Ja zum Schlack, was geht denn hier ab? Vergangenes Jahr, Ende Mai, habe ich diese Band besprochen. Und zwar deren Debüt Vernal Equinox. So weit, so gut. Nur, jetzt liegt der neue Output vor mir und auf der (neuen) Bandseite wird dieser als Debüt vorgestellt. Weder dort, noch auf der MySpace-Page oder im Shop irgendwas vom Vorgänger. Bis auf einen Song auf MySpace. Aber damit nicht genug: Bis auf Colin Peterik ist auch die Besetzung eine komplett andere.
Neue Musiker + neuer Beginn = neues Debüt?
Mir soll's recht sein, obwohl mich das Studium des Booklets erst unsicher machte, denn die Vorfreude war enorm, hatte ich "Vernal Equinox" damals doch mit der von mir sehr selten eingesetzten Tipp-Grafik geadelt. Kann das neue Line-up den Standard halten? Nach dem Weiterlesen huschte aber ein Anflug freudiger Spannung über meine in Falten gelegte Stirn, denn zur damaligen, bis auf die Trompete in einem Song, eher klassischen Rockbesetzung gesellen sich hier, neben der Trompete, weitere, von mir geliebte Instrumente wie Posaune, Flöte und Saxofon. Das alles unter der Überschrift »Progressive - Jam Rock«. Das könnte sich zum Freudenfest für den Rezensenten entwickeln. Ein Titel des Vorgängers, "Paradox", um genau zu sein, war im letzten Jahresrückblick mein »Song des Jahres«.
Nun kuck ich mir erst noch die 'neue Band' an. Dass Colin Peterik, die einzige Konstante, der Sohn von Jim Peterik (den kennen wir von The Ides of March, Pride Of Lions, Survivor) sein soll, sagte ich?
Gitarrist Phill Miller hat ein l zu viel und ist somit nicht identisch mit dem britischen Fusion- und Prog-Gitarristen Phil Miller. Drummer Jamie hat wohl zwei Seiten im Web, ist mir ansonsten aber auch bisher nicht aufgefallen und über den Herrscher der dicken Saiten, Corey Kamerman finde ich keine alten Spuren im Netz.
Die Sucherei im Netz brachte aber auch zu Tage, dass "Actress" das zweite Album der Band ist (welch Wunder, steht das erste doch in meinem Regal) und somit die Aussage auf der Homepage von Lobster Newberg wohl ein Versehen ist. Um wegen der unterschiedlichen Musiker auf Nummer sicher zu gehen, habe ich auf "Vernal Equinox" nachgeschaut, ob ich mich damals nicht verzettelt habe. Fehlanzeige, das damalige Line-up war korrekt. Also rein mit der Scheibe in den Player und geschaut, ob der Colin auch hier bessere Musik abliefert, als Papa Jim.
Das tut er und mit absoluter Sicherheit wird in meinem Jahresrückblick 2009 wieder eine Nummer von Lobster Newberg stehen. Nur welche? "Actress" hat genügend Anwärter. Eigentlich könnte ich nun aufhören zu schreiben, denn ich wollte schon immer mal das kürzeste Review ins Netz stellen. Vater des Gedankens sind Beispiele auf anderen Seiten, wo ab und an drei, vier Sätze hingekleckert werden und der Erguss auch noch frech als Review verkauft wird. Gereizt, wie das wohl ausschaut, hat es mich aber und da so eine Plattenbesprechung niemals die Zustimmung meiner RockTimes-Kollegen gefunden hätte, will ich das wenigstens mal als Bild zeigen.
Verschwunden ist das Heep-Zitat, verstärkt dagegen die Genesis-Nähe in einigen Tracks - stilistisch, als auch stimmlich. Nicht was die oft gewaltigen Soundwände angeht, aber Spuren Yes'scher Power sind ebenfalls vorhanden. Und - eine unüberhörbare Portion Chicago (bis "VI", würd' ich mal sagen). Nicht nur der Bläser wegen, auch dieser lässig angejazzte Groove lässt den Vergleich zu. Als ob das nicht schon längst des Hörers Herz und Seele erfreuen würde, gesellen sich Gitarreneinsätze dazu, die die Nackenhärchen freudig aufstellen. Es hat jammige Passagen mit einem wunderbaren Phish-Bounce, dann Ohrschmeichler allerbester Güte. Höchst melodische, per Flöte verzauberte Stücke vs. angenehm vertrackte und 'gebreakte' Progteile lassen einem das 'best of both worlds' permanent um die Ohren schlagen. Auf einen Song besonders eingehen, ja bereits die Nennung des Titels, würde allen anderen Stücken ungerecht werden. Jedes der elf Lieder hat das Zeug, um auf einer beliebigen Genreplatte der frühen Siebziger das Sahnehäubchen zu sein!
Klingt seltsam, aber trotzdem: Wenn ich dieses Album nicht hätte... es würde mir fehlen. Die Zutaten sind wirklich vom Allerfeinsten und "Actress" ist mehr als ein würdiger "Vernal Equinox"-Nachfolger. Fast eine andere Dimension. Soviel steht fest: Die bleibt erst mal in Reichweite und wird, da bin ich mir ziemlich sicher, Konkurrenten aus dieser Musikrichtung für den kommenden Jahresrückblick mühelos hinwegfegen. Wie sich teils Beatlesques, bzw. typischer Sixties Vokal-Süßstoff hinter und vor ausgeklügelten kompositorischen Volltreffern legt, ist schon Gänsehaut-erzeugend. Dazu Spannung, Gebläse zum Wegdriften und Gitarren zum Ausflippen.
Lobster Newberg produzieren immer noch in Eigenregie - unverständlich. Vielleicht ist das aber auch gut so, denn dann werden sie nicht verbogen. Sollte das dritte 'Debüt' mit der gleichen Steigerung zum Vorgänger aufwarten, wie ich es gerade empfinde, weiß ich nicht, was ich dann schreiben soll. Vielleicht wirklich nur ein Wort. Klasse, wird aber in dem Fall bei Weitem nicht genug sein.
Lassen wir nun Colin das letzte Wort:
»Our music doesn't age. Listen to it now or 20 years from now. It'll still be new... it'll still be fascinating.«
Line-up:
Phil Miller (guitars)
Jamie Dull (drums & percussion)
Colin Peterik (vocals, keys)
Corey Kamerman (bass)
and
Steve Eisen (flute, soprano and tenor sax)
Howard Levy (harmonica)
Mike Chicowitz (trumpet)
Dave Stahlberg (trombone)
Ed Breckenfeld (additional percussion)
Klem Hayes (additional bass)
Jeff Lantz (brass arrangement)
Scott May (guitar solo - #6)
Tracklist |
01:Set Your Sails (3:41)
02:Stay (5:05)
03:Bug City (3:47)
04:Lost (4:42)
05:Wonderful (3:08)
06:Demian (4:06)
07:Illusion (9:13)
08:Bed (5:52)
09:Tight Rope (4:21)
10:Silver Cities (5:27)
11:Have You Ever Been Alone (7:31)
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