Nachruf / Zum Tod von Jon Lord
R.I.P.

Nachruf vom 20.07.2012

                 
Steve Braun                       Marius Gindra

                 
Jürgen Hauß                       Markus Kerren 
Jonathan Douglas 'Jon' Lord (09.06.1941 - 16.07.2012)

SteveJon Lord ist tot... so richtig überraschend erreichte mich diese Nachricht nicht. Als er im vergangenen Dezember in einem bewegenden Statement seine Bauchspeicheldrüsenkrebserkrankung öffentlich machte, war jedem halbwegs mit Krankheitslehre Vertrautem klar, dass der Hammond-Virtuose gerade um sein Leben kämpft. Diese Krebsform hat wohl mit die schlechteste Prognose. Wie so oft, wenn jemand mit dieser Krankheit ringt, trat nach der Diagnose eine kurzfristige Besserung ein, der offenbar (medial wurde das zum Glück nie aufbereitet) eine rasante Verschlechterung folgte. Spätestens als Jon Lord einen für Mitte Juli geplanten Auftritt in Deutschland, mit dem Philharmonieorchester Hagen, absagen musste, war der Ernst der Lage sonnenklar...

Die sich überschlagende Zahl von Todesfällen in den letzten Jahren ist schockierend. Mit jeder neuen Todesnachricht wird mir nicht nur bewusster, dass nun die gesamte Musikergeneration abtritt, mit der ich musikalisch groß geworden bin. Nein, gerade die eigene Endlichkeit wird schonungslos vors Auge geführt - jedes Mal fühle ich mich mit einer persönlichen Lebensbilanz konfrontiert.

Jon Lord hat mich vor ziemlich genau vierzig Jahren in die richtige Richtung 'geschubst'. Ihm verdanke ich ebenso meine musikalische Sozialisation, wie die Begeisterung, selbst Musik zu machen. Ohne ihn wäre meine musikalische Entwicklung in völlig anderen Bahnen abgelaufen...
Es war die "Deep Purple In Rock", die mir ein Freund mit dem Kommentar »Musste unbedingt hören!!« auf dem Schulhof in die Hand drückte. Seinerzeit hatte ja die Entdeckung von neuer Musik etwas geradezu Mystisches - etwas, das man den - sagen wir mal - ab 1980 Geborenen heute nicht mehr vermitteln kann. Und etwas, was mir selbst heute, im digitalen Zeitalter, gerade bei solchen Todesnachrichten schmerzhaft bewusst wird: Musik wird heute konsumiert - damals wurde sie gelebt!! Entschuldigung, ich 'schwoff' gerade ab...
Bei der "Deep Purple In Rock" war ich stehen geblieben: Nach Blackmores infernalischer Einleitung zu "Speed King" fesselten mich Kirchenorgelklänge und fortan hatte ich nur noch Ohren für den Organisten. Meine Präferenzen unterschieden sich deutlich von denen meiner Klassenkameraden und Freunden: Den Mädels wurde bei Gillans Stimme, den Jungs bei Blackmores Gitarre feucht im Schritt - mich faszinierte einzig Jon Lords Hammond. Orgel kannte ich bis dato nur von der schröcklichen "Happy Hammond 1" eines gewissen Franz Lambert, mit der Vaddern allsonntäglich den Familienfrieden erheblich zu stören pflegte.

Ich muss dazu sagen, dass ich damals klassischen Klavierunterricht hatte. Spätestens nachdem ich Jon Lords abgefahrenes Solo in "Hard Lovin' Man" gehört hatte, bekniete ich meine Eltern, Orgel lernen zu dürfen und ich bekam meinen Willen, auch wenn sie dies später bereut haben dürften. Eine Hammond war natürlich nicht drin, zu der kam ich erst sehr viel später. Eine Farfisa musste also erstmal ausreichen.
Die Art und Weise - mal perkussiv, mal brüllend oder fauchend, mal sphärisch - wie Jon Lord seine Hammond traktierte war und ist einzigartig. Außer Keith Emerson drang nie ein Organist in diese Dimensionen vor. Auch und gerade weil dem so war, musste schließlich der Synthesizer seinen Siegeszug antreten... Grundgütiger, was mich diese 'gesampleten' Sounds anöden!!

Ich weiß natürlich nicht, was meine geschätzten Kollegen für diesen Nachruf in diesem Augenblick zu Jon Lord und Deep Purple schreiben, so will ich mich kurz Lords Aktivitäten abseits seiner 'Hausband' widmen. Denn: Das Korsett Deep Purples wurde einem musikalischen Genie wie Jon Lord geradezu zwangsläufig zu eng.
Jon Lord kam vom Blues und Jazz, hatte aber zeitlebens eine sehr enge Affinität zur Klassik. Er war einer der ersten Wegbereiter der (folgerichtigen) Verbindung von Hard Rock und Klassischer Musik. Sachen wie "Concerto For Group And Orchestra" waren nur der Startschuss zu Projekten, die langfristig schlecht ins Konzept Deep Purples passten. Erinnert sei hier an die "Gemini Suite", die er in Zusammenarbeit mit Eberhard Schoener und dem Münchner Kammerorchester sowie dem London Symphony Orchestra zur Aufführung brachte. Neben eigenwilligen Kompositionen wie auf dem 2005er Album Beyond The Notes waren es immer wieder moderne Orchestermusiken, mit denen Jon Lord zu glänzen wusste. Exemplarisch seien hier "Disguises (Suite For String Orchestra)" und das "Durham Concerto" genannt.

Im Jahr vor der tödlichen Diagnose kehrte Jon Lord (mal wieder) zu seinen Wurzeln, die im Blues lagen, zurück. Seinem Jon Lord Blues Project lag man auch (und gerade) hierzulande zu Füßen.
Welche Großtaten uns mit seinem Tod entgangen sind, was uns nun fehlen wird, kann man wohl erst im Laufe der Zeit realisieren... Jon Lord - Du fehlst schon jetzt!!
Steve Braun

MariusNun auch ein paar huldigende Worte vom Jüngsten. Normalerweise würden 95% meiner Gleichaltrigen, wenn sie den Namen Jon Lord hören, nur mit einem fragenden und dumm aus der Wäsche schauenden Blick antworten. Aber es gibt ja immer noch Ausnahmen... Als ich am Montagabend durch meinen Vater jedenfalls erfuhr, dass der einstige und einzig wahre Keyboarder von Deep Purple mit 71 Jahren von uns gegangen ist, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Zwar wusste ich bereits seit August letzten Jahres von seiner Krebserkrankung, doch wenn es dann immer so schnell geht, ist es schon ein Schock. Das gleiche Szenario hatten wir vor zwei Jahren mit einem anderen ganz Großen des Rock'n'Roll-Universums ja schon einmal...

Ich hole mal ein wenig aus: Ab dem zarten Alter von fünf, sechs Jahren, einer Zeit im Leben, in der man langsam anfängt, seine Außenwelt bewusst wahrzunehmen, konfrontierte mich mein Vater teilweise bewusst, teilweise unbewusst mit seiner Musik. Seine Lieblingsband: Deep Purple, die er nahezu fanatisch verehrte, von der er damals wirklich jeden auf Konserve gebannten Furz sammelte. Und da man als kleiner Junge bekanntlich immer am liebsten seinem männlichen Vorfahren nacheifert, begann auch ich langsam, mich für diese laute, rebellische und reizende Musik zu interessieren.
So sollten Deep Purple ziemlich schnell mein erster, bewusster Kontakt mit harter Rockmusik werden. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen: An meinem siebten Geburtstag, dem 18. Januar 1998, bekam ich von einem Kumpel meines Vaters die erste, eigene Full-Length-CD meines Lebens geschenkt: "Smoke On The Water - The Best Of" von Purple, eine Compilation der besten Tracks von 1968 bis 1976, die ich beim Schreiben dieser Zeilen wieder einmal in den Player schmiss. Mein allergrößtes Idol der Band war und wird zwar immer Ritchie Blackmore sein, doch das Zusammenspiel von Lord und meinem langjährigen Gitarrenhelden entfaltete für mich schon immer geradezu magische Kräfte.

Da waren auf der einen Seite das völlig geniale, unverkennbare Gitarrenspiel von Ritchie, auf der anderen Seite das von Klassik beeinflusste, unnachahmliche Keyboard von Jon Lord. Obwohl er seine Einflüsse hauptsächlich aus der Klassik und dem frühen Blues bezog, versprühte seine erhabene Hammond 100-prozentiges Rock'n'Roll-Flair. Keiner konnte in der Rock-Welt schöner, melancholischer ("Child In Time", das wohl größte Purple-Monument aller Zeiten und für mich das allererste Hard Rock-/Heavy-Epos!!!) und gefühlvoller die schwarz-weißen Tasten bedienen, als der früher stets mit cooler Porno-Sonnenbrille und Dauerwelle gesichtete Tastenmagier. Und auch bei meinem ersten Hard Rock-Konzert (Deep Purple 1998 in der August-Schärttner-Halle in Hanau) stand Jon noch mit auf der Bühne. Seinerzeit waren seine Haare zwar schon ergraut, doch von seinen Spielkünsten hatte er absolut nichts eingebüßt. Ein weiteres Highlight sollte für mich 2000 (da hatte ich immerhin stramme neun Lenze auf dem Buckel...) die Neuaufführung des 1969 uraufgeführten "Concerto For Group And Orchestra" in der Frankfurter Festhalle werden, bei dem Deep Purple mit einem ganzen Orchester auf der Bühne standen. Ebenfalls als Gast mit dabei: Ronnie James Dio...

Mit dem Ausstieg von Jon bei Deep Purple 2002 war die Band (sicherlich nicht nur) für mich endgültig gestorben. Keineswegs ist sein Nachfolger Don Airey ein schlechter Musiker, doch für mich gab und gibt es bei ihnen nur einen wahren Keyboarder und einen wahren Gitarrenhexer (was bei den 'Purpurnen' schon seit Mitte der 90er Steve Morse ist...).

Egal ob nun bei Purple, Whitesnake oder auch solo: Jon Lord war ein Meister seines Fachs und in den Herzen aller echten Rock-Fans wird er ewig weiterleben:
R.I.P., Maestro! Vielen Dank, dass Du meinen Musikgeschmack mitgeprägt hast!
Marius Gindra

JürgenMeine Begegnungen mit Jon Lord
Sommer 1971: Mit der Jugendgruppe meiner Kirchengemeinde mache ich eine Ferienfreizeit in einem kleinen Eifelort an der belgischen Grenze. Ein Freund leiht mir seinen Philips-Kassettenrecorder, mit dem ich mich auf eine sonnige Wiese verziehe und der daraus dudelnden Musik hingebe. Völlig unerwartet ertönt plötzlich Orgelspiel und ein stark nach klassischer Musik klingendes Werk beginnt: "April"! Diese zwölf Minuten Musik faszinieren mich derart, dass ich das Band ständig zurückspule und wieder und wieder abspiele. Nur der sorgfältig beschriebenen Hülle der Kompakt-Kassette kann ich entnehmen, dass es sich dabei um einen Song von Deep Purple handelt. Bis dato hatte ich die Band ausschließlich der Sparte Rockmusik zugeordnet - und nun dieses! Als Klavierschüler war ich seinerzeit schon sehr vom Orgelspiel angetan, so dass ich seit diesem Zeitpunkt das Schaffen von Jon Lord sehr aufmerksam verfolgt habe.

Sommer 2000: Mit meiner Familie mache ich Urlaub auf den Inseln der Kykladen. Dazu gehört mehrfaches Insel-Hopping per Fähre, vorzugsweise in der Nacht. Mittlerweile im Besitz eines tragbaren CD-Spielers, lausche ich ähnlich verzückt wie seinerzeit "April" nunmehr der Neueinspielung des "Concerto For Group And Orchestra". Bei sternenklarem Himmel am Oberdeck der Fähre lässt es sich beim Hören des 50-minütigen Werks herrlich dahinträumen. Auch stetes Drücken der Repeat-Taste macht das Werk niemals langweilig, zu facettenreich ist die Musik.

Winter 2003: Jon Lord hat - für mich unvorstellbar - Deep Purple endgültig verlassen, um sich anderen Projekten widmen zu können. Eines davon stellt ein spontanes Konzert mit den Hoochie Coochie Men in einem kleinen Club in Sydney dar. Die dabei entstandene Do-CD "Live At The Basement" (auch als DVD erschienen) ist ein tolles Dokument über den Blues-Liebhaber Jon Lord. Dieser Lückenbüßer kommt nicht nur bei mir in diesen dunklen Wintertagen gut an, denn einige Jahre später kommt es noch zu einer gemeinsamen Studioaufnahme.

Herbst 2011: Die Liebe zum Blues lässt Jon Lord gemeinsam mit einigen Alt-Stars Jon Lord's Blues Project gründen, mit dem er im Sommer des Jahres einige Konzerte absolviert und nun eine Tour u.a. durch Deutschland plant. Für das angekündigte Konzert im Brückenforum in Bonn im November habe ich bereits Karten für mich und meine Bandkollegen erworben, um - endlich - Jon Lord auch live-haftig zu begegnen. Doch im August 2011 die traurige Nachricht über die Krebserkrankung des Künstlers sowie die Absage der Tour (einige Konzerte werden mit Brian Auger an seiner Stelle gegeben). Was aus dieser Zeit als Erinnerung bleibt ist die hervorragende Live-Einspielung eines am 14. Mai 2011 in Rottweil gegebenen Konzertes sowie zahlreiche DVD-Dokumente hiervon auf youtube.

Persönlich bin ich Jon Lord nie begegnet. Die letzte konkrete Chance wurde aufgrund seiner schweren Krankheit - und in der heutigen Erkenntnis endgültig - verhindert. Musikalisch ist er mir über vier Jahrzehnte immer wieder - und nicht nur in den beschriebenen Momenten - begegnet. Dabei hat er mir mit seiner unverwechselbaren 'Schweineorgel' unendlich viel gegeben; hierfür bin ich ihm auf ewig dankbar!
Jürgen Hauß

MarkusIch gebe es gern zu, dass ich nicht allzuviel Hoffnung hatte, dass sich der Tastengott, Hammond-Zähmer und geniale Komponist Jon Lord nochmal vollständig erholen würde, als ich erfuhr, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war. Schließlich hatte die äußerst heimtückische Form dieser Krankheit in den letzten Jahren (neben unzähligen anderen Menschen) auch bereits
Willy DeVille und Ronnie James Dio ins Jenseits befördert...

Zwar von tiefer Trauer umgeben, will ich aber hier nicht noch mehr Trübsal blasen, sondern vielmehr das Leben eines großartigen Musikers würdigen, feiern und ehren! Sicherlich und auf gewisse Weise auch zu Recht wird der Name Jon Lord für immer und hauptsächlich mit der Band Deep Purple in Verbindung gebracht werden, die er mitbegründete und mit der er riesige Erfolge feiern konnte. Ich bin sicher, dass die ebenfalls zu diesem Trauerfall schreibenden Kollegen bereits intensiv auf diese Kapelle eingehen werden, weshalb ich lieber mal auf die Solo-Projekte des Engländers schielen möchte.

Nach dem "Concerto For Group And Orchestra" (1969/70, mit der kompletten Band und unter deren Namen veröffentlicht), erschien 1974 "Windows", das erste Solo-Album von Jon Lord mit sehr vielen Gästen aus dem Rock-Sektor und dazu einem Münchener Orchester unter der Leitung von Eberhard Schoener. Gerade mal zwei Jahre später dann das Meisterwerk mit dem Namen "Sarabande" (ebenfalls in Zusammenarbeit mit Schoener).

Jon Lord hatte während, zwischen und nach Deep Purple immer wieder eigene Projekte am Laufen, wobei sein mehrjähriges Gastspiel bei Whitesnake wohl am ehesten bekannt sein dürfte. Hinweisen möchte ich aber gerne noch auf die Alben von Ashton & Lord ("First Of The Big Bands") und Paice, Ashton & Lord ("Malice In Wonderland"), die seit ihres Erscheinens nahezu unbekannt und unterbewertet blieben.

Jon Lord war der erste Keyboarder, der mich in wahre Begeisterungsstürme versetzen konnte. Und wie!!! Die Rock-Welt hat einen weiteren ganz großen Könner verloren und sie ist wieder mal ein bisschen ärmer geworden! Darüber, wie Tasteninstrumente in dieser Sparte ohne einen Vorreiter wie Lord in den letzten vierzig Jahren geklungen hätten, kann nur spekuliert werden. Sicher ist aber, dass der Name und die Person Jon Lord für die Ewigkeit einen Platz auf einem ganz hohen Podest des Rock-Olymps nicht nur verdient, sondern auch sicher hat!

Rest in peace, brother! Und zeig' den ganzen Claydermans (no pun intended) jetzt auch mal von da oben, wo der richtige Tasten-Hammer hängt!!!
Markus Kerren
Jon Lord
Painting by Evi Ivan
If you're leaving close the door
I'm not expecting people anymore
Hear me grieving, I'm lying on the floor
Whether I'm drunk or dead I really ain't too sure
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