Ich wette,
Joe Henry kennen nur wenige unserer
RockTimes-Leser! Auch ich habe ihn erst relativ spät bewusst registriert. Dabei gehört der 1960 geborene Kalifornier aus dem Großraum L.A. zu den wirklich bedeutenden Leuten im Musikbusiness jenseits des Atlantiks. Sein Name begegnet uns auf zahlreichen Alben anderer Künstler, die er für diverse Label produziert hat - z.B.
Bruce Cockburn,
Aimee Mann, Ani DiFranco,
Susan Tedeschi,
Mary Gauthier,
Mose Allison,
Elvis Costello,
Loudon Wainwright III, Allen Touissant. Für
Solomon Burkes bemerkenswertes 2002er Comeback-Album "Don't Give Up On Me",
Ramblin' Jack Elliotts "A Stranger Here" und
Carolina Chocolat Drops' "Genuine Negro Jig" gab es Grammies, mehrere andere Arbeiten unter seiner Leitung wurden dafür nominiert. Dass er mit
Madonnas Schwester verheiratet ist, war sicher nicht der einzige Grund, dass u.a. sie verschiedene von ihm geschriebene Songs aufgenommen hat.
Seine erste eigene Platte war die 1986 selbst produzierte "Talk Of Heaven", seither liefen die Karrieren als Musiker und Produzent parallel, wenngleich zumindest hierzulande von seinen mittlerweile zwölf Soloscheiben weit weniger zu hören war.
"Reverie" hat er in seinem Heimstudio aufgenommen und dabei auch die Umgebungsgeräusche mit eingefangen, wie des Öfteren zu hören ist. Der dürftigen PR-Info nach, wurde das Album zusammen mit der illustren Schar der Gastmusiker innerhalb von drei Tagen aufgenommen, nur der Part von Lisa Hannigan kam später dazu.
Viel 'Vorspann' - und noch kein Wort über die Mucke, die
Henry macht! Seine bisherigen Alben waren lt. 'Waschzettel'
»critically heralded … including 2009's masterful "Blood From Stars"«. Letzteres hab ich auch und das gefällt mir doch etwas besser. Aber mit "Reverie" kann ich nichts anfangen. Die durchgehend melancholisch bis melodramatischen Songs, mit knödelig-nasaler Stimme vorgetragen, haben auch für jemand, der getragene Stimmungen mit akustischen Arrangements mag, nur begrenzten Reiz.
Henry schwelgt mit seinem Album in schräg-nostalgischen Gefilden und häuft dicke Gefühlsschichten auf. Bei mir erzeugt diese gewollte dunkelblaue Plüschigkeit, die wohl irgendwo zwischen
Leonhard Cohen und
Tom Waits vermitteln soll, nur das Bedürfnis, schnell was anderes aufzulegen oder an die Sonne zu gehen. Die Songs sind mit einem künstlichen Rauschen unterlegt, ob
Henry damit das Feeling von alten Schellack- oder Vinyl-Platten imitieren will, bleibt Vermutung. Einzelne Songs haben durchaus ihren Reiz, etwa das puristisch gehaltene, bluesige "Dark Tears" oder "Deathbed Version", aber in der Gesamtheit ist "Reverie" für mich nur schwer durchzuhalten. Die Titel schleppen sich dahin, schicksalsschwanger, gefühlsdräuend, mehr schlechtes Broadway-Cabaret als ordentliches Singer/Songwritertum. Da können auch die oftmals feinen musikalischen Beiträge der Gäste für mich nichts retten, Schmalz bleibt Schmalz.
Ich unterstelle mal, dass ich vielleicht den Charakter dieses Albums nicht verstanden habe. Aber dass das mit Rockmusik auch im weiteren Sinn nichts gemein hat, da bin ich mir sicher.
Der Herr Henry mag ein Ass als Produzent sein, in eigener Sache fehlt ihm wohl die kritische Objektivität. Oder er kann es sich einfach leisten, so was für sich zu machen. Meinetwegen.