Das Jahr 2010 scheint ein gutes für Charlie Musselwhite gewesen zu sein. Zumindest war es ein sehr arbeitsreiches für den inzwischen 66 Jahre alten Bluesmann, denn neben seinen 'normalen' Terminen in den Vereinigten Staaten von Amerika absolvierte er auch wieder eine Tour durch Europa, bei der ich ihn für unsere Redaktion auch endlich mal live bei seinem Gig in Isernhagen erleben durfte.
Außerdem nahm die Bluesharp-Legende mit "The Well" auch sein nächstes Studio-Album auf, das er in den Sunset Sound Studios, Hollywood und den Big Fish Studios, Olivenhain, Kalifornien einspielte. Ein ganz schön straffes Programm, zumal Musselwhite mit ganz anderen Begleitmusikern auf Tour ging, als denjenigen, die auf dem neuen Longplayer vertreten sind.
Doch dass dieser absolute Profi beides perfekt auf die Reihe bekam und dabei seine jahrzehntelange Erfahrung in die Waagschale warf, davon konnte ich mich mit eigenen Augen und Ohren überzeugen.
Stimmte bei dem Konzert schon jede Kleinigkeit, so passt auch auf "The Well" alles zusammen. Die dreizehn Eigenkompositionen (auch das ist ein Novum bei Charlie Musselwhite) auf dieser bei Alligator Records erschienenen CD wirken allesamt ausgereift und wohl durchdacht. Die Band unterstützt Charlie optimal und legt ein enormes Bluesfeeling an den Tag, wobei bei jedem Song genau die richtige Dosierung an Druck verbreitet wird.
Musselwhite selbst greift bei zwei Stücken auch mal selbst zur Gitarre, konzentriert sich ansonsten aber auf seine Harmonika, die er natürlich perfekt und immer mit dem richtigen Timing einsetzt. So verbreiten die Songs durchweg eine sehr relaxte Atmosphäre und swingen und shuffeln sich ganz locker über die Zeit. Alle Titel weisen eine Spieldauer zwischen 2:23 und 4:25 Minuten auf, enthalten also keine längeren Solo-Passagen. Und trotzdem gibt es jede Menge kleine Feinheiten im Zusammenspiel der Instrumente, die ein genaueres Hinhören sehr lohnenswert machen. Die Wechsel von Gitarre und Mundharmonika als bestimmendes Lead-Instrument und die filigrane Arbeit an elektrischem und Kontrabass geben dem Album das gewisse Etwas und belegen, wie man mit ganz minimalem musikalischen Aufwand ein maximales Hörerlebnis erreichen kann.
Auch textlich arbeitet Charlie Musselwhite in den Songs so einige Punkte aus seinem Leben auf. So befasst er sich im Titelsong mit seiner Alkoholsucht, die er seit zweiundzwanzig Jahren überwunden hat, geht bei "Sad And Beautiful World" auf die Ermordung seiner Mutter im Jahr 2005 ein und nimmt eine seiner zahlreichen Verhaftungen in Chicago aufs Korn ("Cook County Blues"). Weiterhin erinnert er sich an seine Kindheit in Clarksdale ("Clarksdale Getaway"), der Stadt, zu der er noch immer eine ganz besondere Beziehung hat und beschreibt seine Faszination für die Hoodoo Priesterin Maria Laveau, die als 'Dr. John' in die Geschichte einging ("Hoodoo Queen") und deren Grab er schon 1957 besuchte. Man sieht also, auch textlich ist "The Well" ein Blues-Album im wahrsten Sinne des Wortes geworden.
Dass meine Anspieltipps mit "Sorcerer's Dream" und "Good Times" ausgerechnet die beiden Titel sind, auf denen Charlie Musselwhite auch die Gitarre spielt, würde ich mal als reinen Zufall betrachten, denn Dave Gonzales macht bei den anderen Songs einen prima Job.
Mit "The Well" ist ein unaufdringliches aber qualitativ hochwertiges Album entstanden, das die ganze Klasse von Charlie Musselwhite an der Bluesharp aufzeigt. Dieser Mann ist wirklich schon zu Lebzeiten eine Legende!
Line-up:
Charlie Musselwhite (vocals, harp, guitar on "Sorcerer's Dream" and "Good Times")
Dave Gonzales (guitars, second vocal on "Cook County Blues")
John Bazz (electric and upright bass)
Stephen Hodges (drums, percussion)
Mavis Staples (vocal on "Sad And Beautiful World")
Tracklist |
01:Rambler's Blues (3:46)
02:Dig The Pain (2:23)
03:The Well (3:19)
04:Where HWY 61 Runs (4:25)
05:Sad And Beautiful World (3:39)
06:Sonny Payne Special (2:23)
07:Good Times (3:28)
08:Just You, Just Blues (4:00)
09:Cadillac Women (4:09)
10:Hoodoo Queen (4:10)
11:Clarksdale Getaway (4:14)
12:Cook County Blues (3:38)
13:Sorcerer's Dream (4:10)
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