Oi!-jeh, was schwappt denn da aus dem Saarland rüber? Ein tätowierter Jesus mit schmerzverzerrtem oder doch eher zornigen Gesicht ziert die Coverrückseite, vorn ist nur seine linke, ans Kreuz genagelte Hand zu sehen; Krawallbrüder und Albumtitel "Schmerzfrei" in Frakturschrift prangen rot-schwarz-weiß drüber.
1993 als traditionelle Oi!-Band gegründet, feierten die Krawallbrüder letztes Jahr ihr zwanzigjähriges Bestehen und blicken auf eine bewegte Bandgeschichte zurück. Damals fingen Andi ( 'Pimmel'), Olli und Pascal, noch unter dem Bandnamen Frontal, als 90er Oi!-Truppe an. Nachdem sie vom Verfassungsschutz mit einer ähnlichnamigen Rechtsrocktruppe verwechselt wurden, benannten sie sich in Krawallbrüder um. Drummer 'Pimmel' verließ die Band und wurde durch Marko ersetzt, kurze Zeit später ging auch Olli. Das Personalkarussell drehte sich munter weiter, sogar gelegentliche Bandpausen sind in der Vita verzeichnet. Auch musikalisch ging das alles nicht ganz spurlos an der Truppe vorbei, sie fanden ihre Nische in der aufkeimenden Deutschrock-Ecke und profitierten, wie viele andere mit ihnen, von der Onkelz-Auflösung. Klar, im Livebereich war die Nachfrage nach Assi-Rock ungebrochen, Events wie die G.O.N.D. sprechen Bände.
Der Nachahmer-Goldfischteich war gut gefüllt, auch Truppen wie beispielsweise Kneipenterrroristen verbrachten dort ihre Anfangszeit, bevor sie ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes eigenes Profil entwickelten. Musikalisch sind die Krawallbrüder wohl in den 2000er Jahren in dieses anscheinend immer noch lukrative Fahrwasser gesprungen. Tja, und da plantschen sie nun seit einigen Jahren in dieser Brühe, mit der typischen »ich wär auch gern ein richtig Böhser«-Attitüde.
Musikalisch kommen sie dabei eher als relativ brave 'Onkelchen' rüber, denn Pascals Stimme klingt für die Ecke eigentlich drei Nummern zu nett, verzichtet aber dankenswerterweise auf lächerlich wirkende Versuche, das zu kaschieren. Auch die Instrumente kommen fast 'nen Tick zu sauber. Die Songstrukturen sind die Matrize des Genres, die andere Bands mit einer kräftigen Portion Dreck unter den Fingernägeln versehen, hier aber quasi als Essenz dargeboten werden.
Die Themen sind überwiegend altbekannt: "Wir ham' noch lange nicht genug" wird in "Was lange währt" 'nacherzählt'. "Blut und Tinte" (»...Bier und Weiber...«) singt das Hohelied auf den Adrenalinkick beim Tätowiertwerden. Wichtiges Thema übrigens – die Tattoos, die auch in "Weg von euch" nochmal bemüht werden, als Zeichen von 'Wannabes', die gestern noch nicht tätowiert waren und von denen man schleunigst weg muss, wie auch vom Rest der Gesellschaft. "6 Fuß breit" ist die obligatorische Ballade, die im "Buch der Erinnerung" blättert und menschliche und nachdenkliche Züge ins Spiel bringt.
Neben Suff und Party, nimmt auch die Klarstellung »bin kein Nazi, keine Zecke, sondern ich« über mehrere Songs Raum ein.
Klar gibt es dazu auch Vorgeschichte(n). Neben den verwechselnden Verfassungsschützern findet sich im Web auch ein Disput mit dem Verein Laut gegen Nazis, dem die Brüder was aus dem Erlös der "Blut, Schweiß & keine Tränen"-Tour spenden wollten. Nach Hinweisen, Recherche und Empörung lehnte der Verein die Großzügigkeit mit Hinweis auf rechte Kontakte der Band ab, die diese vehement bestreitet. Die Stellungnahme der Band dazu ist hier nachlesbar. Das entsprechende Album verkaufte sich innerhalb eines Jahres über 25.000 mal und schaffte es laut Bandangaben damit sogar auf Platz 15 der deutschen Albumcharts.
Ich schwanke ehrlich gesagt immer wieder zwischen Faszination, Erschrecken und Ekel über den Mechanismus, der dann (nicht nur bei dieser Band) als Selbstläufer startet. So sicher wie der Rülpser nach dem Dosenbier folgen Dementi, Gegenbeweise (gerne pöbelnd), Gegengegenbeweise der 'Gegner' (ebenfalls gerne pöbelnd) und postwendend die Solidaritätsbekundungen von Fans und solchen, die es dadurch wurden. Leuten, denen keine plumpe Stammtischparole zu platt ist. Die zwar wahrscheinlich nicht rechtsextrem im eigentlichen Sinn sind, aber auf jede noch so simple Gut-Böse/Schwarz-Weiß(-Rot)-Parole draufspringen. Im Sinne der Freundschaft und des Zusammenhalts und des Dagegenseins. Die sich als Outlaws fühlen, eine ziemlich krude Kameradschaft und Geistesverwandschaft zu finden glauben. Was zur Hölle läuft denn da in unserer Gesellschaft so schief, dass so 'ne durchsichtige Masche derart ankommt?
Diesen Mechanismus so ein ganz kleines bisschen zu schüren, kann ja dem Umsatz nur dienlich sein. Denn klar, schlechte Publicity ist besser (lukrativer) als gar keine. Natürlich schön auf der Basis tragischer Missverständnisse, missverstandener Provokationen, denn man ist ja nicht politisch. Irgendeiner wird sich schon finden, der aus dem ach so harmlosen (Die-wollen-nur-spielen-) Gebaren einen Rechtsvorwurf initiiert, oder?
Stoff dafür ist auf diesem Album jedenfalls genug zu finden. "Auf ein Wort", der Song, aus dem auch das oben angeführte Textzitat mit Nazi und Zecke stammt, bietet auch Textfragmente wie »nur weil ich alle Menschen hasse, bin ich noch lange kein Rassist« oder »6 Millionen Lügen«. Die bandeigene Securitytruppe wird nicht arbeitslos werden, denn die unerwünschten Konzertbesucher (ob nun rechte oder linke) werden so ganz sicher angezogen werden, wie die Schmeißfliege vom *** (ihr wisst schon was). Und die Schnappatmung bei denen, die von der Band so freundlich als 'Gutmenschen' tituliert werden, kann schon jetzt als gesichert gelten.
Nur, dass wir uns nicht falsch verstehen – ich werde hier weder behaupten, dass die Krawallbrüder bedauernswerte, missverstandene Seelen, noch rechte Rocker sind. Aber wenn von irgendwoher dieser Vorwurf auftaucht, verstehen sie es anscheinend trefflich, den zu ihren Gunsten zu nutzen. Ein Vorwurf, der damals, ganz sicher nicht zu Unrecht, auch den Onkelz gemacht wurde. Was ich allerdings seit geraumer Zeit mit Bauchschmerzen beobachte, ist die (zumindest gefühlt) zunehmende Häufung dieser 'Masche' (nicht nur) im Deutschrockbereich. Wenn die Musik nicht durch innovative oder zumindest charakteristische Ausarbeitung Aufsehen erregen kann, dann hilft vielleicht ja ein gepflegter »Buhuhu, der hat mich rechts genannt«-Candystorm. Denn – nimmt man diese Themen raus – und sucht nach dem, was sonst noch so in diesem Album steckt, dem 'Ich', das weder Nazi noch Zecke ist - dann wird die Luft doch eher dünn...
Line-up:
Pascal (Gesang, Gitarre)
Flo (Gesang, Gitarre)
Swen (Gesang, Bass)
Thomas (Schlagzeug)
Tracklist |
01:I.IV. - R.I.P. - XXXIII
02:Was lange währt
03:Blut und Tinte
04:Auf ein Wort
05:Nur für dich
06:Weg von euch
07:Schmerzfrei
08:6 Fuß breit
09:Wie die Tiere
10:Nie ein Ende sehen
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