Zweifelsohne zählten er und die Jungs von City einst zu den musikalisch unbequemeren und keinesfalls pflegeleichten Rockern im selbsternannten 'Arbeiter und Bauernstaat'.
Entgegen aller auferlegten Schranken der miefigen DDR-Funktionäre waren die Triebkräfte des Beat mit jenem engverbunden »Yeah, Yeah, Yeah«-Aufschrei und somit auch der künstlerische Lebendrang des City-Frontmannes Toni Krahl nicht mehr aufzuhalten.
Heute ein Jahr vorm 45.Geburtstag von City sind diese längst auf dem Olymp der 'Ostigen Rocklegenden' und in vorderster Riege deutschsprachiger Rockinstitutionen angekommen.
Somit war es für Toni Krahl (66) an der Zeit, seine zahlreichenden Erinnerungen an eine, von sowohl absurden Hürden als auch ungeahnten Freiheiten gebrandmarkte Musikerkarriere, aufzuschreiben.
Anlässlich einer Präsentation des autobiographischen Buch-Resultates Rocklegenden packte RockTimes die Gelegenheit beim Schopfe, einige brennende Fragen an den Sänger loszuwerden.
RockTimes: Die gedankliche und sehr persönliche Rückschau auf Ihren bisherigen Werdegang wirkt noch recht klar. Inwieweit ist es ihnen schwergefallen, sich so detailliert zu erinnern, zudem es aufzuschreiben?
Toni Krahl: Das ist mir absolut schwergefallen, da ich weder Aufzeichnungen noch Tagebücher oder sonstige Kalenderblätter zur Verfügung hatte und somit alles, im wahrsten Sinne des Wortes, mühsam aus dem Kopf 'rausgraben' musste. So sprang ich in meinen Erinnerungen auch stellenweise ein wenig hin und her, jedoch allmählich kamen diese beim aufschreiben so langsam wieder hervor.
Nun ist die Sache ja so, dass wir fünf unterschiedliche Musikercharaktere sind, das heißt, letztendlich gibt es fünf verschiedene Erinnerungen, zugleich zehn Meinungen.
Und deswegen habe ich gleich im ersten Buch-Kapitel den Satz gebracht, »Alles hat sich genauso abgespielt-oder eben ganz anders«.
RockTimes: Laut der Buch-Aussage bot einst eine ausgeliehene Originalausgabe der Beatles-Single "Please, Please Me" die Steilvorlage für ihre weiteren Lebenspläne.
Welche Inspirationsquellen befeuern heute Ihr künstlerisches Schaffen?
Toni Krahl: In erster Linie das Leben. Schließlich bin ich nicht taub, was bedeutet, ich nehme die Musik wahr und sauge diese auch auf.
RockTimes: Im Buch heißt es: »Da waren vier Freunde, die sich verschworen hatten, gegen die Welt, und für Sie, Musik zu machen«. Inwiefern betrachten Sie sich und City heute noch als musikalische Streiter für das Gute?
Toni Krahl: Wir kommen noch aus der Zeit der sogenannten Message-Musik, sprich da waren wir und einige andere, wie beispielsweise Bruce Springsteen oder John Lennon, die halt des Öfteren mit ihren Liedern Haltung gezeigt haben. Insofern sind wir immer noch guter Hoffnung die Welt mit einem Lied verändern zu können, auch mit dem hintergründigen Wissen es wird nicht funktionieren, versuchen es aber trotzdem.
RockTimes: Sind Sie der Meinung, Musik vermag heute noch das Denken in so manchen Köpfen zu verändern?
Toni Krahl: Ich glaube, dass Musik auf jeden Fall beeinflusst und wenn es nicht gerade ein Song vermag, dann zumindest jedoch die Haltung des Musikers oder Künstlers. Die Leute sortieren ihre Künstler schon so ein, man bemerkt dies leider besonders bei negativen Beispielen, wie der Rechtsgerichteten Musik.
RockTimes: Nach ihrer unangenehmen Bekanntschaft mit der DDR-Justiz wegen 'staatsfeindlicher Hetze' 1968 kam es zur sogenannten Umerziehung und Heimholung in die sozialistische Menschengemeinschaft. Im Buch heißt es jedoch: »Meine Rettung war die Musik«. Haben Sie damals damit gehadert, in jenem Staat überhaupt eine künstlerische Zukunft zu haben?
Toni Krahl: Nein, gehadert habe ich zu keiner Zeit, es war im Grunde genommen meine einzige Chance, in der DDR weiter zu leben, weil sich mein normaler, mehr oder weniger von den Eltern angedachter, Lebensplan damals gänzlich erübrigte.
Somit war die Musik wohl die einzige Nische, die mir Rettung und nicht nur Brot und Butter, sondern im Kopf wach zu bleiben, versprach. Dennoch habe ich es damals in verschiedensten Betrieben mit einem 'normalen' Broterwerb versucht, hingegen schnell eine Abneigung demgegenüber bemerkt.
RockTimes: Glauben Sie, Citys-Erfolgstitel "Am Fenster" hätte jemals in dieser Form Großes erreicht, wäre da nicht die Geige von Klaus Selmkes großzügigem Westonkel Franz und Joro Gogows Talent dafür ins Spiel gebracht worden?
Toni Krahl: Eindeutig nein. Ich glaube, dass hierbei die Geige einen ganz wesentlichen Erfolgsfaktor darstellte, darüber hinaus natürlich die Art und Weise wie Joro sie spielte.
Ich habe vergleichsweise schon verschiedene Varianten von Leuten, die es nachspielten, gehört, waren alle gut gemeint, dennoch diesen schmutzigen Geigenton (im positiven Sinne), hatte nur Gogow wirklich drauf. Er hat damit uns und sich in die Herzen der Menschen gespielt.
RockTimes: Im Dezember 1978 gab es die Einladung zum WDR-Rockpalast. Stimmt es, dass die Fernsehleute das technische Fiasko währenddessen später ins rechte Licht rückten, aber dieser Auftritt letztendlich euer 'Ritterschlag' für den Westen war?
Toni Krahl: Auf Grund des damaligen Rockpalast-Renommees war es auf jeden Fall unser 'Ritterschlag' für den Westen, die aufgetretenen Probleme jedoch wurden noch während der laufenden Veranstaltung beseitigt. Wegen irgendwelchen Kabelsalats funktionierte anfangs die Geige tontechnisch nicht. Das so etwas passierte, verunsicherte uns nicht, das eigentliche Problem fand in unseren Köpfen statt. Dazu kam das Publikum vor der Bühne, was Großteils aus Grobschnitt-Fans bestand (die waren zuvor aufgetreten) und latent gegen uns skandierten, was uns obendrein immer nervöser stimmte.
Die WDR-Fernsehmacher haben das technische Problem damals recht schnell in den Griff bekommen, für uns fühlte es sich jedoch wie eine halbe Ewigkeit an. Natürlich wurde hinterher selbiges in der TV-Sendung geschickt ausgespart.
RockTimes: Es gab damals eine »stillschweigende Übereinkunft«, die sogenannte 'Hackordnung', mit den Puhdys und Karat, nie auf einer Bühne zu stehen. Mittlerweile wurden diese Barrieren längst gebrochen. Erfüllt Euch das heute mit Stolz, mit den 'Großen' des ehemaligen DDR-Rocks auf einer Stufe zu stehen, und galt dies stets als Ansporn für Kommendes?
Toni Krahl: Es verhielt sich eindeutig so, dass die Puhdys die Ersten waren, die mit eigenen Liedern kommerziell erfolgreich, sowohl im Radio als auch im Fernsehen, waren. Auf Grund dessen wurden diese auch sehr oft angefeindet, wobei selbst ich so meine Vorbehalte pflegte.
Inzwischen haben wir aber so viele 'Schlachten' gemeinsam geschlagen und ich weiß mittlerweile, wie 'Maschine' tickt. Er dachte, im Gegensatz zu uns oder Karat, grundsätzlich schon immer in Stadionrock-Dimensionen, an eine gewisse Art, volkstümliche Rockmusik. Karat dagegen betrieben schon immer erfolgreich ihre schönen verträumten Balladen, wir hingegen musizierten etwas kantiger und kesser. Bei den gegenwärtigen Rocklegenden-Konzerten ergibt dieser Dreierpack wohlwissend eine zwar komplexe, jedoch perfekte Mischung.
RockTimes: Bei einem 'linksorientierten' Studentenfest im Westen wurdet ihr einst mit dem, bis dato unbekannten Ausländerhass und mit Parolen wie »Haut ab nach drüben« konfrontiert. Inwieweit machen Dich heute, nahezu dreißig Jahre später, die derzeitig politischen Entwicklungen, zudem erstarkenden Fremdenfeindlichkeiten hierzulande, betroffen?
Toni Krahl: Es lässt mich nicht kalt. Natürlich verstehe ich es, dass uns Bundesbürger derzeit eine unzufriedene Stimmung, genährt von einer offensichtlich volksfernen Regierung, beherrscht. Dennoch wirkt das Ganze so, als ob die Leute den Esel meinten, jedoch den Sack schlagen. Die Vorbehalte gegen alles Fremde sind fast schon modern, ja Mainstream geworden. Dass dies die rechten Strukturen stärkt, sind Tatsachen die mich persönlich sehr beunruhigen.
RockTimes: Das 87er Konzeptalbum "Casablanca" sorgte, wegen seiner mutigen Textaussagen, beim Publikum sowie den damaligen 'Funktionärsriegen' und u.a. Margot Honecker, für einen Aufschrei. Würdest du jetzt, mit Abstand, dieses Werk als einen wichtigen Wendepunkt für City ansehen? Und hättet Ihr ohne dieses als Band nicht überlebt?
Toni Krahl: Wir hätten ohne dem garantiert nicht überlebt, es war nicht nur ein Meilenstein, sondern nach dem Titel "Am Fenster" unser wichtigstes Album. Wir haben dort mit einer Ernsthaftigkeit sowie besonderen Klarheit Stellung bezogen, dass es recht schnell zum Soundtrack der Wende avancierte.
Wir hatten zuvor zwei Jahre an den Texten dieser Platte gearbeitet und vermochten die damaligen Zustände, wie mit »halben Land und der zerschnittenen Stadt«, und dass niemand auf Dauer damit glücklich sei, sehr deutlich zu benennen.
Es glich einer Erneuerung eines Eheversprechens, man heiratet und Jahre später tritt man wieder vor den Altar.
RockTimes: Als nach der Maueröffnung im Frühjahr 1990 die Mitstreiter Klaus und Manne in dem Glauben, dass Ostmugge ausgedient hätte, sich aus eurem Lebenswerk verabschiedeten - hat Ihnen das »sehr wehgetan«.
Keimten in Ihnen zu diesem Zeitpunkt jemals Zweifel, dass es als Rockinstitution City nicht weitergehen könne?
Toni Krahl: Ja schon, dennoch bin ich ein positiv denkender Mensch, man könnte auch sagen, ein Kleinkünstler im Verdrängen. Damals hatte ich zum Glück noch Fritz Puppel an meiner Seite, welcher doch zwei, dreimal mehr nachdenkt und mich während dieser schwierigen Phase wiederaufgebaut hat.
Seine Botschaft damals lautete: »Es dauert nicht mehr lange, und die Menschen aus der ehemaligen DDR werden sich wieder benehmen, wie der Rest der Menschheit auch. Diese holen dann wieder die Lieder raus, mit denen sie groß geworden sind, sich das erste Mal geküsst oder gar Sex dabei hatten. Wir werden mit zwei, drei Liedern dabei sein und zu Dauerbrennern werden«.
RockTimes: So kam es doch 1993 bei einem denkwürdigen Punkkonzert der Inchtabokatables, eine Band eurer eigenen Plattenfirma, zur ersten Wiedervereinigung in Originalbesetzung. Wie würden Sie heute, rückblickend, diesen Auftritt in der City-Vita für den jetzigen Fortbestand einordnen mögen?
Toni Krahl: Da es im Nachhinein nicht beweisbar ist, ob wir vierzehn Tage später sowieso wieder zusammengefunden hätten, haben es die Inchies, trotz ihres allgegenwärtigen Chaoses das sie versprühten, damit geschafft, uns zu motivieren als "Am Fenster"-Besetzung aufzutreten. Alles Andere ist mittlerweile Geschichte. Zudem wäre »Hätte, hätte Fahrradkette« reine Spekulation. Seitdem musizieren wir wieder problemlos miteinander.
RockTimes: Zum 30sten Bandjubiläum und dem Song "Flieg ich durch die Welt" waren City »endgültig angekommen im neuen Deutschland«. Wo würden Sie Citys Status in der gesamtdeutschen Musikszene heute einordnen?
Toni Krahl: Ich glaube, wir sind für die Leute stetige und verlässliche Begleiter geblieben, eine Sache, die sich über die Zeit verfestigt und als nicht mehr zerstörbar erwiesen hat.
RockTimes: Noch kurz. Was kommt nach der laufenden Rocklegenden-Tour bzw. welche künftigen Aussichten gibt es in Citys Terminkalender?
Toni Krahl: Zunächst zieht die Karawane noch weiter durchs Land, und Pläne für ein neues Studioalbum liegen auch schon auf den Tisch. Außerdem gilt es im nächsten Jahr einige erfreuliche Jubiläen zu feiern. Wir finden, 45 Jahre City spielen für unser Publikum dabei wohl die weniger spektakuläre Rolle, hingegen 40 Jahre "Am Fenster" die unbestritten Bedeutsamere. Lasst euch diesbezüglich eben einfach überraschen.
Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Dir, auch im Namen von RockTimes beste Gesundheit sowie noch viele fruchtende Kreativphasen mit City.
Rocktimes bedankt sich bei Kai Suttner (Hassel-Music)für das Zustandekommen, zudem dem Team der Erfurter Herbstlese für die freundliche Unterstützung des Gespräches.
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