seite sprang und mit dem Song "All The Young Dudes" doch noch zu einem schnellen Erfolg verhalf. Leider hielt der aber - trotz weiterer großartiger Alben - auch nicht lange an und 1974 verließ der Frontmann und Hauptsongwriter Ian Hunter schließlich die Truppe, um es - entnervt vom Misserfolg und den endlosen demokratischen Entscheidungsprozessen innerhalb der Band - fortan auf eigene Faust zu versuchen.
Und mit seinem gleichnamigen Debüt aus dem Jahr 1975 legte er erstmal einen richtigen Meilenstein vor. Darauf enthalten ist auch sein wohl größter Hit "Once Bitten, Twice Shy", der ganz sicher jedem an der Rockmusik interessierten Fan ein Begriff sein dürfte und der - über zehn Jahre später - nochmal für die Amerikaner von Great White zu einem richtigen Abräumer werden sollte. Aber die gesamte Scheibe ist - übrigens unterstützt von dem Ex- Bowie-Gitarristen Mick Ronson - sehr stark ausgefallen und verfügt neben dem Opener auch noch über solche Perlen wie etwa "Who Do You Love", "Boy", "I Get So Excited" oder "It Ain't Easy When You Fall", um nur mal ein paar wenige zu nennen. Ganz sicher ein Klassiker der englischen Rockmusik.
Leider ist dieses erste Album das einzige dieser Box, das mit Bonus Tracks ausgestattet wurde. Dafür sind aber immerhin sechs davon am Start, von denen die beiden durchaus starken Outtakes "Colwater High" und "One Fine Day" sicherlich am interessantesten sind, da es sich bei den restlichen drei (dazu das gesprochene Gedicht "Shades Off") um editierte Single-Versionen von Stücken des Albums handelt.
Nach dem Erfolg von "Ian Hunter" zog der Engländer nach New York, wollte mal etwas ganz anderes machen und steuerte seine nächste Scheibe "All American Alien Boy" an, die aber dann - wie er selbst einmal in einem Interview sagte - den Tod seiner kommerziell erfolgreichen Karriere bedeutete. Dabei ist auch diese Scheibe kaum schwächer als ihr Vorgänger, nur eben... ein bisschen anders. Es ging weg vom straighten Rock und Hunter band des Öfteren auch mal jazzige Einflüsse mit ein, war insgesamt sehr experimentierfreudig. Dennoch ist hier die großartige sowie wohl autobiografische Ballade "Irene Wilde" vertreten, einer der absoluten Höhepunkte in Ians gesamtem Back-Katalog.
Aber es waren halt auch eine Klarinette, eine Trompete, Posaune, Saxophon und viele Background-Chöre (sogar dreiviertel der Queen-Mannschaft war am Start) vertreten, wie man hier und da mal das Gefühl hat, dass sich Hunter etwas an David Bowies 1975er-Album "Young Americans" orientiert haben mag. "God (Take 1)" erinnert von der Phrasierung des Gesang doch ganz gehörig an Bob Dylan. Daran mag man sich heute (wie ich) überhaupt nicht mehr stören, aber im Jahr 1976 sah das Empfinden der Fans wohl noch etwas anders aus. Selbst wenn es auch einen straighten Rocker in Form von "Restless Youth" gab und mit "Apathy 83" Hit-Potenzial vorhanden war... die Scheibe fiel bei den Fans damals durch und verkaufte sich eher schlecht als recht.
Nicht nur das (unberechtigte) Scheitern seines letzten Werkes dürfte Hunter für "Overnight Angels" wieder zu seinen Wurzeln zurückgeführt haben, denn im Jahr 1977 saß ihm (neben seiner Plattenfirma) natürlich auch der Punk Rock ganz gehörig im Nacken. Festgehalten werden darf jedenfalls, dass das dritte Album dieser Box wieder wesentlich rockiger und geradeaus ist. Nach dem fetzigen wie enthusiastischen Opener "Golden Opportunity" sollte man sich allerdings trotzdem auf Überraschungen einrichten, denn man muss dem Engländer zu Gute halten, dass er auch hier wieder offen für Neues war. Nach dem starken (einen Gang runtergeschalteten) "Shallow Crystals" sorgte der Sound sowie das Arrangement des Titelsongs einmal mehr für hochgezogene Augenbrauen.
Nach der guten Piano-Ballade "Broadway" klingt Hunters Stimme bei "Justice Of The Peace" geradezu technisch nachbearbeitet und eine Oktave in die Höhe geschraubt. Der Song an sich ist gar nicht mal schlecht, verfügt aber über etwas... mh, seltsame Background Vocals. Ein absoluter Höhepunkt mit einem schon fast unverschämt starken Refrain ist dann aber "(Miss) Silver Dime". Voll zwischen die Lichter gehen fetzigen wie geilen Rocker "Wild N' Free" sowie "England Rocks" (das für das Folgealbum "You're Never Alone With A Schizophrenic" noch einmal als "Cleveland Rocks" aufgenommen wurde), während "The Ballad Of A Little Star" erneut mit einem schönen Piano kommt und "To Love A Woman" ein für Hunter so typischer Midtempo-Rocker mit bombastischem Refrain ist.
Das Label war von "Overnight Angels" nicht sonderlich begeistert und die Scheibe wurde nach weiteren Meinungsverschiedenheiten mit Ian Hunter in den USA erst gar nicht veröffentlicht. Der Musiker selbst zeigte sich im Nachhinein ebenfalls wenig angetan von den zehn Tracks und bezeichnete die Scheibe mal als »...einen Fehler...«. Tatsächlich kommt sie sowohl vom Sound als auch den Songs weniger überzeugend und nicht ganz so stimmig wie die beiden Vorgänger, die zusammen mit "You're Never Alone With A Schizophrenic" (1979) oder "Yui Orta" (1989) - beide übrigens wieder mit dem zurückgekehrten Mick Ronson - zu den besten Solo-Arbeiten in Hunters Karriere gehören.
Aber Ian Hunter hatte eigentlich immer die Qualität, richtig gute Alben abzuliefern, was er auch mit späteren Werken wie Man Overboard (um nur mal ein Beispiel zu nennen) immer wieder bewies.
Abschließed kann man erneut die "Original Album Classics"-Serie loben. (In diesem Fall) Drei volle Alben eines Künstlers in den Original-Covern (allerdings ohne weiteren Luxus) für einen Hammerpreis! Und wer Ian Hunter bisher nicht kannte, sollte hier unbedingt bzw. erst recht zuschlagen!
Line-up
Ian Hunter (rhythm guitars, piano, lead & background vocals)
Mick Ronson (lead guitars, mellotron, organ, mouth organ, bass - CD 1)
Geoff Appleby (bass, background vocals - CD 1)
Dennis Elliott (drums & percussion - CD 1 + CD 3)
Pete Arnesen (piano - CD 1)
Gerry Weems (lead guitars - CD 2)
Jaco Pastorius (bass - CD 2, guitar - CD 2 - #8)
Chris Stainton (piano, organ & mellotron - CD 2, bass - CD 2 - #4)
Aynsley Dunbar (drums - CD 2)
David Sanborn (alto saxophone - CD 2)
Dominic Cortese (accordion - CD 2)
Cornell Dupree (guitar - CD 2 - #1)
Don Alias (congas - CD 2)
Arnie Lawrence (clarinet - CD 2)
Dave Bargeron (trombone - CD 2)
Lewis Soloff (trumpet - CD 2)
Ann E. Sutton (background vocals - CD 2)
Gail Kantor (background vocals - CD 2)
Erin Dickens (background vocals - CD 2)
Freddie Mercury (background vocals - CD 2)
Brian May (background vocals - CD 2)
Roger Meadows Taylor (background vocals - CD 2)
Bob Segarini (background vocals - CD 2)
Earl Slick (lead-, slide- & rhythm guitars - CD 3)
Peter Oxendale (keyboards - CD 3)
Rob Rawlinson (bass & background vocals - CD 3)
Miller Anderson (background vocals - CD 3 - #4)
Lem Lubin (background vocals - CD 3 - #4)
Roy Thomas Baker (percussion - CD 3)
Tracklist |
Ian Hunter:
01:Once Bitten, Twice Shy
02:Who Do You Love
03:Lounge Lizard
04:Boy
05:3,000 Miles From Here
06:The Truth, The Whole Truth, Nuthin' But The Truth
07:It Ain't Easy When You Fall/Shades Off
08:I Get So Excited
Bonus Tracks:
09:Colwater High
10:One Fine Day
11:Once Bitten, Twice Shy (edit)
12:Who Do You Love (edit)
13:Shades Off
14:Boy (edit)
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All American Alien Boy:
01:Letter To Brittania From The Union Jack
02:All American Alien Boy
03:Irene Wilde
04:Restless Youth
05:Rape
06:You Nearly Did Me In
07:Apathy 83
08:God (Take 1)
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Overnight Angels:
01:Golden Opportunity
02:Shallow Crystals
03:Overnight Angels
04:Broadway
05:Justice Of The Peace
06:(Miss) Silver Dime
07:Wild N' Free
08:The Ballad Of Little Star
09:To Love A Woman
10:England Rocks
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Externe Links:
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