Leichenwetter / Zeitmaschine
Zeitmaschine Spielzeit: 60:31
Medium: CD
Label: Echozone, 2011
Stil: Gothic Metal

Review vom 15.09.2011


Sabine Feickert
Die "Zeitmaschine" angeworfen haben die Leichenwetter-Jungs und bieten auf diesem Silberling Neueinspielungen ihrer 14 besten Songs plus eine neue Nummer an. Da die Scheiben der Truppe rund um Sänger Numen bisher an mir vorübergingen, bietet mir "Zeitmaschine" die gute Gelegenheit, einen Einblick in das Werk der Band zu verschaffen. Die Texte sind von der Zeitreise mitgebracht, einmal kreuz und quer durch die deutsche Literatur, die Musik dazu stammt ganz eindeutig aus dem Heute.
Bis in das Zeitalter des Barock haben die Musiker sich zurückgebeamt und dort einen Dichter ausgebuddelt, der mir als Schrecken meiner Schulzeit in Erinnerung geblieben ist: Andreas Gryphius, barocker Jammerbarde (1616 - 1664), der bei der Behandlung der Gedichtform Sonett reichlich strapaziert wurde. Wenn ich jedoch alte Schultraumata beiseite stelle und mich auf die Leichenwetter'sche Version konzentriere, staune ich nicht schlecht, wie gut diese altertümliche Lyrik mit ihrer Vergänglichkeitsthematik zu gruftigen Synthies und Beats passt.
Nicht ganz so alt sind die weiteren Mitbringsel von der literarischen Zeitreise, Gottfried August Bürger (1747 - 1794) und Friedrich Schiller (1759 - 1805) als Repräsentanten des 18. Jahrhunderts. Gerade Schillers "Sehnsucht" überzeugt durch zeitlose Aktualität und konnte wohl auch durch die mehr als eingängige Melodie - die nur durch brüchige Stimmen und kratzigen Sprechgesang, sowie etwas dissonante Instrumentierung vor dem Abrutschen ins Schnulzige bewahrt wird - unseren Ulli zum Luftgitarre-Spielen und Mitsingen bewegen.
Viel zu beschwingt und leicht werden Annette von Droste-Hülshoffs (1797 - 1848) "Letzte Worte" eingeleitet, doch schon nach den ersten Takten wird es düster, fast schon zu düster für diesen eigentlich doch tröstlichen Text, den ein Sterbender an seine Geliebte richtet und sie darum bittet:
»Geliebte, wenn mein Geist geschieden,
so weint mir keine Träne nach;
Dort, wo ich weile, dort ist Frieden,
Dort leuchtet mir ein ewiger Tag!«

Der Tod - ein großes Thema in der Literatur - findet sich auch in Georg Trakls (1887 - 1914) "Klage", in der Leichenwetter den expressionistischen Text mit ebensolchen Klängen untermalt. Hall und knarzige Töne unter dem dramatischen Gesang erzeugen eine beklemmende und geheimnisvolle Stimmung, die durch treibende Gitarren und Drums den Bezug zur Jetztzeit bei aller Zeitreise nicht verliert. "Allerseelen", ebenfalls von Trakl, und gleichzeitig ein hoher katholischer Feiertag, beginnt mit orientalisch anmutenden Klängen. Ob es Zufall oder augenzwinkernde Ironie ist, dass das 'Aller-Allerseelen' im Refrain ganz stark nach 'Allah' klingt, bleibt der Fantasie und Einschätzung des geneigten Hörers überlassen.
Als letztes Mitbringsel der Zeitreise möchte ich an dieser Stelle noch Hermann Hesses (1877 - 1962) "Nebel" hervorheben, der als Leichenwetter-Lied vertont gut in die jetzt anstehende Herbstzeit passt - düster und grau, einsam und trübselig liefert er die passende Atmosphäre für diese Musik.
Ach ja, die Musik - vielleicht doch noch ein paar Takte dazu. Leichenwetter-Gesänge sind schon ziemlich eigen und lassen sich in keine Schublade stecken. Sie sind düster, metallisch, schleppend. Synthies und Beats lassen ein Stück weit an die Neue Deutsche Härte denken, doch die echte Verwandtschaft zu Rammstein und Konsorten mag ich nicht erkennen. Experimentell und nicht unbedingt massenkompatibel fällt mir dazu Eden weint im Grab , [die!] oder auch Kalt ein. Stellenweise arbeiten sie mit dem Rezept, eingängige, ja fast schon gefällige Melodien mit harten Beats zu unterlegen, so wie das auch Unheilig oder Weto praktizieren. Leichenwetter bleiben dabei aber dissonanter und sperriger.
Line-up:

Numen (Gesang, Geschrei, Geflüster)
Dawe (Feuerharfe, Chor)
Lord Hur (Subharmonie, Chor)
RaweN (Schlagwerk)
Der Voigt (Orchestraler Navigator)

Tracklist
01:Altes Lied
02:Und die Hörner des Sommers verstummten...
03:Schwanenlied
04:Im Nebel
05:Nur dich
06:Klage
07:Die Zeit geht nicht
08:Dort und hier
09:Allerseelen
10:Feuerharfe
11:Verführer
12:Mutter
13:Menschliches Elende
14:Sehnsucht
15:Letzte Worte
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