Mit ihrem paranoiden Zirkus haben Lyriel die Messlatte schon ziemlich hoch angelegt und sich einen Tipp verdient.
Ob sie dieses Niveau mit ihrem vierten Album "Leverage" halten können?
Schon der erste Eindruck in einem vorab veröffentlichten Video-Leckerli macht Appetit auf mehr und lässt hoffen, dass sie ihrer Linie treu geblieben sind.
Der Silberling legt los mit der Klangcollage "When It's Coming To An End...", die als geheimnisvoll geflüsterter Countdown auch der Soundtrack für einen historischen Krimi sein könnte, bei dem jemand durch enge dunkle Gassen rennt.
Im Titelsong "Leverage" liefern sich Schlagzeug und Gitarre ein Duell von kurzen Schlägen, Jessis Gesang setzt mit Lyriel-typischem Sound ein und kommt treibend, voluminös, kraftvoll und dann wieder sanft und zerbrechlich rüber. Dynamik und Abwechslung zeichnen die Nummer aus. Etwas freundlicher wirkt dann "Parting" durch die Geige, es ist eingängig, aber durchaus auch treibend und temporeich.
Richtig druckvoll und brachial fängt dann "Voices In My Head" mit Gitarren- und Schlagzeuggewitter und dezent eingesetztem Gegrowle von Sebastian Sonntag an. Zwischendurch wird die Nummer etwas leiser und harmonischer, um dann zum Ende nochmal gut aufzudrehen – geil gemacht!
"The Road Not Taken" legt dann eine kleine Verschnaufpause ein und ist zuerst ganz sparsam akustisch instrumentiert: Sanfter klarer Gesang, teilweise zweistimmig, und ein einfach nur schönes Cello verbreiten eine melancholische und entspannte Stimmung, die dann zum Abschluss eine wuchtige Passage mit E-Gitarre und Schlagzeug nach sich zieht und den Hörer wieder auf Lyriel-Linie bringt. "White Lily" variiert diese Linie mit antreibendem Schlagzeug und variantenreichem Gesang. Die eingängige Melodie wird nach Passagen, in denen Gesang und Drums dominieren, durch Gitarren und Jessis dann leicht quäkenden Gesang aufgelockert. In meinem Kopf entsteht - warum auch immer - das Bild einer Frau, die in einem weißem Wallekleid schnell durch einen Wald läuft.
Der nun erfolgte Wechsel der Sprache leuchtet mir zwar nicht ganz ein, aber es geht bei "Aus der Tiefe" erstmal mit deutschem Text weiter.
Eine weitere deutschsprachige Nummer stellt ganz sicher eines der Highlights der Scheibe dar - "Wenn die Engel fallen". Das Duett mit Thomas Lindner, klingt 'schandmäulig', hat aber trotzdem die ' Lyriel-Linie' drin. Für das Songwriting und die Lyrics zeichnet Armin Rodriguez verantwortlich, das Piano spielt Stefan Grawe. Die Nummer ist bombastisch, ganz hart an (oder auch über) der Grenze zur Schnulze, wird aber durch gewollte Brüchigkeit im Gesang einigermaßen gerettet. Obwohl ich 'Tausendsassa' Lindner sehr schätze, hinterlässt der Song bei mir mit jedem Hördurchgang wachsendes Unbehagen, ganz besonders nach der Recherche, wer denn eigentlich dieser Rodriguez ist. Auf der BK-Management Homepage erfahre ich, »Armin Rodriguez, Sänger und 'Kopf' der Band Harmony, unterschreibt bei Warner/Chappell Music als Songwriter, Komponist und Produzent einen Verlagsvertrag. Als Songwriter und Produzent im Hause Naidoo in Mannheim arbeitet Armin nun für viele Charts-Künstler und steuerte u.a. für das neue Album von Cassandra Steen einen Song bei.« Es bleibt zu hoffen, dass Lyriel auch nach dem Plattenvertrag bei AFM Records ihren Stil bewahren können/dürfen und nicht auf Teufel komm raus auf massenkompatibel getrimmt werden.
Mit "Side By Side" und "Repentance" gesellen sich zwei weitere Nummern im typischen, so schwer zu definierenden und ganz eigenen Lyriel-Stil auf die mir vorliegende CD.
Wer noch die Chance hat, den limitierten DigiPak zu ergattern, sollte da unbedingt zuschlagen, denn darauf finden sich noch zwei ganz besondere Perlen: "Everything Is Coming Up Roses" ein Black-Cover mit echten Ohrwurmqualitäten und die irische Ballade "Star Of The County Down" in einer sehr geilen Version. Bei der kurzen Spielzeit von nur 34:57 auf der normalen CD hätten die beiden Songs ruhig generell dazugepackt werden können.
Und trotzdem, ein empfehlenswertes Album: eingängig, dynamisch mit markanter Handschrift und dennoch abwechslungsreich. Zum Gothic-Touch gesellen sich Elemente aus Metal, Folk und Rock und ergeben diesen ganz speziellen und unverwechselbaren Lyriel-Stil.
Reinhören dringend angeraten!!!
Line-up:
Jessica Thierjung (Gesang)
Oliver Thierjung (Gitarre)
Linda Laukamp (Cello, Hintergrundgesang)
Tim Sonnenstuhl (Gitarre)
Steffen Feldmann (Bass)
Joon Laukamp (Violine)
Markus Fidorra (Schlagzeug)
Gastmusiker:
Sebastian Sonntag (Gesang - #4)
Thomas Lindner (Gesang - #8)
Stefan Grawe (Piano - #8)
Tracklist |
01:When It's Coming To An End...
02:Leverage
03:Parting
04:Voices In My Head
05:The Road Not Taken
06:White Lily
07:Aus der Tiefe
08:Wenn die Engel fallen (feat. Thomas Lindner / Schandmaul)
09:Side By Side
10:Repentance
Nur auf dem Limited Digipak:
11:Everything Is Coming Up Roses
12:Star Of The County Down + Leverage Videoclip
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Externe Links:
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