Alan Reed / First In A Field Of One
First In A Field Of One Spielzeit: 41:47
Medium: CD
Label: Red Dwarf Recordings, 2012
Stil: Prog Rock


Review vom 26.12.2012


Boris Theobald
Das gibt es auch selten. Der Veröffentlichungstermin für Alan Reeds erstes Soloalbum wurde am Ende um mehrere Wochen vorgezogen. Ganz klar: Der Mann hat etwas zu sagen; und das bezieht sich sowohl auf Texte als auch auf die Musik. Er hat(te) sich und den Fans längst nichts mehr zu beweisen, war der Schotte aus Glasgow doch rund ein viertel Jahrhundert lang (!) die Stimme von Pallas. Oder ... hat er doch gerade deshalb um so mehr zu beweisen? Denn "First In A Field Of One", das Album mit diesem spannenden Titel, der umso schwerer adäquat ins Deutsche zu übertragen wäre, ist nun mal ganz und gar 'sein' Album. Alle Songs und alle Lyrics stammen aus Alan Reeds Feder (nur "Never Too Late" hat mit seinem alten Weggefährten Mike Stobbie aus gemeinsamen Pallas-Tagen noch einen Co-Autor). Das macht "First In A Field Of One" zu einem 'Neustart' ...
... und wie könnte der anders anfangen als mit "Begin Again"? Auf der vorangeschickten EP Dancing With Ghosts stand das Stück ganz zum Schluss - rein akustisch. Hier wird es zum selbstbewussten Opener über Alan Reeds Liebe zu seinem Heimatland und über »das komplizierte Wesen schottischer Landesidentität, besonders für Auswanderer wie mich«, wie er sagt. Sein durchdringender Gesang zeugt von immenser Leidenschaft; und der flotte folkige Drive aus akustischer Gitarre und Klavier atmet förmlich die Luft der Landschaft. Keltischer Spirit schwingt mit. Die Percussion sowie Klänge von Dudelsack, Flöte und eine ganz leichte, nahezu schwerelose Orgel sorgen für ein wohlig-authentisches Kribbeln. Die Melodien sind einfach schön und schweben durch luftige Höhen, bis sie wieder zur Erde zurückkehren - das ist famose Singer/Songwriter-Kunst.
»We make believe that we have some control.
We struggle hard and then we find
We're in the Kingdom of the Blind.«
"Kingdom Of The Blind" mit seiner recht direkten Message schwingt sich zu einem der Highlights des Albums auf. Die orientalische Anmutung des Schlagwerks versprüht Weltmusikgeist; man könnte an Peter Gabriel denken. In ein kristallschönes Akustikgeflecht mischt sich plötzlich eine elektrische Lead-Gitarre und erzeugt eine immense Atmosphäre - ein kleiner Belfast Child-Moment. Die Zartheit der Streicher im Chorus und die schon beinahe unwirkliche Unaufgeregtheit des Gesangs, das hat etwas von Comfortably Numb.
Und nach knapp drei Minuten überrascht der Song ein weiteres Mal mit einem völlig eigenständigen B-Part: mehr Druck, mehr Tempo, und eine verträumte und zur gleichen Zeit expressive, extrem Kraft spendende Gitarrenmelodie als Double Lead. Der Gesang wird vielstimmig und die Botschaft dadurch noch eindringlicher - unter anderem gehört Magenta-Sängerin Christina Booth dem Chor an. "Kingdom Of The Blind" ist einer dieser Songs, den man lange Zeit nicht aus dem Kopf bekommt. Auf Alan Reeds Website gibt es ein einfach gemachtes, aber erstaunlich gut wirkendes Video zum Song, gefilmt vor einer uralten Kirche auf einem grünen Hügel, irgendwo in Reeds Heimat ... das passt wunderbar zur raumgreifenden Atmosphäre dieses (Pracht-)Stücks.
"Never Too Late" (mit Gast-Solo von Kalle Wallner) präsentiert Alan Reeds Stimme inmitten mystisch-vernebelter, zauberhaft-fragiler Atmosphären mit ganz viel Pathos. Für den ein oder anderen mag das schon 'too much' sein. Aber hinter der teil kitschigen Attitüde steckt viel Tiefgang. Der Gesang sorgt für Gänsehaut. Und der Song entwickelt bei all seinem Understatement einen beeindruckenden Ausdruck mit bleibendem Eindruck. Denn spätestens im mittigen, langen Instrumentalpart zaubert der Song für mich genau jene Bannwirkung hervor, die einst Queensrÿche in ruhigen Momenten auf "Rage For Order", "Empire" und "Promised Land" aus Einflüssen Pink Floyds erschufen: "I Will Remember", "Anybody Listening?", "Out Of Mind" ... wie subjektiv mag dieser Eindruck sein ... ?
Von der lyrischen, glasklaren Akustiknummer "The Bottom Of The Bottle" über das verschachtelte, zart bis harte Neo Prog-Stück "Darkness Has Spoken" mit Anleihen alter Marillion - vom tief ernsten, mahnend-eindringlichen "The Real Me" bis hin zum aufhellenden, tänzelnd-schwerelosen "Teardrops In The Rain" - jeder einzelne Song auf "First In A Field Of One" ist für sich ein Meisterstück. Und mit "The Usual Suspects" hat Alan Reed zum Schluss noch einen semi-seriösen, aber sehr coolen Ausreißer platziert: Gesungende »da-dee-da-da-dee-dip-doh«s, geschnippte Finger und bedrohlich tiefe Piano-Schläge ... das ist eine Art 'Gangster-Jazz', der sich selbst nicht all zu ernst nimmt. Man hat jeden Moment das Gefühl, Dick Tracy biegt um die Ecke.
Alan Reeds Album ist außergewöhnlich und außergewöhnlich stark. Es strotzt nur so vor unkomplizierten, aber in ihrer Tiefenwirkung famosen und fesselnden Songwriting-Ideen. Zum Teil stammen sie sogar aus Pallas-Zeiten, weiterentwickelt und ausgereift. Die Atmosphären sind überwältigend und überwältigend gut. Aus folkigen Anklängen heraus erschafft Alan Reed leidenschaftlich lodernde Kraftakte. Und die Stimme, die da singt, geht mächtig unter die Haut. Mit "First In A Field Of One" ist Alan Reed im Prog-Zirkus ganz vorn dabei in einem Teilnehmerfeld aus sehr wenigen, denen die Gabe zuteil ist, solche Songs zu schreiben und sie mit so viel Leben zu erfüllen. Ein ganz großer Tipp.
Line-up:
Alan Reed (vocals, guitar, bass, synths, percussion)
Mike Stobbie (keyboards)
Scott Higham (drums)
Jeff Green (lead guitar - #2,5)
Kalle Wallner (lead guitar - #3)
Christina Booth (additional vocals)
Mike & Tina Booth, Dr. Magda Grabias, Fernando Gomez (fingersnap chorus - #8)
Tracklist
01:Begin Again (6:28)
02:Kingdom Of The Blind (5:13)
03:Never Too Late (5:34)
04:The Bottom Of The Bottle (3:24)
05:Darkness Has Spoken (7:06)
06:The Real Me (5:54)
07:Teardrops In The Rain (3:03)
08:The Usual Suspects (5:03)
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