Mr Averell / Gridlock
Gridlock Spielzeit: 47:55
Medium: CD
Label: Equally Tuned, 2013
Stil: Avantgarde

Review vom 12.09.2013


Sabine Feickert
Okay, das Leben ist kein Ponyhof und das hier keine leichte Kost. Wer sowas sucht, kann gleich wegklicken, denn was Mr Averell aus den Niederlanden hier gezüchtet hat, hat nix, aber auch gar nix mit fader Gewächshausware zu tun. Auch nix mit Tulpen, Frau Antje, Räucherwaren oder Windmühlen.
Hinter Mr Averell verbirgt sich ein Projekt des holländischen 'visual sound artist' René van Commenée, der in seiner Heimat für seine musikalischen Kunstobjekte, Theaterperfomances und Soundtracks für Theater, Feuerwerk und Film bekannt ist. Als Gäste hat er sich für "Gridlock" Lene Lovich, den Pianisten Mike Garson (der beispielsweise auf David Bowies Aladdin Sane in die Tasten haute), Judge Smith (Van der Graaf Generator-Gründungsmitglied) sowie John Ellis (Peter Gabriel, Peter Hammill, The Stranglers) eingeladen.
Ich gestehe – Lene hat mich bei dieser Scheibe »Hier!« schreien lassen, denn Ninas (zumindest temporäre) schrille Schwester im Geiste begeistert mich schon lang. Und so bedauere ich es natürlich ein wenig, dass sie nur an zwei Songs beteiligt ist. Aber das nur am Rande...
Mr Averell ist für René ein Projekt, bei dem er neben seinen vielen Instrumentalgeschichten seiner (Gesangs-)Stimme Raum gibt.
"Gridlock" – »Verkehrskollaps, Stillstand, festgefahrene Situation« bietet mir das Wörterbuch als Übersetzung des Albumtitels an. Lassen wir das mit dem Verkehr mal außen vor – Stillstand ist ganz sicher kein Charakteristikum dieses Albums. Die kurze Klangcollage "Lock" eröffnet und bildet zusammen mit "Unlock" einen Rahmen (den Verkehrskollaps?!?), aus dem der Rausschmeißer "Rideehoo!!" endgültig herausführt.
"Break The Mirror" stellt van Commencées rauen Gesang mit Barpiano, vor dem Hintergrund von Judge Smiths Euphonium (ein ziemlich tiefes Blechblasinstrument, mit Flügelhorn und Tuba verwandt), ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Langsame, tiefe Töne fangen den Zuhörer ein, getragen, ja fast feierlich, wenn auch mit ein paar kleinen Dissonanzen. Ein Raunen leitet "Kiss The Girl!" ein – und klar ist dieses Girl (Lene Lovich natürlich) zum Knutschen. Bissel schrill, mit rrrrollendem 'r' und Gequiekse, Bass und Bläsern, die Nummer könnte fast ein Tatort-Soundtrack sein. Einer für die spannendsten Stellen. Wieder getragener, sehr nachdenklich und melancholisch geht es mit "Deliberately" weiter, mit Mike Garson am Flügel.
Eine (Kirchen-)Orgel eröffnet "Boxes", der Song hält diese sakrale Stimmung bis etwa zur Hälfte seiner gut acht Minuten. Dann zieht Stakkato ein, baut Spannung auf und steigert sie, der Gesang wird dramatischer; zum Ende kehrt die sakrale Stimmung zurück und leitet fast ohne Unterbrechung zu "The Fear Of Dreaming (For Marijke)" über. Genauer – zu Teil A "Weakness". Immer wieder, so auch bei diesem Titel, schau ich das Line-up ganz genau durch, auf der Suche nach den weiteren Gesangsstimmen, aber wenn den Angaben zu trauen ist, dann singt René hier sehr variantenreich mit sich selbst. Ziemlich experimentell kommt "Babel" daher, die Samples erinnern ein bisschen an die Trommeln auf den Galeeren oder ähnliche Antreiber von ziemlich müden Zeitgenossen.
Beim Titelsong dann zweiter Auftritt für Lene, gemeinsam mit René und Judge Smith darf sie singen, kieksen, sich in Geräuschen suhlen. Bässe und Bläser liefern den Hintergrund für ihre mehrstimmigen Miteinander- und Gegeneinandergesänge. Eine E-Gitarre sorgt plötzlich für Weite, wird aber vom Gesang und den restlichen Instrumenten wieder eingefangen. Sehr wehmütig und minimalistisch gestaltet sich "Sightseeings". Piano, Echos und dann dieses Saxofon von David Jackson... Gänsehaut!!
Zeit für "Unlock" und "Rideehoo!!" als 'Rückführung' in die reale Welt. Wie oben schon geschrieben – keine leichte Kost, sondern Musik, auf die man sich voll und ganz einlassen muss. Kopfhörer auf, Augen zu und spüren, was sie mit dir macht.
Line-up:
René van Commenée (vocals, keyboards, programming, percussion, accordeon, mellotron, bar piano, prepared banjo, frog)
Martijn Alsters (guitar - #6B, prepared piano - #1,11)
Lene Lovich (vocals - #3,9)
David Jackson (double horns - #3,9, saxophones - #2,3,9,10)
Mike Garson (grand piano - #4,10)
John Ellis (electric guitar - #3,9, bass - #3,9)
Stuart Gordon (violin - #6B)
Dyane Donck (bass - #1,6B,9,11)
Judge Smith (euphonium - #2, harmony vocals - #9)
Hugh Banton (organ - #5)
Willem Tanke (organ - #5 middle section)
Ninca Leece (sounddesign - #3)
Lisa Weiss (voice fx - #3)
Tammo Heikens (electric guitar - #6B, bass - #6B)
Tracklist
01:Lock
02:Break The Mirror
03:Kiss The Girl!
04:Deliberately
05:Boxes
06:The Fear Of Dreaming (For Marijke)
  A:Weakness
  B:The Fear Of Dreaming
07:100 Presents
08:Babel
09:Gridlock
10:Sightseeings
11:Unlock
12:Rideehoo!!
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