Victor Bockris/Lou Reed / Transformer
(Die exklusive Biografie)
Transformer (Die exklusive Biografie) Medium: Buch
Autor: Victor Bockris
Broschiert, 555 Seiten
Deutsche Erstausgabe, 2015
Sprache: Deutsch
Übersetzung: Sabine Reinhards, Gerald Jung und Paul Fleischman
Erschienen im Hannibal Verlag
Medium: Buch
ISBN: 978-3-85445-463-2


Review vom 16.07.2015


Markus Kerren
Für alle (egal, ob männlich oder weiblich), die Lou Reed bzw. seine Musik mögen und seine Texte zu schätzen wissen, kam sein 'relativ' plötzlicher Tod im Jahr 2013 einem gepfefferten Schlag in den Unterleib gleich. Es war schmerzlich, sich an das Gefühl gewöhnen zu müssen, keine weitere Platte guter Songs, mit so abgefahrenen wie teilweise schon unter die Gürtellinie zielend bösen, dann auch wieder liebevoll netten, oft bewegenden Lyrics mehr erwarten zu können. Es gibt wenige Musikfans, die den New York City Man neutral erwähnen. Entweder man liebte ihn oder konnte überhaupt nichts mit seinen Werken anfangen. Und selbst die Leute, die ihn mochten bzw. mögen, differenzieren seine Alben bis heute mit Attributen, die von 'genial' bis 'Schrott' reichen.
Die Biografie "Transformer" von Victor Bockris kam erstmalig im Jahr 1994 auf den Markt, wurde nach dem Ableben Reeds vom Autor aber auf den neuesten Stand gebracht und um die Jahre bis zu seinem Tod (wenn auch etwas kurzatmig) erweitert.
Sehr erfrischend verzichtet der Biograph darauf, uns mit Einzelheiten der Vorgeschichte bzgl. Eltern und Großeltern, der Kindergarten- sowie Schulzeit des Protagonisten zu langweilen, sondern startet direkt im Jahr 1959, als Lewis Reed 17 Jahre alt war. Sehr besorgt bezüglich Verhaltensauffälligkeiten ihres Sohnes (hinsichtlich Homosexualität, um nur mal eine zu nennen), willigen die Eltern dem Ratschlag eines Arztes ein, ihren Erstgeborenen durch Elektroschock-Therapie wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Die Behandlung stellte sich als lebendiger Albtraum für den Teenager heraus, der ihn nicht nur für den Rest des Lebens von seinen Eltern entfernte, sondern auch universell resistent gegen den Aufbau wahrer (gezeigter) Zuneigung gegenüber anderen machte.
Für Lou Reed, der sich immer mehr in die Musik steigerte (und bald darauf die Universität in Syracuse, New York besuchte), folgte eine sehr interessante Lehrzeit mit Bands und Studioerfahrungen (als Musiker eines Labels, das Billig-Platten mit den gerade angesagten Sounds der Zeit herausbrachte) sowie seinem Professor Delmore Schwartz, der ein großer Einfluss hinsichtlich seiner zweiten großen Passion, der Lyrik bzw. des Schreibens war. Ca. 1965 traf er John Cale und über ein paar Umwege gründeten die beiden die Band The Velvet Underground, die zumindest mit ihrem Debüt The Velvet Underground & Nico, eigentlich aber jedem ihrer Alben Meilensteine hinterließ. Der Rest ist Geschichte und wer diese höchstinteressante nicht kennt, der wird mit dem vorliegenden Buch allerbestens bedient.
Aber bereits zu dieser frühen Zeit wird mehr als deutlich, dass Lou Reed alles andere als ein einfacher Charakter war. Auf seine Initiative musste (der kongeniale Band-Partner) John Cale die Band verlassen. Als ihm der Einfluss von dessen Ersatz Doug Yule sowie der des damaligen Managers zu groß wurde, verließ unser Protagonist die Band, verbittert, körperlich wie psychisch am Ende und mehr oder weniger auf allen Vieren. Anschließend (nach ca. achtmonatiger Regenerations-Pause) folgte die Solokarriere, gestartet von dem desaströs gefloppten gleichnamigen Debütalbum.
Die siebziger Jahre waren von durchaus großen Erfolgen (die Alben "Transformer", "Rock'n'Roll Animal", "Sally Can't Dance" oder "Coney Island Baby") sowie auch den schweren verkaufstechnischen Abstürzen "Berlin" (1973) oder "Metal Machine Music" (1975) geprägt, darüber hinaus von Reeds schwerer Drogen- und Alkoholsucht. Weiter in die Details zu gehen, würde den Rahmen dieses Reviews sprengen, erwähnt werden soll aber auch noch, dass sich der Amerikaner Anfang der Achtziger immerhin von seinen 'schlechten Angewohnheiten' befreien konnte.
Zumindest von den Dingen, die man so legal oder illegal konsumieren kann. Rein menschlich gesehen wurde Reed im Anschluss sogar noch schwieriger, wovon jeder Musiker und Mitarbeiter in seinem Umfeld bis heute ein Lied singen kann. Eine zweite Zusammenarbeit mit John Cale (die nach Andy Warhols Tod und zu dessen Ehren mit dem Titel "Songs For Drella" erschien) sowie eine kurzfristige Reunion der Velvet Underground (die immerhin ein Live-Album sowie zugehöriger DVD abwarf) scheiterten an Reeds Kontrollwahn und Egozentrik. Nach zwei gescheiterten Ehen und einer (dazwischen stattgefundenen langjährigen) homoerotischen Beziehung folgte die für Lou wohl erfüllteste Zeit der Zweisamkeit, mit der Musikerin Laurie Anderson.
Aber von der überaus interessanten Geschichte werde ich hier jetzt nichts mehr weiter erzählen, denn dafür war schließlich der Buchautor Victor Bockris (der auch schon Biografien über
Patti Smith und Keith Richards veröffentlicht hat) zuständig. Bockris zeichnet sich durch sein Detailwissen sowie flüsssigen Schreibstil aus, die diese immerhin strammen ca. 550 Seiten zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise in Längen ausarten lassen.
Das Komische an diesem Buch ist fast schon, dass man - obwohl beim Lesen kaum Sympathien für den Menschen Lou Reed aufkommen können - am Ende fast schon traurig ist, als der unvermeidbare Sensenman seinen Auftritt hat. Vielleicht deshalb, weil der Leser erkannt hat, aus welchen Gründen der Amerikaner so war, wie er eben war. Dies kann zwar keine Entschuldigung für die vielen persönlichen Hässlichkeiten in dessen Privatleben sein, aber immerhin ein Hinweis auf das Warum. Jedenfalls ist "Transformer - (Die exklusive Biografie)" Seite für Seite packend, spannend, hochinteressant, verwirrend, verstörend, immer wieder Fragen hinsichtlich des Menschen Lewis 'Lou' Reed aufwerfend und sehr erhellend, wie die Geschichte von The Velvet Underground sowie den Solojahren ablief.
Lasst mich abschließen mit dem (Auszug eines) Zitat(s) eines (ungenannten) Freundes, das uns direkt zu Beginn des Buches auf die folgende Geschichte bzw. den Menschen Lou Reed vorbereitet:
»Nachdem er dich mit seinem Charme bezaubert hatte, zerstörte er dich, um selbst zu überleben.«
Kapitel:
01:Töte deinen Sohn
02:Der Horizont erweitert sich
03:Komm doch zurück, Shelley
04:Die Pickwick-Periode
05:Die Gründung der Velvet Underground
06:Spaß in der Factory
07:Exit Warhol
08:Exit Cale
09:Die Auflösung der Velvet Underground
10:Der gefallene Ritter
11:Die große Metamorphose: Vom Freeport-Lou zum Frankenstein
12:Keine Oberfläche, keine Tiefe
13:Die nervösen Jahre
14:Der Meister der Unverschämtheiten
15:Mister Reed
16:Ladybug
17:Der neue, der positive Lou (Blue Lou)
18:Der kommerzielle, der politische Lou
19:Eine Imitation von Andy
20:Und der Tod macht drei
21:Die Velvet-Hose passt nicht mehr
22:Die Transformation von Lou und Laurie
23:Ecstasy
24:Lou Reed trifft Edgar Allan Poe
25:Lou Reeds Klassiker
26:Lou und Lulu
27:Abschied von Lou Reed
28:Anhang A - Diskografie und Werkschau
29:Anhang B - Interviews mit Lou Reed
30:Quellenangaben
Externe Links: