Eine dreigeteilte Show haben die Prog Metal-Veteranen Queensrÿche im Vorfeld angekündigt: eine 'Rage For Order'-Suite, eine Strecke mit Songs vom neuen Album und eine Suite vom Platin-Album "Empire". Da weiß man in der Saarbrücker Garage also schon ungefähr, was kommt. Für ein paar Überraschungen sind Tate & Co. aber dennoch gut!
Erst einmal gibt es aber Sleaze Rock aus Schweden: Fatal Smile eröffnen den Konzertabend - zunächst mit Blaulicht und Sirene, dann mit 45 Minuten Melodic Hard Rock samt gehobenem Arschtritt-Faktor. Das Stockholmer Quartett explodiert fast vor lauter Energie - dazu passt auch die Rockstar-Optik mit Schminke, Schlaghose, Tattoos, Goldkettchen und einem Drummer mit viel nackter Haut. Sänger Blade zeigt, wie er screamen und posen kann und versteht es blendend, mit dem Publikum zu spielen. Er verspricht, am Merch-Stand alles zu unterschreiben, auch diverse weibliche Körperteile, und bringt einen Teil des Publikums dazu, mit ihm »I'm a hip motherfucker« im Chor zu singen.
Gut gelaunt lassen sich die partyhungrigen Schweden auch von diversen Problemen nicht aus der Spur bringen. Der Sound ist bei Fatal Smile breiig bis unerträglich. Außerdem passt ihr 80er-Jahre-Glam Metal nun mal nicht wirklich zur Hauptband - und so bleibt die Halle erstmal halb leer, weil ein nicht unerheblicher Teil des Publikums lieber seiner Nikotinsucht als der Vorband frönt. Das läuft sicherlich anders, wenn die Hauptband nicht Queensrÿche, sondern Mötley Crüe, Steelheart oder Poison heißt. Freundlich behandelt werden Fatal Smile aber trotzdem. Und besonders beeindruckend ist, dass KISS eigens ein paar Talent-Scouts in Berufskleidung vorbeigeschickt haben...
Um viertel nach neun ist es dann soweit: Zum zweiten Mal an diesem Abend gehen die Lichter aus. Aus den Boxen kommt zunächst ein "American Soldier"-Intro, dann die Synthie-Atmosphäre des ersten Uralt-Klassikers "Neue Regel" - welch ein Opener! Geoff Tate kommt als letzter auf die Bühne, cool, mit Anzug, Krawatte und Sonnenbrille. Die ersten Worte »Reach for a new horizon...« in Original-Höhe - nicht eine Oktave tiefer wie auf der 'Road To Promised Land'-Tour, als der Song auch auf dem Programm stand. Ein erstes Zeichen: Tate & Queensrÿche sind in Top-Form!
Dieser Eindruck bestätigt sich mit jeder weiteren Minute: Geoff Tate singt sich durch das 1986er-Programm mit Gänsehaut-Nummern wie "Screaming In Digital" und "London" - und das mit all den abartigen Schwierigkeiten, die ihm vor einem viertel Jahrhundert den Ruf eines Ausnahmekönners eingebracht haben. Nur manchmal muss er die ganz hohen Töne etwas ziehen, bis sie kommen - dafür brilliert er an hundert anderen Stellen, ohne mit der Wimper zu zucken. "I Dream In Infrared": p e r f e k t. Und "London" jagt einem einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Tates hingebungsvolle Mimik und seine theatralische Gestik tun ihr Übriges dazu. Sogar den ganz hohen Schrei nach dem Solo in "London" packt er an - das sind diese Details, auf die der Queensrÿche-Kenner achtet und die ihn ungläubig staunen lassen: Kaum ein Zeichen von Schwäche - viel mehr Frische und auch mehr Mut als über viele Jahre!
Die Leute feiern entsprechend lautstark und frenetisch. Es sind deutlich mehr geworden rechtzeitig zur Hauptattraktion des Abends, schätzungsweise 600 bis 700. Und der Sound ist plötzlich einwandfrei. 'Edbass' Jackson und Drummer Scott Rockenfield mit seinem ganz eigenen, sehr körperbetonten Spiel sorgen für eine brillant nach vorn preschende Rhythmussektion. Michael 'Whip' Wiltons Gitarre spricht exakt die selbe Sprache wie vor Jahrzehnten - und das lieben die Fans.
Eigens vorstellen muss Geoff Tate den neuen, blutjungen Gitarristen Parker Lundgren, den Tate aus seiner Soloband mit ins Queensrÿche-Line-Up brachte - übrigens der Verlobte seiner Tochter Miranda. Lundgren fügt sich ganz wunderbar ein, spielt die zweite Gitarre (erst einmal) ohne eigene Impulse, aber gekonnt originalgetreu und legt auch bei den Queensrÿche-typischen Doppelsoli mit Wilton die benötigte Leidenschaft an den Tag. Kommt gut an, der Junge!
Überraschenderweise steht noch ein sechster Akteur auf der Bühne - es ist Jason Ames, auch ein Mann aus der Geoff-Tate-Band, der auf "American Soldier" schon als Gastsänger mitwirkte. Er spielt Keyboard (nur bei "London" übernimmt Geoff Tate auch mal wie früher selbst) und steuert zusammen mit Edbass die Back-Up-Vocals bei - und was für welche! Wohl nie zuvor hatte die Band einen stärkeren Hintergrundgesang. Klar war die Kopfstimme Chris DeGarmos Kult - doch dieser Mann ist ein echter Sänger, und das zeigt er auch. Queensrÿche haben viele Stücke im Programm, bei denen der Background-Gesang schwierige, hohe Gesangslinien übernehmen muss.
Mitten im "American Soldier"-Set tritt Jason Ames dann sogar nach vorn und singt mit Geoff Tate im Duett, was auf dem Album der Job von Gastsänger Vincent Solano war. Der Auftritt wird zu einem der Highlights des Abends - die Gesangslinien in unterschiedlichen Lagen ergänzen sich prächtig. Anlässlich des neuen Materials legt Geoff Tate nun auch die ein oder andere von ihm gewohnte Erzählpause ein. Er redet unter anderem über seinen Vater und wie dieser als Kriegsveteran das Album und speziell den Song "The Killer" mit beeinflusst hat - und man spürt, wie ihm das nahe geht.
Worauf man dank des Blechbläser-Einsatzes auf dem Album schon hoffen durfte: Geoff Tate packt auch auf der Bühne das Saxofon aus, was das Publikum begeistert. 'Natürlich', wie man fast schon sagen möchte, fällt der Beifall für die insgesamt fünf brandneuen Stücke nicht so euphorisch aus wie für die Klassiker, kommt aber dennoch sehr solide und völlig frei von Misstönen. Damit wurde der neue Stoff von "American Soldier" deutlich freundlicher aufgenommen als das bei manch anderen Alben der Fall war.
Der letzte Teil der Show: die "Empire-Suite". Wer hätte gedacht, dass es auch nach Mitsing-Material wie "Walk In The Shadows" noch besser werden könnte... Geoff Tate hat seine Abendgarderobe inzwischen an den Nagel gehängt und erscheint ganz Rockstar-like armfrei im Muskel-Shirt, singt nun nicht mehr f a s t immer perfekt, sondern i m m e r perfekt. Nach dem schweren "American Soldier"-Stoff ist die Stimmung losgelöst - die Lichttechnik macht mit und erzeugt hellere Atmosphären. "Best I Can" wird ohne Ende abgefeiert.
Tate ist super gelaunt: »This song brings a lot of memories! Doesn't it? Doesn't it? Don't be embarrassed, it's okay when you were around at that time«, spricht er die ebenfalls zu einem Großteil nicht mehr soooo jungen Leute allerbestens an, mit einer Portion lockerer Selbstironie, die man Jahre zuvor öfter bei ihm vermisste. Die Midlife-Crisis scheint vorbei zu sein! Tate hält noch ein paar nostalgische Vorträge über Queensrÿche auf Kassette im Autoradio - und packt zu "The Thin Line" nochmals das Saxofon aus. Bei "Jet City Woman" (traumhaftes Wilton-Solo!) wird nochmal lautstark mitgesungen; und mit dem herrlichen Überraschungs-Coup "One And Only" bekommt auch Parker Lundgren mal die Lead-Parts.
Vor "Silent Ludcidity" bekräftigt Geoff Tate dann noch glaubhaft, dass es ihm niemals lästig werde, immerzu die selben Songs zu spielen, weil jeder Ort, jedes Publikum anders sei: »It's their song. It means something to them; and that's a wonderful feeling.« Tausendmal gehört, und immer wieder Gänsehaut - es gibt sogar zwei Mal Jubel und Applaus mitten im Song. Nach der traumhaft schönen Kribbel-Atmosphäre des epischen "Anybody Listening?" lässt sich die Band noch einmal zu einer kurzen Zugabe auf die Bühne zurückrufen: Bei "Empire" brennt nochmal richtig die Luft.
Trotz minutenlanger Ovationen war's das - schade. Auch, wenn man mit mehr Zugaben gerechnet hätte (ein Blick auf die - natürlich inoffizielle - Setlist gab auch Grund zur Hoffnung) - es gehen an diesem Abend viele Queensrÿche-Fans mit einem breiten Grinsen und einem guten Gefühl im Bauch nach Hause. Manche hätten sich noch den ein oder anderen Mindcrime-Track gewünscht. Das ist nachvollziehbar, wie aber auch die Entscheidung der Band, gerade nach der vorherigen 'Mindcrime-Revival'-Tour und so viel anderem starken Material auch mal darauf verzichten zu wollen. Dieser Auftritt war bärenstark. Und man merkte allen Musikern an - nicht nur 'Frischling' Parker Lundgren - dass in ihnen noch ein Feuer lodert. Queensrÿche in dieser Verfassung sollte man nicht verpassen!
Line-up Queensrÿche:
Geoff Tate (vocals)
Michael Wilton (guitar)
Eddie Jackson (bass, vocals)
Scott Rockenfield (drums)
Parker Lundgren (guitar)
Jason Ames (keybord, vocals)
Setlist Queensrÿche:
Neue Regel
The Whisper
Screaming In Digital
I Dream In Infra Red
Walk In The Shadows
London
Sliver
The Killer
At 30,00 Ft
Man Down!
A Dead Man's Words
Best I Can
The Thin Line
One And Only
Silent Lucidity
Jet City Woman
Anybody Listening?
Empire
Bilder vom Konzert
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