Nordamerika ist mit einer herrlich vielfältigen Jam Band-Szene gesegnet - einer Stilrichtung, mit der die Deutschen seit jeher etwas 'fremdeln'. Bands, die in den USA regelmäßig vor 20.000 Fans spielen, hätten hierzulande größte Probleme, eine Halle, die lediglich einen Bruchteil dieser Menschenmenge fasst, zu füllen. Die Gründe dafür sind vielfältiger Art. Während die breite Masse dem britisch dominierten Prog Rock stets durchaus aufgeschlossen war, hatte das amerikanische Pendant hier stets - Grateful Dead hin oder ABB her - lediglich eine 'Elite' aufgeschlossener Hörer bedient. Les Claypool's Fearless Flying Frog Parade, The String Cheese Incident oder Col. Bruce Hampton And The Aquarium Rescue Unit sind - bei oder gerade wegen aller Genialität - für deutsche Ohren einfach zu anstrengend und den fein gesponnenen, hintersinnigen Humor versteht der deutsche Michel schon gar nicht. Nee, da jubeln wir aktuell gerade lieber Lena Meyer-Landrut zu...
Bei der Dave Matthews Band liegen die Dinge etwas anders. Komplex arrangiert, wie die ihrer Kollegen der Ostküstenszene, ist die Musik dieser Band sehr viel eingängiger, tanzbarer angelegt - das scheint leichter ins Ohr zu gehen. Da sich dieser Umstand noch nicht bis nach Charlottesville/Virginia rumgesprochen hat, macht die DMB auch zumeist - falls sie denn alle Jubeljahre mal nach Europa kommt - einen großen Bogen um Deutschland. Großbritannien ist Pflicht, aber unsere lebensfrohen und begeisterungsfähigeren Nachbarn in Frankreich, Italien oder Spanien werden schon eher bedient. Vielleicht schmeckt den Bandmitglieder aber auch nur deren Wein besser...
So stand Deutschland im Jahr 2009 selbstredend nicht auf dem Tourplan der Dave Matthews Band und mitgeschnitten wurde im Londoner Stadtteil Brixton (für die vorliegende DVD) und im italienischen Lucca (für eine noch zu besprechende Triple-CD).
Was den Zauber um die Dave Matthews Band, die die Nordamerikaner regelrecht verzückt, ausmacht, ist dem Schreiber dieser Zeilen erstmal nicht ganz nachvollziehbar. Der Namensgebende Sänger fällt optisch eher in die Kategorie 'Schwiegermutters Liebling' und seine Stimme ist eher herb und brüchig als wohlklingend. Zudem 'schrammelt' er - visuell eher langweilig - auf einer akustischen Gitarre herum. Aber... da liegt etwas in den Songs, das den aufgeschlossenen Hörer geradezu magisch fesselt. Es sind diese kleinen Geschichten, die Dave Matthews erzählt - es ist aber vor allem eine aus großartigen Persönlichkeiten zusammengestellte Band, die aus den Songs kleine Kunstwerke gestaltet. Da ist zuforderst LeRoi Moore zu nennen, der 2008 bei einem tragischen Unfall auf seiner Farm viel zu früh verstarb. Dieser geniale Saxophonist wurde demzufolge nicht ersetzt, weil schlichtweg niemand dessen Fußstapfen ausfüllen konnte, sondern nur durch Sessionmusiker 'vertreten'. Gleich danach muss man mit Carter Beauford einen der weltbesten Schlagzeuger nennen, der einfach unvergleichlich 'trommelt' und dazu mit seiner spitzbübischen, fast kindlichen Freude am Spiel ein Blickfang auf der Bühne ist. Bassist Stefan Lessard spielt sein Arbeitsgerät auf eine virtuose Art und Weise, bleibt aber ansonsten etwas im Hintergrund, was seiner Rolle als wichtiger Songschreiber der DMB nicht ganz gerecht wird. Komplettiert wird die zum Quartett geschrumpfte Band von Geiger Boyd Tinsley, der sich bei diesen Aufnahmen aus Brixton ebenfalls merkwürdig zurückhält und den fiesen, sonnenbebrillten Finsterling spielt.
Aus ganz Skandinavien und auch aus Deutschland waren Fans der DMB angereist, um dem Gig in der altehrwürdigen Brixton Academy beizuwohnen. Nicht wenige von ihnen folgten der Band auf dem gesamten Europatrip.
Im Gepäck hatte man mit Big Whiskey And The GrooGrux King endlich mal wieder ein Studioalbum, das an die Meisterwerke Under The Table And Dreaming (1994) und vor allem "Crash" (1996) qualitativ anschließen konnte. Endlich hatten die Songs wieder etwas mehr 'Biss', waren nicht mehr so beliebig. So kann gleich als zweiter Song - nach dem 'bombigen' Klassiker "Don't Drink The Water" - das für DMB-Verhältnisse recht harte "Squirm" eine nachhaltige Duftmarke absetzen. Dominiert auf den Studioplatten eher die Akustische die Songs, so ist es nicht nur hier auffällig, dass der Tourgitarrist Tim Reynolds den Songs mit der Elektrischen eine markigere Note verleiht. Auch das 'funkige' "Shake Me Like A Monkey" vom neuen Album ist mit seinen tollen Bläsersätzen, die man ruhig noch etwas mehr in den Vordergrund hätte mischen dürfen, ein echtes Highlight dieser DVD. Die Songs von "Big Whiskey And The GrooGrux King" ziehen sich - von Klassikern unterbrochen - als Gerüst durch das Programm. Die Powerballade "So Damn Lucky" ist in ihrer fast zerbrechlichen Schönheit ein weiterer Glanzpunkt. "Funny The Way It Is" geht sofort in die Beine und wird durch virtuose Violinen-Einschübe Boyd Tinsleys veredelt. Dagegen ist "Seven" etwas wirr und schwer verdaulich arrangiert. Da sind das verträumte "Lying In The Hands Of God" und vor allem das heftig stampfende "Alligator Pie" schon von ganz anderem Kaliber.
Aber machen wir uns nichts vor: Die wahren Perlen von "Brixton 2009" sind die DMB-Klassiker. "Crash Into Me" - Herzergreifend! "Anyone Seen The Bridge?" - Tanzwut breitet sich aus! "#41" - zum Niederknien! Was für eine wahnwitzige Musik. Härte und Weichheit, Improvisation und Tanzbarkeit müssen keine Gegensätze sein...
Schade ist allerdings, dass einige Songs vom sensationellen "Under The Table..."-Album entweder gar nicht - wie "Lover Lay Down" - oder wie "Jimi Thing" und allen voran "Ants Marching", nur auf der CD in der Setlist auftauchen. Dagegen ist das auf keinem Studioalbum zu findende, einfühlsame "Gravedigger" auf die 'Positivliste' zu setzen.
Als Boni werden vier besonders gelungene Songs vom Abend zuvor (man schrieb den 25. Juni) in gleicher Lokalität obendrauf gepackt, von denen vor allem "Two Step" mit einer irrwitzigen Mixtur aus Bluegrass, Hard- und Folk Rock 'jammigst' aufgeblasen wird.
Diese DVD ist bereits 2009 im Box-Set Europe 2009 erschienen. Dieses wurde nun in die vorliegende "Brixton 2009"-DVD und die Triple-CD "Lucca, Italy 2009" aufgeteilt und getrennt neu veröffentlicht. Die Anschaffung beider Scheiben macht - falls man nicht ohnehin im Besitz der Box ist - durchaus Sinn. Die DVD stellt quasi die 'eingedampfte' Essenz, die CDs das gesamte Set dar. Ton- und Bildqualität sind erwartungsgemäß superb. Summa summarum: überaus empfehlenswert!!
Line-up:
Dave Matthews (lead vocals, acoustic guitar)
Boyd Tinsley (violin)
Carter Beauford (drums, background vocals)
Stefan Lessard (bass)
Tour Band:
Tim Reynolds (electric guitar)
Jeff Coffin (saxophon)
Rashawn Ross (trumpet, background vocals)
Tracklist |
01:Don't Drink The Water
02:Squirm
03:So Damn Lucky
04:Shake Me Like A Monkey
05:Crash Into Me
06:Funny The Way It Is
07:So Much To Say
08:Anyone Seen the Bridge? / Too Much
09:Lie In Our Graves
10:Seven
11:Why I Am
12:#41
13:You & Me
14:Lying In The Hands Of God
15:All Along The Watchtower
16:Gravedigger
17:Alligator Pie
18:Tripping Billies
Bonus Tracks:
19:Dive In
20:Time Bomb
21:Spaceman
22:Two Step
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Externe Links:
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