Jethro Tull / Live At Montreux 2003
Live At Montreux 2003 Spielzeit: ca. 117 Min.
Medium: DVD
Technik:
DVD 9
Bildformat: 16:9
Dolby Digital Stereo/Dolby Digital Surround 5:1
Ländercode 0
Altersfreigabe ohne Altersbeschränkung
Sprache: Englisch
Label: Eagle Vision, 2007
Stil: Rock

Review vom 24.08.2007


Norbert Neugebauer
»Hier kommt die Ian Anderson-Jethro Tull-Minstrel-Show live aus Montreux!

Meine Damen und Herren, schön, dass Sie hier und zuhause an den Fernsehschirmen sind! Onkel Ian wird Ihnen die guten alten Geschichten von damals noch einmal aufs Feinste vorspielen und dazu herumhüpfen und viele Grimassen schneiden! We are no more 'Living in the Past', aber zeigen Ihnen gleich, was wir damals für tolle Rockmusik gemacht haben. Keine Angst, verehrte Herrschaften, wir sind nicht mehr wild, böse und laut, bleiben Sie einfach entspannt sitzen. Selbst unseren Schlagzeuger haben wir in einen Käfig gesteckt, damit er Sie nicht erschrickt. Wir tun nur noch so ein bisschen wie früher. Aber dafür kriegen Sie alles schön mit in ihren weichen Sesseln und werden von einer extra auf Ihre Bedürfnisse abgestimmten Sound- und Lichtanlage verwöhnt. Aber bitte rauchen Sie nicht.

Als besonderen Gast haben wir eine Sängerin aus Bollywood verpflichtet, die auch noch tanzt. Und unser kleiner stinkender Freund hier mit der Gitarre wird sie mit einem eigenen Stück ergötzen. Es ist ja nicht mehr lang hin bis zum heiligen Fest, deshalb haben wir auch schon eine Weihnachts-CD aufgenommen, aus der wir Ihnen dann etwas präsentieren. Sie können unser Christmas-Album natürlich auch gleich am schön geschmückten Stand im hinteren Teil des Saales erwerben.

Wir fangen zunächst etwas sachte an, damit Sie sich erstmal von unserem völlig ungefährlichen neuen Sound überzeugen können. Da tut nichts weh, da kratzt und scheuert nichts, alles mit feinsten Keyboard-Pölsterchen ausgekleidet, die Kanten sorgfältig entgratet und abgeschliffen. Weder der dicke Bass noch die elektrische Gitarre werden ihnen Magen- oder Ohrenprobleme bereiten. Auch Onkel Ian bleibt schön von der Bühnenkante weg, wenn er ein bisschen grunzt und spuckt. Völlig harmlos!

Wir spielen für Sie ein paar neuere Stücke, aber auch die werden Ihnen bekannt vorkommen. Keine Experimente, kein schräger Ton, den Sie nicht schon kennen. Ein bisschen Jazz haben wir ebenfalls für das Festival einstudiert. Und Pirat Ian mit seinen großen Augen wird Sie auch nicht mehr mit den bösen Sagen von "Aqualung", von "My God" oder vom "Fat Man" in seinen Bann ziehen. Das ist alles nur gemimt, aber bestens geprobt, vertrauen Sie uns.

Wir werden Ihnen auch rechtzeitig sagen, wenn es dann etwas turbulenter zugeht und Herr Barre seine Gitarre lauter aufdreht. Dann dürfen Sie auch über dem Kopf klatschen und am Ende 'Zugabe' rufen. Wir kommen nochmal zurück und spielen ein Abschiedslied für Sie.

Und nun, viel Vergnügen mit Ian Anderson und seiner Jethro Tull-Minstrel-Show beim berühmten Montreux Jazz Festival! «
So Freunde, was nun?
Kollege Jürgen attestiert dem reinen Soundtrack des Auftritts beste Rock-Qualität, ich der audiovisuellen Aufbereitung bestenfalls einen größeren Unterhaltungswert. Erst kürzlich habe ich den Karriere-Abriss mit der Collectors Edition von 2001 ebenfalls schwer gelobt und nun ziehe ich über eine Tull-Show her, die grad mal zwei Jahre jünger ist? Nun weder mein geschätzter Mitredakteur, noch ich, haben etwas auf den Lauschern oder auf den Lichtern und keiner hat (hoffentlich) was an der Waffel!
Wer in der Zwischenzeit die regelmäßigen Auftritte von Ian Anderson mit der Man Doki-Altherren-Truppe im TV oder live gesehen hat, wird sich diese Diskrepanz wohl erklären können. Was Anderson und seine Begleitcombo seinerzeit über weite Strecken in Montreux gemacht haben, hatte mit echter Rockmusik so viel zu tun, wie die dröge Gala "50 Jahre Rock". Show und nichts weiter.
Gut gemacht, keine Frage, but not the 'Heart of Rock'n'Roll', was Jethro Tull da veranstalteten. Da auf der relativ engen Bühne wenig Platz für eine große Ausstattung war, konzentrierte sich alles auf die Mitte und da zappelte Ian Anderson herum. Der Großteil des Zusammenschnitts fokussiert auf ihn, hauptsächlich auf seine hinlänglich bekannten Grimassen und wohl dosierten Hüpfeinlagen. Der Mann ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt und auch der einzige echte Hingucker in der sonst sehr ruhig gestellten Runde, die erst im zweiten Teil der Show aufwacht. Aber irgendwann reichts dann auch mit dieser Visage. Die Umschnitte stimmen aber, es gibt gute Übergänge und weiche Überblendungen, viele schöne Details und auch mal längere Totale, alles sehr musikkonform, alles sehr ordentlich gemacht.
Sicher ein Konzertmitschnitt der besseren Art, allerdings von der Regie her viel zu Anderson-orientiert. Beim Musikalischen fällt einmal mehr die feine Gitarrenarbeit des kongenialen
Martin Barre auf; der Rest spielt in gewohnter Qualität und perfekt die oft schwierigen Taktwechsel oder Breaks, aber kaum mal mit irgendwelchen bemerkenswerten Einlagen. Der kurze Auftritt der fransenverhangenen Masha bei "Dot Com" ist auch nur Beiwerk, ebenso die Akustiknummer "Fat Man". Da spielt bis auf den Mittelteil Martin Barre die Querflöte, was aber kaum mehr als ein Gag ist. Dafür unterstreicht er bei seiner Solonummer "Empty Café" (von Anderson mit billigem Witz zulasten Barres anmoderiert) nachdrücklich, dass er ein sehr ernstzunehmender Gitarrist ist, der auch die Jazzlicks drauf hat. Dass Doane Perry aus Soundgründen hinter einer durchsichtigen Plexiglas-Stellwand sein Drum-Kit bearbeitete, bewog die Kameraleute wohl, ihn grundsätzlich nur von seitlich hinten zu zeigen.
Im Gegensatz zu dem, was Jürgen auf der CD hört, ist der Gesang von Anderson für seine Verhältnisse vor allem bei den großen Nummern recht flach, da er die typische 'Minstrel'-Technik völlig überstrapaziert. Ich spekuliere einfach mal, dass es da im Studio gewisse qualitative Nachbesserungen für den Tonträger gegeben hat. Näheres ließe sich aber erst durch den direkten Vergleich dazu sagen. Während im ersten Teil die Arrangements schon oft bedrohlich nah an den Kitsch von Blackmore's Night herankommen, rockts wenigstens hinten raus wesentlich mehr, allerdings dann auch recht bombastisch. "Budapest", Jürgens Highlight, erinnert mich in der Stimmung sehr an "Year Of The Cat" von Al Stewart. Das Grundthema wird breit variiert, aber so besonders aufregend finde ich das nicht. An "Locomotive Breath", der Zugabe, wird noch ein hymnisches Outro angehängt, bei dem Anderson zwei große Ballons im Publikum tanzen lässt. Das ausgesprochen begeistert reagiert.
An der Sound- und Bildqualität gibt es nichts auszusetzen, wenngleich für eine ordentliche Rockproduktion im ersten Teil zuwenig Dampf im Klangbild ist. Der Musikfan muss selbst wissen, zu was er neigt. Wer sich nicht an den Zwischendokumentationen stört, dem empfehle ich jedenfalls als Jethro Tull-Konzertaufbereitung auf DVD "Living With The Past"!
Die Montreux-Produktion ist aus einem Guss, der komplette Gig ohne Unterbrechungen (auf Bonusmaterial wurde verzichtet). Aber vielleicht wirkt die Musik pur, ohne Andersons Showmätzchen, einfach besser. Dann greife lieber zur CD!
Line-up:
Ian Anderson (vocals, flute, mandolin, guitar)
Martin Barre (guitar, flute)
Andrew Giddings (keyboards, accordion)
Jonathan Noyce (bass)
Doane Perry (drums, percussion)
Masha (vocals)
Tracklist
01:Some Day The Sun Won't Shine For You
02:Life Is A Long Song
03:Bourée (Version De Noel)
04:With You There To Help Me
05:Pavane
06:Empty Cafe
07:Hunting Girl
08:Eurology
09:Dot Com
10:God Rest Ye Merry Gentlemen
11:Fat Man
12:Living In The Past
13:Nothing Is Easy
14:Beside Myself
15:My God
16:Budapest
17:New Jig
18:Aqualung
19:Locomotive Breath
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