Alvin Lee / Saguitar
Saguitar Spielzeit: 54:18
Medium: CD
Label: R.A.R.E./Repertoire Records, 2007
Stil: Blues Rock

Review vom 18.10.2007


Olaf 'Olli' Oetken
Tja Leute, es gab wirklich schon mal informativere Pressetexte/Promotionstexte für Tonträger. Wie ich an anderer Stelle schon orakelte, scheint sich das Zeitalter der Musik-CD rasant dem Ende zu nähern. Was aber garantiert nicht daran liegt, dass keine gute Musik mehr aufgenommen würde. Allein die heutigen Vermarktungsstrategien lassen hartnäckig sämtliche gute Musik links liegen. Aber dafür gibt es ja uns, die wir euch möglichst umfassend auf dem rockmusikalisch Laufenden halten wollen und dabei versuchen, im Rahmen unserer Möglichkeiten die Spreu vom Weizen zu trennen.
So flatterte mir zusammen mit dem besagten dürftigen Waschzettel die brandneue CD des Herrn Alvin Lee ins Haus, seines Zeichens Woodstockveteran und Ex-Mastermind von Ten Years After, die sich inzwischen verjüngt haben und somit vielleicht spannende Quervergleiche ermöglichen.
Den guten Alvin hatte ich schon gar nicht mehr auf der Rechnung, denn bis auf seinen
Tennessee-Output vor knapp drei Jahren war seit nunmehr 13 Jahren nix Neues aus dem Studio zu vermelden gewesen.
Und nun also "Saguitar", abgeleitet von seinem Sternzeichen Schütze (englisch Sagittarius). Auf dem Frontcover prangt sein ganzer Stolz, eine rote 1959er Gibson ES-335 mit diversen kultigen Aufklebern und einer Einsatzvita, so lang, wie französisches Baguette trocken ist.
(Lieber und geschätzter Kollege: Wir wissen zwar nicht, was im hohen Norden unter dem Namen 'französisches Baguette' verkauft wird - mit den Teilen unserer nahen Nachbarn hat das aber mit Sicherheit nichts zu tun. Trockenes Baguette ... Béotien, sagen wir da nur. [Die Redaktionspfälzer]).
Was hat uns 'Flitzefinger' Alvin noch anzubieten?
Nun, er macht es mir (uns?), verdammig noch eins, nicht einfach. Denn er begeht für einen Rock'n'-Roller eine 'Todsünde', da das Album zu nicht geringen Anteilen mittels Musikcomputertechnik (Drumcomputer, Programming, Tools etc.) eingespielt und komplett in Eigenregie als Home-Recording produziert worden ist. Dieses Werk hat somit keinerlei Chance, das Organische zu atmen, welches für den Rock'n'Roll essentiell ist (Analogtechnik, Interaktion mit MusikerkollegInnen)!
Es ist freilich nichts gegen moderne Technik bei Musikaufnahmen einzuwenden, und wenn ein 'alter Sack' mal neue Wege gehen will, ist das prinzipiell zu begrüßen, sonst rufen wieder alle im Chor: »Musikalischer Stillstand!«
Aber Alvin Lee schreibt keine Musik, die es zu modernisieren gilt! Das ist der große Haken an dieser Geschichte. Er liefert hier 14 neue Songs, von denen lediglich einer wirklich etwas aus dem Rahmen fällt, nämlich "Rapper", wo sich der Protagonist als selbiger versucht. Das mag der Musikkritiker vielleicht belächeln, das jugendliche Publikum sowieso (wird davon eh nichts mitkriegen), aber hier funktioniert zumindest die Tatsache, dass außer Gesang/Stimme und Gitarre alles synthetisch ist.
Bei allen anderen Tracks funktioniert das nicht, mal mehr, mal weniger gravierend. Ohne großen Schaden kommen die Slow-Stücke davon, die allesamt zu den deutlich besseren Momenten dieses Silberlings gehören. Alvin Lee gelingen mit "Blues Has Got A Hold On Me", "Motel Blues" und "Smoking Rope" wunderbar feinfühlige Blaupausen eines gereiften 'weißen' Blues, mit erstaunlichem Feeling, ebenso erstaunlich filigraner Saitenarbeit und einer atmosphärischen Dichte, wie sie dem Alterswerk des Gitarrenhelden hervorragend zu Gesicht stehen. In diese Reihe wäre auch noch das fantastische "The Squeeze" einzuordnen, welches unheimlich stimmungsvoll rüberkommt und durch Tempiwechsel ins Rockige immer eine gewisse Spannung aufrecht erhält. Hier streichelt unser Held derart gefühlvoll die Saiten, wie ich es von ihm meines Erachtens bis dato noch nicht gehört habe. Allerdings klingen die rockigen Intermezzi arg flach und komprimiert, ein Phänomen, das sich häufiger bei den Uptempo-Sequenzen dieses Rundlings einstellt.
Dies gilt nicht für "Midnight Train" und "Memphis", zwei galoppierende 50er Jahre Rock'n'Roller, die gut auf die Vorgängerscheibe gepasst hätten.
Neben dem bereits erwähnten "Rapper" kommt auch die MOR-Paradenummer "It's All Good", die absolut süchtig macht, soundtechnisch vergleichsweise gut weg, trotz Synthiebläsern (Grusel!). Auch hier macht der Produktionsanzug nicht alles kaputt. Und schließlich erleben wir noch einen Rausschmeißer, der fast die seligen Dire Straits wiederauferstehen lässt. "Rocking Rendezvous" kommt doch ganz frech als Kreuzung aus Otis Blackwells Nr. 1-Hit für Elvis Presley, "All Shook Up", und, wie passend, "Calling Elvis" von besagten Dire Straits daher. Darüber hinaus ist eine geradezu swamprockige Note à la Tony Joe White und J.J. Cale eingebaut. Diesem Klasse-Song kann auch die fehlende Authentizitätspatina nichts anhaben. Übrigens ist der bereits erwähnte "Motel Blues" ebenfalls verdächtig nahe am Dire Straits-Ufer gebaut.
Ansonsten haben wir Titel wie "It's Time To Play" oder "Got A Lot Of Living To Do", wo ich mir dringend eine Produktion von Dave Edmunds gewünscht hätte. Dieser hatte schon einem Pop'n'Roller wie Shakin' Stevens auf die Sprünge geholfen und auch den Stray Cats gut zu Gesicht gestanden (neben unzähligen anderen!).
"Only Here For The Ride" und "Education" sind klassische 'Flitzefinger Alvin'-Übungen, letztere gar mit kleinem ZZ Top-Einschlag, welche aber leider durch zuviel Synthetik abgewürgt werden.
Fazit:
Somit entsteht insgesamt der Eindruck, dass für "Saguitar" kein großes Budget zur Verfügung stand. Dieser wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass der einzige wirklich signifikante Mitmusikant Tim Hinkley (Keyboards) in direkter Nachbarschaft zu Alvin Lee wohnt. Er steuert zumeist wunderbare Hammond B3-Töne bei, die aber schlechterdings ebenfalls synthetisch erzeugt wurden. Auf den Sound des legendären Lüftungspropellers wartet der Hifi-Freak vergeblich.
Mr. Alvin Lee hat sich für meine Begriffe keinen Gefallen getan.
Seine ehemalige Combo Ten Years After musiziert inzwischen mit Nachfolger Joe Gooch so frisch und nicht selten völlig entfesselt, ohne soundtechnisch auch nur die geringsten Experimente einzugehen, dass sich im direkten Vergleich die übriggebliebene Zielgruppe mit "Saguitar" schwer tun dürfte. Aber das ist nur eine Vermutung von mir. Meines Erachtens gehören zum Rock'n'Roll verschwitzte Kerle (oder 'Weiber'), die sich mit ihren Instrumenten und ihrem Publikum den A… aufreißen. Diese Betrachtungsweise geht einfach mit Synthetik nicht konform.
Deshalb auch nur 5 von 10 RockTimes-Uhren, obwohl durchaus mehr locker drin gewesen wäre.
Line-up:
Alvin Lee (vocals/guitars/bass/harp/drums/programming)
Tim Hinkley (keyboards)
Trevor Morais (snare drum #4)
Eugen Fritz (second harmonica #13)
Tracklist
01:Anytime U Want Me (4:50)
02:Squeeze (4:07)
03:It's Time To Play (4:23)
04:Midnite Train (2:17)
05:Motel Blues (5:20)
06:Only Here For The Ride (2:47)
07:Memphis (2:02)
08:Got A Lot Of Living To Do (3:05)
09:Blues Has Got A Hold On Me (3:23)
10:It's All Good (4:20)
11:Education (4:30)
12:Rapper (3:27)
13:Smoking Rope (4:38)
14:Rocking Rendezvous (4:38)
Externe Links: