Van Morrison / Astral Weeks
Astral Weeks Spielzeit: 74:17
Medium: CD
Label: Rhino (Warner Brothers Records), 2015 (1968)
Stil: Singer/Songwriter


Review vom 30.10.2015


Markus Kerren
Nachdem die nordirische Band Them Geschichte war, machte deren Sänger und Songwriter Van Morrison solo weiter. Ein erstes Album ("Blowin' Your Mind", 1967) - von Morrison unauthorisiert und von seinem damaligen Label aus Tracks zusammengestellt, die eigentlich 'nur' als Single-A- und B-Seiten geplant waren, warf immerhin den auch heute noch sehr gern gehörten Hit "Brown Eyed Girl" ab, verkaufte sich ansonsten aber alles andere als schwindelerregend. Nach einigen Rechtsstreitigkeiten, mit neuem Label (Warner Brothers) und frischem Elan ging der Frontmann dann im Folgejahr wieder in ein Aufnahmestudio in New York City, um das seiner Ansicht nach erste Solowerk unter Dach und Fach zu bringen.
Die Aufnahmen zu "Astral Weeks" entstanden während drei Sessions, die im September und Oktober 1968 stattfanden. Weit entfernt von dem eher poppigen "Brown Eyed Girl" geht es hier deutlich in Richtung Folk Rock, Singer/Songwriter und (Blue Eyed) Soul, ohne Jazz-Einflüsse außen vor zu lassen. Van Morrison wollte ohne Kompromisse neue Wege gehen, was ihm mit diesen acht Tracks auch ohne weiteres gelang. Da ist - trotz aller Klasse dieser Nummern - nichts dabei, was umgehend im Ohr hängen bleibt. Und dennoch hat die Scheibe eine Tiefe, ein ganz starkes Selbstbewusstsein sowie -vertrauen, die sie einzigartig macht.
Der Hörer muss sich geradezu mit Tracks wie den genialen "Cyprus Avenue", "Madame George", "Ballerina" oder auch "Slim Slow Slider" auseinandersetzen, wird dann aber prompt von der dichten Atmosphäre und den großartigen Geschichten belohnt. Der Protagonist ist hier jeweils mit einer Intensität zugange, wie sie ansonsten von nur wenigen Sängern/-innen erreicht wurde. Die Instrumentierung bestand fast ausschließlich aus akutischen Instrumenten, denen anschließend (bis auf "Slim Slow Slider") dezente, aber unüberhörbare Streicher hinzugefügt wurden.
Der Track "Cyprus Avenue" ist sehr stark mit Morrisons Heimatstadt Belfast verbunden und webt ein atmosphärisch sehr dichtes Bild. Der (mittlerweile schon länger in den USA lebende) Protagonist taucht tief in seine Vergangenheit ab und zeichnet ein melancholisch-nachdenkliches Portrait eines Außenseiters, der sich seine so ganz eigene Gedanken macht. Genauso stark ist die Darstellung von "Madame George", geschildert aus der Sicht des Beobachters einer Situation in einer Bar oder einem Cafe.
Das Album "Astral Weeks" vermittelt ganz stark das Gefühl, ein einziges Ganzes zu sein, das man nur schwerlich Song für Song auseinandernehmen kann. Es wirkt wie ein großes Stück aus der Seele des Musikers Van Morrison zu einer bestimmten Phase seines Lebens, denn so extrovertiert der Gesang auch ist, so stark hat man auch das Gefühl, einen ganz intimen Teil seines Innenlebens vermittelt zu bekommen. Ein Puzzleteil daraus ist "Slim Slow Slider", das sich - meiner Interpretation nach - um eine Frau handelt, die (drogenbedingt?) keine große Zukunft mehr vor sich hat und dies auch selbst genau weiß. Der Erzähler sieht die ihm bekannte Person immer wieder mal am rauen nordirischen Strand oder auf der Straße, schnappt kurze Eindrücke auf und »...just don't know what to do...«, um helfen zu können.
Aber interpretieren darf und soll diese Songs sowieso jeder für sich selbst, wenn sogar der Songwriter Van Morrison keine genauen Angaben dazu machen kann (oder will?). Das Album "Astral Weeks" gilt heute zu Recht als absoluter Klassiker, wurde nach seinem Erscheinen vom Label aber kaum promotet und somit ein grandioser finanzieller Flop. Mit dem 1970 folgenden Moondance wurde dann ganz gezielt auf kommerziellen Erfolg geschielt, was - mit trotzdem grandiosem Material und superber Umsetzung - auch gelang.
Aus heutiger Sicht scheint es gerade so, dass Van Morrison in den Jahren von 1968 bis 1974 (also bis zu der mehrjährigen Pause) nullkommanix falsch gemacht hat, denn nahezu jedes Album aus dieser Zeit ist ein Meilenstein. Und "Astral Weeks" war der großartige Anfang!
Line-up:
Van Morrison (guitars, vocals)
Jay Berliner (guitars)
John Payne (flute, soprano saxophone)
Richard Davis (bass)
Connie Kay (drums)
Warren Smith, Jr. (percussion, vibraphone)
Tracklist
01:Astral Weeks
02:Beside You
03:Sweet Thing
04:Cyprus Avenue
05:The Way Young Lovers Do
06:Madame George
07:Ballerina
08:Slim Slow Slider

Bonus Tracks:
09:Beside You (take 1)
10:Madame George (take 4)
11:Ballerina (long version)
12:Slim Slow Slider (long version)
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