Karussell / Loslassen
Loslassen Spielzeit: 65:32
Medium: CD
Label: Monopol Records, 2011
Stil: Soft Rock/ Pop

Review vom 25.07.2011


Ingolf Schmock
Einst von der renommierten Welt als »Solide Handwerker, aber bravouröse Poeten« tituliert, kämpfte das vom ehemaligen Honecker-Unrechtsregime als »spätkapitalistisches Dekadenzgeheul« bezeichnete musikalische Schaffen geduldeter Ost-Rocker nach dem Mauerfall, gegen gesamtdeutsche Ignoranzen und profitsüchtige Plagen, um's nackte Überleben.
Von der goldgelben Glückseligkeit westlicher Konsumgewohnheiten verblendet, wurden die vom freiheitsstrebenden Gedankengut beflügelten Helden liedhafter Rockmusik, mit Ausnahme einiger verschrobenen Pedanten, welche ihre ummauerte Insel inmitten des Ostblocks vor deren Niedergang verlassen, und selbst angelsächsisch besungenes Devisengut exportieren durften, im gesamtdeutschen Absatzmarkt zunächst weitestgehend verpönt, oder verschwanden in den unteren Schubladen mitleidig belächelter Provinzmucker.
Die einst geliebte Zwischenzeilen-Poesie hatte über Nacht an Bedeutung verloren, unterwarf sich den verkaufsträchtigen Oberflächen-Agitationen deutschsprachiger Popskurilitäten und der weltlichen Übermacht internationaler Musikgrößen.
Zwei Jahrzehnte später läuft die zum Ostrock katalogisierte Emanzipation ehemaliger Arbeiter und Bauernstaat-Stromgitarren-Partisanen, mal abgesehen von einigen zu schrammelnden Schlager-Party-Tingeltangel mutierten Alt wie ein Baum"-Rentner-Combos, und mit unverwelktem "Kling-Klang" trotzende Werte-Rekultivierer (Keimzeit, die Red.), dennoch sehr schleppend.
So verliefen einerseits die mit dem steuergeschüttelten Blick auf schrumpfende Bankkonten beherzten Reanimationen einstiger DDR- Jugendhelden meist im Sande, andererseits entfachte der jüngste Siegeszug einer Hitparaden-trächtigen Nachlasspflege der verstorbenen Kult-Röhre Tamara Danz, und die von Silly-Ziehtochter Anna Loos leidenschaftliche Entzauberung verklausulierter Poesie, ein hoffnungsflackerndes Leuchtfeuer.
Nun servieren, die Mitte der Siebziger aus der Berufsverbot-Konkursmasse ehemaliger System-Diffamierender und tabubrechender Leipziger Blues Rock-Rebellen Renft herausgeschälten Erbverwalter eines geschundenen Mythoses, nach fast zwanzigjähriger Zwangspause, den Frischzellen-verstärkten Abgesang und Ausbruchsversuch aus dem Ostalgie-befallenen Nischendasein.
Karussell, die vom Schicksal arg gebeutelten Erfinder einstiger Durchhalte-Hymnen und Schmonzetten eines von Sehnsucht beseelten kuscheligen DDR-Alltages, und von »Welthits, welche keine werden durften...«, wie "Als ich fortging" oder "Ehrlich will ich bleiben", proklamieren auf ihrer jüngsten Studioarbeit "Loslassen" die Abnabelung vom zu unrecht verkitschten Vorwendeliedgut, und buhlen um eine Platzierung im begünstigten Bunde gesamtdeutscher Heimatfolklore.
Mit berechnender Anbiederung an moderne Hörgewohnheiten erweisen sich die sechzehn kurzweiligen Kompositionen jedoch bloß als launige Reminiszenzen an ewig Gestrige, und dem deutschen Sprachdiktum verpflichtete Überzeugungstäter.
Die in Wunden greifenden Reime ihres früheren und zum Freitod getriebenen Haustexters Kurt Demmler sind mittlerweile passé, die von so genannten 'Blauen Elefanten' getarnten Provokationen längst verblasste Reliquien. Von lauem Gleichmut befallenes Gegengift zur wertefreien Leistungsgesellschaft und herzige Durchhalte-Plattitüden prägen jetzt hingegen den ungleich softeren Diskurs schnörkelloser Gitarren-Kost, und verklären ihren besungenen Alltagschronismus durch übertechnisierte Mitklatsch-Rhythmen.
Zugegebenermaßen besitzen einige der Songs durchaus Ohrwurmqualitäten, deren klebrig süße Melange aus Schnulzenrock und gefälligen Retortenpop-Zutaten vom Karstadt-Wühltisch allenfalls partylechzende Festzelt-Travoltas und die Liebhaber neudeutscher Cholesterinschlagerkultur für sich gewinnen mögen.
Auch wenn man mit einem zwinkernden Auge die vom Ur-Begründer Wolf Rüdiger Raschkes Sohnemann Joe initiierte Reanimation einer der einst populärsten Musikbands des Ostens begrüßen möchte, bleiben die Protagonisten mit ihren säuerlichen Seifenopern des kleinen Mannes, nebst den krachledernen Rock-Narreteien, meilenweit hinter den Erwartungen zurück.
Gänzlich verloren erscheinen mittlerweile die musikalischen Duftmarken ihres bisher gepriesenen umseelt-erdigen Liedgutes mit dem Hauch subversiven Gedankengutes, als die Leipziger noch Scharen von Jesuslatschen-besohlten Jugendfreunden den entmoralisierten Pfad vorgaben.
Niemand erwartete das Auftragen alter Zöpfe, aber Karussells ehemals dominante Tugenden werden bedauerlicherweise vom weichgespülten Gesang-Elaborat samt tönender Dosenöffner der Herzen, temporeich in den Orkus deutschsprachiger Hitparaden-Drittligisten gefegt. Da hilft es auch nichts, dass Vater und Sohn abschließend mit einem ausgedünnten Aufguss, der einst von Dirk Michaelis würdevoll propagierten Sehnsuchts-Hymne "Als ich fortging", den finalen Rettungsring versenken.
Line-up:
Wolf Rüdiger Raschke (keyboards, vocals, ld)
Joe Raschke (vocals, keyboards, harp, M500 micro preset)
Reinhard Huth (vocals, guitar)
Hans Graf (guitar, lead guitar, vocals)
Jan Kirsten (bass, vocals)
Benno Jähnert (drums)
Tracklist
01:Oben sein?
02:Wer wenn nicht wir
03:Rettet unsre Nacht
04:Lied für Euch
05:Loslassen
06:Stern der Liebe
07:Traumwandler
08:Zweitgesicht
09:Keine Zeit
10:Deine Farben
11:Aussteigen
12:Hoffnungslos Uferlos
13:Habseeligkeiten
14:Dann der Regen fällt
15:Verückter Vormittag (Bonus)
16:Als ich fortging (Bonus)
Externe Links: