Jon Lord / Concerto For Group And Orchestra
Concerto For Group And Orchestra Spielzeit: 175:00 (Blu-ray), 46:02 (CD)
Technik:
Bildseitenformat: 16:9 - 1.77:1
FSK: Ohne Altersbeschränkung
Medium: CD/Blue-ray
Label: earMUSIC, 2013
Stil: Klassik

Review vom 02.11.2013


Jürgen Hauß
Die Studio-Einspielung des genialen Concerto For Group And Orchestra ist bekanntermaßen das musikalische Vermächtnis des ebenso genialen Jon Lord geworden, denn dieser ist nach Abschluss der Aufnahmen, jedoch noch vor Veröffentlichung der CD aufgrund einer Krebserkrankung im vergangenen Jahr verstorben. Hierauf wurde bereits im diesbezüglichen RockTimes-Review einleitend hingewiesen. Jenes Reviews sei an dieser Stelle demjenigen zur Lektüre wärmstens empfohlen, der etwas über die musikalische Qualität der Einspielung erfahren möchte, denn hierauf will ich in meinem Beitrag nicht eingehen. Vielmehr präsentiert die vorliegende Blu-ray-Ausgabe (neben der Beigabe der Musik-CD mit dem kompletten "Concerto") das, was sich Steve seinerzeit abschließend gewünscht hatte: Eine 'Making of'-Dokumentation über die Studio-Einspielung.
Zunächst beginnt die vorliegende Dokumentation aber mit der Wiedergabe eines Dialogs zwischen Jon Lord und dem Dirigenten der 1969er Uraufführung, Sir Malcolm Arnold bei den seinerzeitigen Proben sowie - genauso wie die später auf DVD veröffentlichte Dokumentation jenes Konzertes - mit den Schlusssequenzen des "Third Movement", gefolgt von der (in meinen Ohren) 'klassischen' Einführung in das Kommende mit den Worten aus dem 'Off': »It happened in London. It happened in the Royal Albert Hall. The world premiere of a "Concerto For Group And Orchestra" by Jon Lord«.
Doch recht bald erfolgt der Schnitt in die Zeit der aktuellen Aufnahmen, die im Zeitraum Juni 2011 bis Mai 2012 stattfanden. Sie beginnen mit den Aufbauarbeiten für das Orchester in der Liverpool Philharmonic Hall. Schnell wird deutlich, dass das vorliegende "Concerto" nicht - wie die Live-Einspielungen - zugleich von allen beteiligten Musikern eingespielt wurde, sondern zunächst die Aufnahmen der Orchester-Parts erfolgten, auf die die Rockmusiker ihre Parts - ebenfalls weitgehend einzeln und nacheinander 'draufsetzten'. Vielleicht hat auch diese Technik dazu geführt, dass nicht alles gänzlich homogen wirkt, weil z. B. - wie Steve dies so treffend beschreibt - der Drummer Brett Morgan »nahezu jeden seiner Parts hemmungslos 'zerprügelt'«.
Die Proben fanden in entspannter, auch humorvoller Atmosphäre statt, was in den Bildern und Wortwechseln gut zum Ausdruck kommt. Dazu passt die Szene, in der der Dirigent der Aufnahme, Paul Mann, vor den weltberühmten Abbey Road Studios steht und von den anstehende Aufnahmen erzählt, die an diesem Tag hierin erfolgen sollen. Plötzlich laufen aus dem Menschengetümmel davor die Beatles über die Straße, jedenfalls aber Personen, die sich so geben wie die Mitglieder der Band im Jahr 1969 ausgesehen haben. Nettes Gimmick für die Touristen und im vorliegenden Zusammenhang eine nochmalige Reminiszenz an die Uraufführung.
Die Aufnahmen zeigen deutlich, dass die Musiker des Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, die das "Concerto" schon mehrfach aufgeführt haben, mit Begeisterung bei der Sache sind - ganz im Gegenteil zu den Musikern des (Londoner) Royal Philharmonic Orchestra im Jahr 1969, die das Werk eher gezwungenermaßen spielten. Die Aufnahmen dokumentieren des Weiteren eindrucksvoll, dass Jon Lord bis zuletzt an seinem "Concerto" weiter gearbeitet hat. Mehrfach nimmt er offensichtlich noch während der Einspielung Korrekturen an der Partitur vor und diskutiert Änderungen mit Paul Mann, der auch schon bei der 1999er-Aufführung des Werkes mit an Bord war und seitdem zahlreiche weitere Darbietungen des "Concerto" dirigiert hat.
Auch mit den Musikern ist Jon Lord in ständigem Austausch darüber, wie er sich deren Interpretation vorstellt. Nett ist in diesem Zusammenhang eine Sequenz mit Joe Bonamassa, die den Eindruck vermittelt, dass Jon irgendwann freundlich resigniert abwinkt nach dem Motto: »Was soll ich dem denn überhaupt erzählen, der macht ohnehin sein eigenes Ding - und das wird gut!«
Alle Beteiligten geben in zahlreichen Wortbeiträgen einen Eindruck davon, was sie bei der Einspielung des "Concerto" empfunden haben, was das Ganze sehr persönlich erscheinen lässt. Beeindruckend ist insbesondere die Sequenz, in der Jon Lord allein im Studio an seiner 'Schweineorgel' steht und einen Solo-Part einspielt - in einer Situation, in der er schon von seiner Krebserkrankung weiß, und all seine Wut über diese Diagnose zum Ausdruck bringt. Nach Beendigung dieses Parts scheint er von Selbstzweifeln geplagt zu sein, ob das Ergebnis akzeptabel sei, da dieses wohl seine letzte Einspielung sein wird, doch Paul Mann umarmt ihn herzlich. Gänsehaut pur in der Erkenntnis, dass Jon kurze Zeit später verstarb.
Der Betrachter erfährt zudem, dass Jon Lord das "Concerto" ursprünglich ohne ein Mitglied von Deep Purple einspielen wollte, um zu dokumentieren, dass es sein "Concerto" und nicht das der Band sei. In der Erkenntnis jedoch, dass man niemand finden würde, der die geniale Interpretation von Steve Morse beim 1999er Konzert erreichen würde, entschieden sich Jon Lord und Paul Mann letztendlich doch dafür, den Gitarren-Part im "Third Movement" von ihm spielen zu lassen. Wie Steve Morse da in kurzer Hose und Muscle-Shirt im Studio sitzt, das hat schon etwas Komödiantisches. Dabei spielte er innerhalb kürzester Zeit insgesamt drei Soli ein, von denen eines letztendlich ausgesucht wurde.
Das beiliegende 16-seitige Booklet ist eine nahezu vollständige Adaption des Booklets der CD-Ausgabe, wenn auch mit einigen Umstellungen. So ist der seinerzeitige Nachruf von Paul Mann nicht mehr am Ende abgedruckt (vielleicht war damals alles andere bereits fertig produziert, als der Nachruf notwendig wurde), sondern findet hier - quasi als Präambel - einleitend eine besondere Geltung, was der Bedeutung der Dokumentation als musikalisches wie bildliches Vermächtnis noch mehr gerecht wird. Leider sind einige Fotografien im Unterschied zur Originalausgabe in schwarz-weiß gehalten oder fehlen gänzlich, so insbesondere Bilder, die Jon Lord und Paul Mann bei ihrer engen Zusammenarbeit zeigen - schade!
Dass die Musikwelt seit nunmehr 15 Jahren überhaupt in den Genuss des "Concerto" kommen kann (jedenfalls jenseits der Original-Einspielung aus dem Jahr 1969) haben wir - neben selbstverständlich Jon Lord himself - in erster Linie einem einzigen Menschen zu verdanken, dem holländischen Komponisten Marco de Goeij. Dieser war es, der Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts auf der Suche nach der Partitur feststellen musste, dass diese offenbar vollständig verloren gegangen war. Statt hierüber zu resignieren, machte er sich in mühsamer Kleinarbeit daran, das Werk abzuhören und wieder Note für Note zu Papier zu bringen. Hierauf wird zum einen in den umfangreichen Liner-Notes eingegangen; zum anderen erfährt Marco de Goeij eine besondere Würdigung dadurch, dass er in den Credits an erster Stelle genannt wird.
Vorliegend wird seine Leistung zudem zum einen dadurch dokumentiert, dass er bei der Einspielung anwesend ist und sich mehrfach mit Jon Lord über den 'richtigen' Ton austauscht. Zum anderen darf er in einem längeren Interview, das zum Bonusmaterial der Disc gehört, diese Vorgeschichte ausführlich erzählen. Das ist schon sehr interessant und spannend!
Das Bonusmaterial beginnt allerdings mit einem 44-minütigen Interview mit Paul Mann, in dem dieser sich sehr ausführlich über die Bedeutung des "Concerto" für ihn persönlich und für die gesamte Musikwelt sowie über sein Verhältnis zu Jon Lord äußert. Auch beschreibt er in geradezu offener Intimität, welchen Einfluss Jons Krankheit auf die vorliegende Einspielung hatte. Das Interview wird unterlegt durch zahlreiche Filmaufnahmen sowohl von dem 1999er Konzert wie auch von den aktuellen Aufnahmen. Dass es hier zahlreiche 'Doubletten' zur 'Making of'-Dokumentation gibt, tut dem positiven Gesamteindruck keinen Abbruch.
Dies gilt auch für den dritten Teil des Bonusmaterials "Up Close & Personal (Orchestral Recording Sessions)". Die - unkommentierten - Aufnahmen sind in der Tat sehr nah und persönlich und liefern sehr eindrucksvolle Bilder von den Orchesteraufnahmen. Jon zeigt sich hier - noch nicht von der schweren Erkrankung gezeichnet - von seiner humorvollen Seite, wie sie auch in Live-Auftritten vielfach rüber kam, indem er den Musikern zahlreiche Anekdoten aus seinem bewegten Leben erzählt. Leider - das muss an dieser Stelle einmal kritisch angemerkt werden - kommt der Ton insbesondere bei diesen 'Schnappschüssen' nicht immer gut genug rüber, um wirklich alles verstehen zu können, wenn man kein ausgebildeter Simultan-Dolmetscher ist. Da die Blu-ray-Disc weder über Untertitel noch gar über die Möglichkeit, eine andere Sprache zu wählen, verfügt, muss man sich manchmal schon sehr konzentrieren, wenn man den Gesprächen folgen will.
Ansonsten gibt es nichts Kritisches zur Technik zu sagen. Die Bilder sind - insbesondere im Vergleich zu den Aufnahmen von 1969 - brillant. Die Schnitte sind in Ordnung.
Schließlich gibt es auf der Scheibe noch eine 5.1 Audio-Version des "Concerto" für Hörer mit einem entsprechenden Equipment. Das Ganze ist eine im wahrsten Sinne des Wortes 'runde Sache' und komplettiert - ich wiederhole mich nur zu gerne - Jon Lords musikalisches Vermächtnis. Der Betrachter erfährt unheimlich viel - und auch viel Neues - zur Vorgeschichte und zum Hintergrund der Aufnahme.
Jedem Fan von Jon Lord und insbesondere seinem "Concerto" sei diese Dokumentation dringend und wärmstens empfohlen, es sei denn, er hat bereits im vergangenen Jahr die inhaltlich weitestgehend identische DVD-Box erworben. Allein der Bonus-Beitrag "Up Close & Personal (Orchestral Recording Sessions)" macht eine Neuanschaffung nicht wirklich notwendig. Für die etwas ältere Ausgabe spricht hingegen, dass sie einem Hardcover-Buch beigelegt ist. Dieses liegt mir nicht vor; der diesbezügliche Pressetext enthält aber folgenden Hinweis: »Das 80-seitige Buch arbeitet die lange Geschichte des Concertos seit 1969 auf und zeigt dabei interessante Zeitdokumente«. Damit wird das 'Making of' noch detailreicher. Dafür aber ist die DVD zumindest derzeit auch teurer in der Anschaffung.
Je öfter ich mir die vorliegende Dokumentation anschaue, desto schmerzhafter wird mir bewusst, welchen großen Verlust die Musikwelt mit dem Tod von Jon Lord erlitten hat.
Line-up:
Jon Lord (Hammond organ)
Royal Liverpool Philharmonic Orchestra - Conductor Paul Mann
Bruce Dickinson (vocals - #2)
Steve Balsamo (vocals - #2)
Kasia Łaska (vocals - #2)
Darin Vasilev (guitar - #1)
Joe Bonamassa (guitar - #2)
Steve Morse (guitar - #3)
Guy Pratt (bass)
Brett Morgan (drums)
Tracklist
Blue-ray:
Jon Lord - The Making Of "Concerto For Group And Orchestra" (48:00)

Bonus:
Interview with Conductor Paul Mann (43:40)
Interview with Marco de Goeij (15:07)
Up Close & Personal (Orchestral Recording Sessions) (20:07)[exclusive to this format]
Concerto For Group And Orchestra - 5.1 Audio (46:45)
CD:
01:Moderato - Allegro (16:20)
02:Andante (19:34)
03:Vivace - Presto (10:48)
Externe Links: