Lou Reed / Winter At The Roxy - The 1976 L.A. Broadcast
Winter At The Roxy - The 1976 L.A. Broadcast Spielzeit: 57:57
Medium: CD
Label: Chrome Dreams (in-akustik), 2014 (1976)
Stil: Rock


Review vom 03.06.2014


Markus Kerren
Was, schon wieder ein Live-Album von Lou Reed? Allerdings, und zwar ein richtig geiles! Zugegebenermaßen gibt es ja nicht gerade wenige davon und die offiziellen aus den siebziger Jahren waren Rock'n'Roll Animal von 1974 (und der zweite Teil des Konzerts, das 1975 erschienene "Lou Reed Live") sowie das etwas umstrittene "Take No Prisoners" aus dem Jahr 1978. Genau dazwischen, logischerweise also 1976 wurde das jetzt vorliegende Konzert gespielt. "Winter At The Roxy..." wurde zu Anfang dieses Jahres in Los Angeles aufgenommen, dazu live im Radio übertragen.
Auf den ersten Blick wird die Setlist den geneigten Lou Reed-Kenner wahrscheinlich nicht unbedingt vom Hocker hauen. Zwei bzw. drei Songs von Velvet Underground ("Lisa Says" war eigentlich ein Velvet-Song, erschien offiziell aber erst später auf Reeds erstem Soloalbum), jeweils zwei Stücke des damals aktuellen Studioalbums "Coney Island Baby" (der Titelsong und "Kicks") sowie des im gleichen Jahr noch folgenden "Rock And Roll Heart" ("I Believe In Love" und "You Wear It So Well"). Schließlich dann noch Lous wohl größter Hit "Walk On The Wild Side".
Was diese Scheibe jedoch ausmacht, ist, dass sie wieder vollkommen anders als die anderen klingt. Das fängt schon damit an, dass hier Holz- und Blechbläser mit in der Band (über deren Mitglieder man allenfalls mutmaßen kann) waren. Auch, aber lange nicht nur deshalb klingt diese Performance wahnsinnig frisch, knackig und verfügt über jede Menge Drive sowie Druck. Und der Meister selbst war ebenfalls fantastisch drauf, in jeglicher Hinsicht sozusagen. Das über elfminütige "Kicks" (mit einer Vielzahl von 'bösen' Wörtern, die man in den USA öffentlich eigentlich gar nicht sagen darf) kommt nach den rockigen ersten Nummern beispielsweise mit einer fetten Dosis Funk daher, Reed singt sich geradezu in Rage und die Bläser schaffen es bei ihrem Solo dann sogar, einen ganz deutlichen Jazz-Anteil mit einzubauen. Hammer!
Die zweite lange Nummer, Waiting For The Man, marathont sich dann gar auf elfeinhalb Minuten und auch hier passiert jede Menge Ungewöhnliches. Nämlich (trotz der - wahrscheinlich von Reed gespielten - sehr punkigen Gitarre) ebenfalls sehr viel Jazz, sodass von der Original-Version dieses Tracks tatsächlich nicht mehr allzu viel übrig bleibt. Was aber bleibt, ist die Rastlosigkeit und Getriebenheit, um die es bei diesem Stück immer schon ging. Nur halt... anders. Dagegen wirkt das folgende "You Wear It So Well" fast schon wieder konventionell und erdig, was der Dynamik dieses Albums aber sehr gut tut.
Die Eröffnungstitel "Sweet Jane" und "I Believe In Love" haben es zwar nicht verdient nur in einem Nebensatz erwähnt zu werden, aber immerhin steht mit "Walk On The Wild Side" bereits der nächste Longtrack an, der sich über zehn Minuten erstreckt. Es wird improvisiert und Lou Reed erzählt in seiner 'charmanten' New York City-Art auch mal einen dreckigen Witz. Richtig klasse kommt auch das meines Wissens relativ selten live gespielte "Coney Island Baby", bei dem der Protagonist noch einmal seinem feinen Sinn für die hohe Erzählkunst freien Lauf lässt.
Ich hatte es an anderer Stelle schon mal geschrieben: Die Stärken einer Live-Scheibe können natürlich auch ihre Schwäche sein. Hier ist alles 1:1 vom Konzert übernommen, ohne Overdubs, null Nachbearbeitung. Man kann also alles, inklusive Spielfehlern, Feedbacks und kleinen Störungen in der Übertragungstechnik, hören. Es ist im vorliegenden Fall zwar bei Weitem nicht so schlimm, wie sich der vorherige Satz vielleicht angelesen haben mag, aber Klangpuristen sollten von diesem (zu 95 % richtig klasse klingenden Teil) vielleicht doch eher die Finger lassen. Oder es zumindest erstmal antesten.
Auch "Winter At The Roxy - The 1976 L. A. Broadcast" ist ein starkes Stück Zeitgeschichte, das sich ganz hervorragend in jede Lou Reed-Sammlung einreihen lässt. Schade ist lediglich, dass einige der Songs am Ende ausgeblendet werden, was wohl den berühmt-berüchtigten Werbe-Unterbrechungen der amerikanischen Medienlandschaft geschuldet sein dürfte.
Trotzem ein ganz feines Teil und historisch wertvoll!
Tracklist
01:Sweet Jane
02:I Believe In Love
03:Lisa Says
04:Kicks
05:Waiting For The Man
06:You Wear It So Well
07:Walk On The Wild Side
08:Coney Island Baby
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