Ougenweide / Herzsprung
Herzsprung Spielzeit: 62:21
Medium: CD
Label: Große Freiheit, 2010
Stil: Minne-Rock, Folk Rock, Cross Over, Folklore, Weltmusik

Review vom 26.07.2010


Norbert Neugebauer
Ob sich alle gegenwärtigen, vergangenen und künftigen 'Mittelalter-Bands' im deutschsprachigen Raum auf die Hamburger Formation Ougenweide berufen oder sie als Stammquell ansehen, wird niemand wirklich herausfinden. Dass sie allerdings vor 40 Jahren zumindest bei uns als erste Band konsequent mittelalterliche Musik samt (alt-)deutschen Texten mit Rock (und den jeweils damit verbundenen Instrumentarien) verbanden, ist sicher unstrittig. Dieses Konzept, das später als 'Minne-Rock' ein Begriff in der Szene wurde, erwies sich nicht nur als neu und ungewöhnlich, sondern auch als erstaunlicherweise erfolgreich. Die Alben der Formation, bestehend aus
Minne Graw (die heißt wirklich Minne!), Olaf Casalich, Frank Wulff, Stefan Wulff, Wolfgang von Henko und Jürgen Isenbart verkauften sich ausgesprochen gut, die Konzerte ebenso. Ougenweide war in den siebziger Jahren ein Phänomen auch ohne die ganzen Burg- und Marktfestivals landauf - landab. Ihre Auftritte gerieten zu Tanzfesten und sie sahen sich gern als Spielleute, die bei allem Erfolg auch noch gern in kleineren Sälen gastierten. Die Basis ihrer Stücke waren Überlieferungen der Minnesänger, Texte aus mittelhochdeutschen Liederbüchern und sonstigen Quellen jener Zeit (wie etwa den "Merseburger Zaubersprüchen").
Nach 15 Jahren war es dann erstmal ziemlich vorbei, Umbesetzungen, Bandsplit, neue Projekte, später dann Wiedervereinigung, weitere Alben (das letzte offizielle war "SOL" 1996). Im Zuge des neuen Mittelalter-Rock-Booms und der damit verbundenen Erinnerung sowie Anerkennung für die Pioniere des Genres trat Ougenweide dann auch wieder auf. Und zum offiziell 'Vierzigsten' in diesem Frühjahr wurde nach 15-jähriger Pause ein neues Album angekündigt, das ursprünglich im April erscheinen sollte.
Doch ein Schicksalsschlag traf Musiker und Fans, der zunächst alles zurück stellte. Bandgründer und Multiinstrumentalist Frank Wulff Raven, der zusammen mit Bruder Stefan erfolgreich das Ougenweide-O'Ton Studio in seiner Heimatstadt betrieb und ein vielbeschäftigter Filmmusikschreiber sowie Bühnenmusiker war, starb völlig überraschend am 19. März 2010 im Alter von 57 Jahren.
Nun ist "Herzsprung" erschienen und wurde somit das Vermächtnisalbum Frank Wulffs, der darauf noch einmal mit einer Vielzahl von Instrumenten zu hören ist. Aus der alten Besetzung sind noch Stefan Wulff (ebenfalls mit zahlreichen Klangerzeugern am Werk) und Olaf Casalich (Perkussion, Gesang) dabei. Sabine Maria Reiß ist die neue Sängerin, dazu kommen noch Gitarrist Hinrich Dageför und Holzbläser Krzysztof Gediga.
Zur Veröffentlichung und dem leider einhergehenden Scheiden von Frank Wulf Raven sowie zum Bandjubiläum gab es einige Ereignisse. Am 4. Juni fand ein Tributkonzert der Band für ihren Bandleader im Hamburger Knust im Schlachthof statt. Tags darauf stand auf der Burg Falkenstein im Ostharz das dortige Minneturnier im Zeichen von Ougenweide. Beim Sängerwettstreit waren nur Lieder der Band zum Vortrag zugelassen. Dazu gab es gleich zwei Tributalben namhafter Szenebands, denen sich Kollegin Sabine Feickert für unsere RockTimes-Leser angenommen hat: Merseburger Zaubersprüchen und Tribut an Ougenweide.
Mit dem neuen Album der Band wird sicher nicht nur der Rezensent so seine Startschwierigkeiten gehabt haben. "Herzsprung" ist jedenfalls keine Fortsetzung des bewährten 'Minne-Rocks', sondern eine stilistisch sehr vielschichtige Produktion mit melancholischer Grundtendenz und weltmusikalischen Anöleihen. Da spielt es auch keine entscheidende Rolle, ob der Gesang mittelhochdeutsch oder in einer gänzlich fremden Sprache ertönt. Ebenso kulturübergreifend ist das Instrumentarium, zur bekannten Partnerschaft Drehleier/E-Gitarre aus früheren Tagen gesellen sich nun Singende Säge/Bouzouki, Posaune/Bajo Sexto oder Kalimba/Akkordeon. Die Texte entstammen wieder zumeist alten Vorlagen, werden aber in unterschiedlichsten musikalischen Kontexten interpretiert. Vom krachenden Rocker ("Phol ende Uuodam") über Ambient ("Ein leis und traurig Lied"), diversen Folkloreausflügen ("Dansa Jojoza", "Ella Mia", "Partite Amore") bis zur berührenden Elegie ("Einem Lieben") reicht der Bogen, der sicher ein neues Hör-Verständnis für Ougenweide erfordert. Aber auch die Fans der ersten Alben werden ihre Favoriten ("Dy Minne", "Usk Flo Aftar Themo Uuatare", "Der Welsche Tanz") finden.
Sabine Maria Reiß ist eine ansprechende Nachfolgerin für die natürlich immer noch im Ohr verbliebene Minne Graw. Ihre Stimme mit apartem 'Roll-R' ist allerdings brüchiger, nicht immer sicher und klingt manchmal etwas dünn. Sehr gut bei den zarten Liedern, weniger bei den kräftigen Titeln.
Ob "Herzsprung" nun ein Neustart für die Band ist, nachdem ihr Kopf Frank Wulff Raven nicht mehr dabei ist, muss sich zeigen. Auf jeden Fall aber ein besonderer Schwanengesang, der noch einmal die außergewöhnlichen Fähigkeiten eines Musikers, der ein Stück deutsche Rockmusik mitgeschrieben hat, zeigt. Und ein Album, an dem sich die Geister scheiden mögen, das die Fans aber nicht voreilig beiseite legen, sondern sich für die 'besondere Stunden' aufheben sollten.
Tracklist
01:Tritons Ruf
02:Herzsprung
03:Phol ende Uuodan
04:Ein leis und traurig Lied
05:Dy Minne
06:Einem Lieben
07:Uisk flo aftar themo uuatare
08:Dansa joloza
09:Lilien & Rosen
10:Ella Mia
11:Der Welsche Tanz
12:Ich sachs eins mals
13:Echo
14:Partite Amore
15:Epilog
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