Bettye LaVette / The Scene Of The Crime
The Scene Of The Crime Spielzeit: 41:26
Medium: CD
Label: Anti-, 2007
Stil: R&B/Blues


Review vom 29.10.2007


Joachim 'Joe' Brookes
In meiner Review zu A Woman Like Me (mit einem Blues Music Award dekoriert) hatte ich ja schon geschrieben, dass man eine so grandiose R&B-/Soul- und Blues-Sängerin wie Bettye LaVette nie aus den Augen verlieren darf. Damals war das Album der vehemente Anlauf zur Wiedergeburt der Sängerin.
2005 folgte mit "I've Got My Own Hell To Raise" ihr Debüt für das Label Anti-.
Jetzt liegt "The Scene Of The Crime" vor und der Schreiberling vollführt Freudentänze in seinem Bluespalast.
Das geografische Zentrum des Albums ist Muscle Shoals, Alabama, genauer die Fame-Studios.
Dort nahm die 1946 geborene Sängerin 1972 ihr Album "Child Of The Seventies" für Atlantic Records auf. Die Masterbänder setzten über 30 Jahre Staub an, wahrscheinlich nur deswegen, weil die Single "Your Turn To Me" floppte, bis die Platte im Jahr 2000 komplett auf ihrem Sampler "Souvenirs" und 2006 von Rhino unter dem Original-Titel veröffentlicht wurde.
Nicht nur an den Tatort zurückgekehrt, gibt es eine auf dem Papier nicht für möglich zu haltende Kooperation mit den Southern Rockern Drive-By Truckers (DBT)!!!
Angeschoben wurde das Projekt von Bettyes Label-Boss Andy Kaulkin, der dem DBT-Gitarristen Patterson Hood, Sohn von David Hood, der bereits auf dem 1972 nicht veröffentlichten Album Bass spielte, den Vorschlag machte, zusammen mit der LaVette eine Platte aufzunehmen.
Dann taucht im Line-up mit Spooner Oldham auch gerade kein Unbekannter aus der Muscle Shoals-Szene auf.
Beim Sichten des ausgewählten Materials gab es kein Halten. Querbeet geht es von Willie Nelson bis Elton John.
Bettye LaVette schreibt keine Songs, sie interpretiert.
Von den ersten Tönen des Openers "I Still Want To Be Your Baby (Take Me Like I Am)" an, wird man vor den Lautsprechern gefangen von dem, was die Southern Rocker und die R&B-Sängerin an Klasse abliefern. Hier stimmt einfach schon alles. Die Truckers gehen zusammen mit LaVette durch ein Wechselbad der Gefühle. Ganz starke verzerrte Gitarren und dann Oldhams Wurlitzer.
Die CD wird ein Ritt auf der Rasierklinge, denn die Frau weiß ihre Stimme einzusetzen.
In "Choices" strömt einem eine ganze Ladung Gänsehaut entgegen, der man sich nicht entziehen kann. Mit akustischer Gitarre, wenig Schlagzeug und dem Tastenmann wird jetzt schon klar, dass "The Scene Of The Crime" zu einem der spannendsten Platten der letzten Zeit geworden ist.
Was machen die denn jetzt aus Frankie Millers "Jealousy"?
LaVette und die Band geben dem Track ein neues Gesicht. Präzises Drumming von Brad Morgan, der Shonna Tucker-Bass in abgründigen Tiefen. Dieser Spooner Oldham ist unbezahlbar. "Jealousy" sorgt beim Hörer für weitere Glückshormone und die knapp über sechzig Jahre alte Sängerin ist brillant.
Es gibt hier kein Weichei von Song.
Selbst das folgende "You Don't Know Me At All" vom Eagles-Mann Don Henley, mit ordentlich Groove von der Hintermannschaft, ist fantastisch.
Glaubt der Hörer, bereits vier Highlights der CD gehört zu haben, muss man erst einmal zu Willie Nelsons "Somebody Pick Up My Pieces" kommen. Bettye LaVette interpretiert Songs und macht aus einem Country-Song ein Soul-Monster. Mit welchem Feeling John Neff seine Pedal Steel spielt ist großes Tennis und nun hören wird auch Pattersons Vater David Hood am Bass. Diese sensible musikalische Stütze für LaVettes Stimme ist grandios.
Ein Höhepunkt folgt auf den nächsten: Ray Charles' "They Call It Love" ist an der Reihe und die Drive-By Truckers packen wieder die Groove-Maschine aus. Kelvin Holly von Little Richards Band The Decoys zupft ein fantastisches Gitarren-Solo und David Hood hat den bundlosen Bass geschultert. John Neffs Pedal Steel wimmert herrlich und dann ist John Hiatts "The Last Time" dran und dem Rezensenten gehen die Superlative aus.
Elton Johns "Talking Old Soldiers" wird der Sir selber nie so hinkriegen! Trauer und Herzschmerz können kaum besser interpretiert werden, als von der über den Dingen stehenden Bettye LaVette, die hier von Spooner Oldham am Klavier begleitet wird.
Dann kommt es doch noch zu einem Song, an dem Bettye LaVette schreibtechnisch beteiligt ist. Die weiteren Credits gehören Patterson Hood.
"Before The Money Came (The Battle Of Bettye LaVette)" hat autobiografische Züge, mit dem oben erwähnten Atlantik-Records Faustschlag ins Gesicht:
»I was singing R&B back in 62, before you were born, and your mama, too
I knew David Ruffin when he was homeless, sleeping on my floor before he crossed over
All my friends on the Grammy show, I was stuck in Detroit, trying to open doors
Record deals kept falling apart, one with Atlantic nearly broke my heart.«

Ein ganz großes Stück Musik! Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Hingabe die Truckers spielen und die LaVette singt.
Ruhig lassen die Protagonisten das Album mit "I Guess We Shouldn't Talk About That Now" ausklingen und hinterlassen einen vor Begeisterung mit der Zunge schnalzen.
Die Tatsache, dass Bettye LaVette nie aufgegeben hat, zahlt sich jetzt aus. Von so manchem Nebengleis hat sie auf die Hauptstrecke zurück gefunden und nun mit den Drive-By Truckers bewiesen, welche Qualitäten in ihr stecken und was so alles möglich ist. Da man ja nie so genau weiß, was die Zukunft bringen wird und ob es zu einer weiteren LaVette/DBT-Kooperation kommen wird, veranlassen die gut 42 Minuten "The Scene Of The Crime" 9 von 10 RockTimes-Uhren zu vergeben. Einmalig!
Line-up:
Bettye LaVette (all vocals)
Spooner Oldham (Wurlitzer, piano)
Mike Cooley (guitars)
Patterson Hood (guitars)
John Neff (guitars, pedal steel)
Shonna Tucker (bass)
Brad Morgan (drums)
David Hood (bass - #5, 6, 8)
Sum Haque (piano - #6, 9)
Kelvin Holly (guitar - #6)
Tracklist
01:I Still Want To Be Your Baby (Take Me Like I Am) (3:45)
02:Choices (3:04)
03:Jealousy (5:36)
04:You Don't Know Me At All (3:58)
05:Somebody Pick Up My Pieces (5:22)
06:They Call It Love (3:57)
07:The Last Time (2:58)
08:Talking Old Soldiers (4:26)
09:Before The Money Came (The Battle Of Bettye LaVette) (4:30)
10:I Guess We Shouldn't Talk About That Now (3:46)
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