Nektar / A Tab In The Ocean
A Tab In The Ocean Spielzeit: 16:40 (Side 1), 18:57 (Side 2)
Medium: LP
Label: Bellaphon (Bacillus Records), 2015 (1972)
Stil: Progressive Rock


Review vom 15.05.2015


Markus Kerren
Wie bei vielen mittel- und langlebigen Bands war auch die Karriere von Nektar von einem stetigen Auf und Ab geprägt. Konnte das englische (in Deutschland lebende) Quartett mit seinen ersten vier Alben sehr viele Fans in Teutonien finden, wurde die fünfte Scheibe Down To Earth in unseren Breitengraden mehr oder weniger zum Rohrkrepierer. Die Amerikaner (bei denen die ersten vier Werke - falls überhaupt komplett dort veröffentlicht - wenig Beachtung fanden) sahen dies jedoch ganz anders und die Platte wurde in den USA mit Gold ausgezeichnet. Ich könnte zwar jetzt noch über die folgenden Scheiben schwadronieren, aber ich glaube wir sind uns alle einig, dass vor allem die ersten vier Alben "Journey To The Centre Of The Eye", Sounds Like This..., das geniale Remember The Future und... ja, und das mir jetzt vorliegende "A Tab In The Ocean" die geilste und kreativste Zeit der ersten Phase von Nektar (sprich die Siebziger) war.
Geradezu majestätisch breiten sich die ersten Gitarren- und Orgelklänge des Titelsongs in den Ohren des geneigten Hörers aus, bevor schon der erste von vielen Richtungswechseln dieser knapp 17 Minuten auf dem Programm steht. Bei dem 'Tab', den man in den Ozean streuen wollte, handelt es sich übrigens um nichts anderes als einen LSD-Trip, soviel zur Entstehung des Titelsongs. Und so abgefahren wie das lyrische Thema stellt sich dann auch die Musik heraus. Sehr melodisch, dennoch unberechenbar und trotz aller Variationen nie zu überfrachtet, überladen oder mit zehntausend Noten in einer Minute totgespielt. Das Zauberwort auf "A Tab In The Ocean" heißt vielmehr 'Feeling', und das massenhaft. Alle vier Musiker können sich ausgiebig auf ihren Instrumenten austoben und präsentieren, die Band scheint es mit Leichtigkeit zu schaffen, auch nicht nur eine einzige Sekunde Langeweile aufkommen zu lassen. Die Komposition besticht durch Variantenreichtum und die Musiker reichen sich den Staffelstab des gerade dominanten Arbeitsgerätes geschmeidig weiter.
Nach solch einem aufwühlenden Trip stellt man dann (fast schon erleichtert) fest, dass sich auf der zweiten Seite des (übrigens farbigen - meine ist weinrot) Vinyls vier kürzere Tracks befinden. Aber ihr werdet es erahnen, Nektar wären damals nicht Nektar gewesen, würde nicht auch hier alles miteinander verbunden sein, alles zusammenhängen. Den Anfang macht das rockig-groovende "Desolation Valley", das immer wieder von den breitflächigen Orgel-Klängen 'Taff' Freemans getragen wird und sehr stark dem sogenannten Krautrock verbunden ist. Was bei diesen vier kürzeren Stücken ebenfalls immer wieder besticht, ist der wahnsinnige Ideenreichtum, die umwerfende Vielfalt einzelner Parts und nicht zuletzt auch der ganz starke sowie zu einhundert Prozent passende Gesang Albrightons.
Auch dass Nektar so richtig fett rocken konnten, kommt auf dieser B-Seite allerbestens zum Vorschein. Speziell bei dem bärenstarken "King Of Twilight" scheint Roye Albrighton seine Gitarrensaiten zum Glühen zu bringen, vor dem geistigen Auge sieht man Freeman seine Orgel geradezu in Lord'scher Manier malträtieren, während die Bassläufe Moores einem die Magenwände massieren und Ron Howden seine Schlagzeugfelle nach Strich und Faden verkloppt. Und all das führt nach den knapp 19 Minuten des zweiten Teils immer wieder zu dem spontanen Wunsch, sich "A Tab In The Ocean" noch einmal von vorne anzuhören. Danach nochmal, danach nochmal und danach noch einmal... Wenn man das Ganze dann auch noch in farbigem Vinyl und herrlichem Klappcover (inklusive der Texte) präsentiert bekommt, dann kann es kaum noch besser kommen!
Spätestens nach dem sechsten Durchlauf habe ich mich gefragt, ob Nektar je besser war, als auf diesem zweiten Album. Auf meinem Punktekonto platziert sich die Scheibe zur Zeit nämlich sogar noch eine Nasenspitze vor "Remember The Future", aber das liegt wie immer zum einen im Ohr des jeweiligen Hörers, zum zweiten müsste ich mal wieder die anderen frühen Scheiben für einen direkten Vergleich aus dem Regal ziehen. Fest steht aber, dass dieses Album sowas wie eine Inselplatte ist, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Line-up:
Roye Albrighton (guitars, vocals)
Allan 'Taff' Freeman (keyboards)
Derek 'Mo' Moore (bass)
Ron Howden (drums)
Tracklist
Side 1:
01:A Tab In The Ocean

Side 2:
01:Desolation Valley
02:Waves
03:Cryin' In The Dark
04:King Of Twilight
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