Fritz Rau: Denn Live ist Leben!
Interview Teil I
Fritz Rau Eine Begegnung mit der Konzertveranstalter-Legende Fritz Rau



Interview vom 31.12.2010
Fotos: ©Axel Clemens


Ingolf Schmock
RockTimes: Welche Ereignisse bewogen Sie dazu, sich der Tätigkeit eines Konzertveranstalters zu widmen, und wie waren die Umstände damals?
Fritz Rau Fritz Rau: Das Ganze geht auf das Jahr 1945 zurück, für mich das wichtigste Jahr außer meiner Geburt 1930. Damals war ich ein fünfzehnjähriger Hitlerjunge, der anscheinend blind und taub war für das, was um ihn herum vorging, und deshalb anfällig war für die Parolen der Nazis. Nach dem unvermeidlichen Zusammenbruch dieses wahnwitzigen Machtapparates, empfand ich zunächst eine zerrüttende Hoffnungslosigkeit. Ein in dieser Zeit entstandenes Gedicht, brachte die damalige Situation zum Ausdruck.
»Wir sind das Strandgut unserer Zeit,
wir stehen nah am Nichts.
Gebt uns nur ein paar Schritte weit,
in's neue Leben das Geleit
und einen Schimmer Lichts.«

Doch dieses Licht war Klang und kam aus dem Radio. Dieses Licht waren Blues und Swing und Jazz, das waren Klänge, die das genaue Gegenteil zur bombastischen Musik der Nazizeit darstellten. Durch das Offbeat-Erlebnis wurde plötzlich auch mein ganzes körperliches System in einen anderen Rhythmus gebracht.
Jazz ist die Verkörperung der Freiheit und der Individualität und daher bis zum heutigen Tag jeder Diktatur ein Dorn im Auge. Die Begegnung mit Musik an der Wurzel des Menschen, einerseits eine Pathetische im Dritten Reich, anderseits die Erlösung durch den Jazz und dessen Faszinosum, waren später letztendlich die bestimmenden Faktoren, über einigen Umwegen mein Leben der Präsentation von Livemusik zu widmen.
Denn Live ist Leben!
RockTimes: Mit organisierten Jazz-Veranstaltungen fing bekannterweise alles an. Was verleitete Sie dazu, auch Rock/Pop-Künstler und deren Tourneen zu betreuen?
Fritz Rau Fritz Rau: Das ist eigentlich ganz einfach, der Jazz brachte mich zum Blues. 1958 legte mir der Pianist und musikalische Leiter des Modern Jazz Quartetts, John Lewis, mit dem Hinweis auf den noch unentdeckten kreativen Reichtum in den Schwarzenvierteln der USA, eine Schallplatte des außergewöhnlichen Bluesgitarristen Muddy Waters ans Herz.
Der legendäre Altsaxophonist Julian Cannonball Adderley vermittelte uns später sogar die Adresse von Willie Dixon, einem der wichtigsten Komponisten und Produzenten des Blues. Mein Partner Horst Lippmann flog schließlich mit einen Bündel Adressen in die Staaten, um diese Musiker für Auftritte in Deutschland zu gewinnen. Es wimmelte in den schwarzen Ghettos geradezu von potenten Musikern, die bis dahin außerhalb des Ghettos nicht bekannt waren.
Fritz Rau Elvis Presley zählte damals zu den Wenigen, die ihre schwarzen Blues- und Gospel-Wurzeln nicht verleugneten, obwohl sich das Business fest in weißen Händen befand.
Auch wenn die amerikanische Rassenpolitik das Aufkeimen der originären Schöpfer durchaus zu verhindern wusste, so bezogen die akzeptierten Musiker im eigenen Land ihre Kraft und Inspiration daraus.
Einer unser beständigsten Blueskünstler war John Lee Hooker, für mich persönlich einer der besten Storyteller der Welt, der unter anderem mit Carlos Santana, einem Bekenner des Blues, eine gemeinsame Platte, nämlich "The Healer" (der Heiler) einspielte.
In den tiefen Erschöpfungs- und Depressionsphasen, die während unserer Tätigkeit durchaus vorkamen, gab mir der Blues immer wieder die nötige Linderung und Energie, meine Lebens- und Arbeitsfreude zu reaktivieren. Über den Blues bzw. Rhythm & Blues haben wir letztendlich auch Blues-inspirierte Musiker und Bands kennen gelernt. So schlich sich beispielsweise bei einem Konzertabend in Manchester eine Handvoll Neunzehnjähriger rotziger Typen hinter die Bühne, worunter, wie ich erst später erfahren sollte, sich ein gewisser Mick Jagger befunden hatte.
Fritz Rau Als ich dann einige Jahre später 1970 die Rolling Stones veranstalten durfte (es sollten dreißig Jahre daraus werden), erinnerte mich Mick an diese Vorfälle und daran, dass ich ihn,
Keith Richards und Brian Jones aus der Garderobe werfen ließ, als diese nur ihren musikalischen Vorbildern persönlich begegnen wollten.
Gleichzeitig formulierte Mick seine Dankbarkeit darüber, dass er, abgesehen von einigen ausschließlich in den schwarzen Ghettos vertriebenen Schallplatten, durch unsere langjährige Tätigkeit den direkten Kontakt zu diesen Künstlern, die wiederum wichtige Impulse für die Gründung der Stones lieferten, erfahren durfte.
Unsere Erfahrungen und das Vertrauen in unsere Promoter-Tätigkeit, wobei Finanzielles damals noch an zweiter Stelle stand, schufen für uns die Brücke zu weiteren Rock/Pop-Künstlern, wie
Eric Clapton und Bob Dylan, um nur zwei zu nennen.
RockTimes: Wie betrachten Sie die heutige Position eines Konzertveranstalters, und inwieweit hat sich diesbezüglich dessen Arbeitsweise zu damals verändert?
Fritz Rau Fritz Rau: Gewaltig! Damals in den Fünfziger Jahren zählten unsere Konzertsäle mit Eintausend Plätzen noch zu den Großen, später dimensionierte sich dieses zu riesigen Open Air-Arenen, da im zunehmenden Maße die Quantität der Konzertbesucher eine wichtige Rolle einnahm. Früher, als einiges noch etwas bescheidener zuging und man für die Rolling Stones oder für Jimi Hendrix, dank der Zuschüsse der Plattenfirmen, Eintrittspreise zwischen zehn und Zwölf D-Mark anzubieten vermochte, waren die meisten Konzerte eine Promotion-Veranstaltung der jeweiligen Labels, die unter den heutigen Gesichtspunkten rückgängiger Tonträger-Verkaufszahlen nicht mehr realisierbar sind.
Zu dem Zeitpunkt, als 1981 die Stones den Super Dome in New Orleans locker mit 90.000 Zuschauern ausfüllten, beauftragte mich deren damaliger Tourorganisator Bill Graham, bei dem ich mir vorher schon einiges abschauen durfte, mit der Organisation einiger Deutschland-Open Airs, die entgegen erster Befürchtungen mit restlos und doppelt ausverkauften Stadien in Köln und München zu Buche schlugen.
Fritz Rau Heutzutage werden, um beim Beispiel Rolling Stones zu bleiben, dreistellige Millionen-Festgagen für die Band vom Vermarkter vereinbart, und die Gewinne oder gar Verluste aus den Ticketverkäufen liegen in der Verantwortung des Konzertveranstalters.
Das heißt natürlich auch, dass die unmittelbaren Beziehungen zwischen den Künstlern und dem Konzertveranstalter in den meisten Fällen nicht mehr so eng sind wie früher. Anders ist es natürlich mit meinen deutschen Künstlern wie Udo Lindenberg oder Peter Maffay, mit denen mich nach einer jeweils über dreißig Jahre andauernden Zusammenarbeit immer noch eine enge Freundschaft verbindet.
Fritz Rau Den Vermarkter jedoch interessiert im Grunde nicht mehr die Fähigkeit eines Konzertveranstalters, sondern nur noch dessen potentere Zahlungsbereitschaft für die Durchführung einer Tournee, also ein Marketingmodell, das zwangsläufig durch immens gestiegene Eintrittspreise gekennzeichnet ist.
[Autorisiert von Fritz Rau]
RockTimes bedankt sich bei Antje Winter (Agentur Winter), Friederike Weisse-Rau und Fritz Rau für die freundliche Unterstützung und empfiehlt den aktuellen Lesevortrag "Fritz Rau Begegnungen", einschließlich der musikalischen Begleitung von Jürgen Schwab (Gitarre, Gesang).
Zu Teil II des Interviews
Externe Links: