Ein fast endloses Gespräch mit dem Rockpalast-Pionier Peter Rüchel - Teil I.
Peter Rüchel Ladies And Gentlemen! German Television proudly presents …




Interview vom 23.12.2009
Fotos: ©Axel Clemens


Ingolf Schmock
RockTimes: Wie gestaltete sich damals die Initialzündung und deren Umsetzung, ein Konzertformat wie das des Rockpalasts auf die Mattscheibe zu bringen? Welche Hürden mussten dabei überwunden werden, solche nichtkommerziellen TV-Sendungen im öffentlich-rechtlichen Programmschema überhaupt platzieren zu dürfen?
Peter Rüchel: Die Initialzündung war die Begegnung mit Christian Wagner, der gerade an der Film- und Fernsehakademie in München studierte und sich speziell für die Darstellung von Musik im Fernsehen interessierte, just zu einem Zeitpunkt, als man mir gerade die Leitung der WDR-Jugendredaktion anvertraut hatte. Christians Abschlussarbeit beinhaltete einen dokumentarischen Beitrag über den US-amerikanischen Singer/Songwriter Tim Hardin, nebst einer konzertanten Schwarz/Weiß-Produktion mit der Ulmer Jazzrockband Kraan, was meinen Plänen, für den WDR im Rahmen des Jugendprogramms eine Musiksendung anzustreben, die nötigen Impulse verlieh und wir allmählich ein dem vorhandenen Etat und freien Sendezeiten geschuldetes Konzept entwickelten.

Peter RüchelAnfang 1976 begannen wir schließlich, einmal im Monat ein 30-minütiges Musikformat zu produzieren, das nach der Idee meiner Sekretärin Bärbel Müller schon unter dem Logo "Rockpalast" ablief. Unsere Absicht, live und direkt gespielte Rockmusik ins Fernsehen zu transportieren, wurde durch die knappe Sendezeit erheblich eingeschränkt, d. h. ehe eine Sendung so richtig in Schwung kam, war sie auch schon wieder zu Ende. Eine Situation, die uns durchaus auf Dauer frustrierte.
Als Konsequenz hieraus überlegten wir uns an einem Abend im August 1976 bei einer der üblichen Besprechungen zum nächsten Studiotermin bzw. dessen Besetzung, eine alternative Lösung, die uns mit einer Samstagnachtsendung möglich schien, die, beginnend zu einer vernünftigen Sendezeit mit einem offenen Ende, bundesweit im ersten Programm einschließlich der Eurovision und mit live gespielter Musik von drei Rockgruppen, nebst zeitgleicher stereofoner Radioübertragung stattfinden sollte. Als Lokalität im Nordrhein-Westfälischen Gebiet wurde die Essener Grugahalle recht schnell für geeignet befunden, nachdem wir Köln als Heimatstützpunkt weniger spannend und die Dortmunder Westfalenhalle als zu groß empfanden. Logistisch bot sich Essen mit dem gerade mal 5 Minuten entfernten Waldhotel Bredeney für die gemeinsame Unterbringung der Künstler und der Rockpalast-Kern-Mannschaft geradezu an, wobei auch die angenehme Atmosphäre der Grugahalle keine unwesentliche Rolle abgab.

Als Christian und ich um drei Uhr morgens nach Hause fuhren, waren wir noch von tiefer Skepsis erfüllt, ob sich unser Konzept tatsächlich umsetzen ließe. Am nächsten Morgen unterbreitete ich diese Gedanken meinem damaligen Abteilungsleiter Siegfried Mohrhof, welcher aufmerksam und pfeiferauchend meinen Ausführungen folgte und mit seiner Erwiderung "Wissen Sie, das ist eigentlich eine sehr gute Idee" wohlwollend an den WDR-Programmdirektor Werner Höfer herantrat, der uns dafür ohne Vorbehalte grünes Licht erteilte.

Peter RüchelDie Fähigkeit, ungewöhnliche Einfälle gut zu finden und diese auch unmittelbar zu realisieren, machte schon immer die Qualität des WDR aus und unserem Konzept, möglichst jenseits von Interessen Dritter unabhängig bzw. ohne Veranstalter in eigener Produktion zu arbeiten, kam das doch sehr entgegen. Somit haben wir, unter Berücksichtigung von Zeitverschiebungen, allmählich einige überwiegend amerikanische Bands telefonisch kontaktiert, die wir persönlich für interessant befanden, was aber in Anbetracht unserer Pläne bei so manchen Musikern zunächst für Verwirrung sorgte, dann aber doch auf Gegenliebe stieß. Nach einigem organisatorischen Vorlauf konnte dann endlich die erste Rocknacht am 23. Juli 1976, u. a. mit Little Feat, auf Sendung gehen. Als Fazit kann man dazu nur anmerken, es war eben die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt, und es war das perfekte Ergebnis unseres damaligen Bestrebens, ein Programm für ein speziell interessiertes Publikum anstatt des heute üblichen Mittelmaßes präsentieren zu können.
RockTimes: Haben Sie diesbezüglich noch spezielle Erinnerungen an die Vorbereitungen der ersten Rockpalast-Nacht?
Peter Rüchel: Wir hatten im Vorfeld schon einige Beziehungen aufgenommen, eine davon war die zu unserem irischen Freund Rory Gallagher, die sich noch dauerhaft zu einer langjährigen Liaison entwickeln und einen gewissen Grundton für einige kommende Rockpalast-Konzerte vorgeben sollte. Wir spannen uns damals so etwas ähnliches wie die "Rollin' Thunder Revue" von Bob Dylan und seinen Musikerfreunden zurecht, nur dass dabei Rory die Hauptkomponente spielen sollte. Die damals meist nur Insidern bekannten Kalifornier Little Feat, welche mich bis dato von Vinyl schon verzaubert hatten, durfte ich schließlich im September 1976 bei einem Open Air-Konzert der Rolling Stones im Stuttgarter Neckarstadion bei mannigfaltigem Vorprogramm erleben. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit meinem alten Auto, den Kassettenrekorder auf dem Beifahrersitz, dahin fuhr und ihre geniale Studioplatte "Sailin' Shoes" abspielte, um dann eben diese Band, die gegen eine für diesen Tag ungünstige Konstellation antreten musste, zu erwarten. Ihr Auftritt mit dem eher komplizierteren Rhythmusgeflecht wurde vom Stones-Publikum weitestgehend ignoriert, bis auf den intonierten "Rock'n'Roll Doctor", der für ein allgemeines Live-Erlebnis sorgen sollte. Ich kann mich noch sehr genau in das Gefühl hineinversetzen, als der Gitarrist und Sänger Lowell George morgens um Sechs im Kölner Flughafen in seinem schneeweißen Overall gemächlich die lange Treppe zum Gepäckempfang herunterschritt und mir dabei der Gedanke "The Fat Man In The Bathtub" himself durch den Kopf schoss. Ich hatte dabei Tränen in den Augen.

Peter RüchelDie Sache mit dem ehemaligen Byrds-Mitstreiter
Roger McGuinn ergab sich einfach und so ging die erste Rocknacht 1:1 über den Bildschirm, wie wir sie konzeptionell erdacht hatten. Wir handelten zu diesem Zeitpunkt technisch noch völlig unbedarft, es war quasi ein 'Learning By Doing' und die Umbaupausen waren teilweise so lang, dass den Moderatoren der Redestoff ausging und man minutenlang Soundschecks europaweit übertrug.
Abgesehen von einigen technischen Ungereimtheiten wurde die Show am darauffolgenden Dienstag in der Programmdirektion wohlwollend kommentiert und der Vorschlag einer monatlichen Rocknacht an uns herangetragen, und wohlwissend um deren Entzauberung und etwaige Besetzungsprobleme, die Frühjahr- und Herbst-Variante dennoch fest eingeplant.
RockTimes: War Ihnen damals bewusst, welche Bedeutung diese Rockpalast-Happenings für die jugendlichen Rockmusikliebhaber jenseits des 'Eisernen Vorhanges' hatten und welches Gefühl damit über die Grenzen transportiert wurde?
Peter Rüchel: Wir haben es gewissermaßen erahnt und es auch in den Ansagen von Albrecht Metzger verlauten lassen. Meist zu Beginn hieß er unsere Gäste "hinter dem Zaun" willkommen, also unsere Zuschauer der ehemaligen DDR und im Ostblock. Insofern war der Osten für uns noch unentdecktes Musikland und wir eröffneten denen ein großes Fenster über dessen Bedeutung wir uns zu jener Zeit nicht ganz im Klaren waren.
Die einzige DDR-Band, die es frühzeitig in den Rockpalast schaffte, waren City, die schwer bewacht von den dortigen Kulturbehörden 1978 in der Dortmunder Westfalenhalle gastieren durften. Über die wahre Tragweite unseres Schaffens für den Osten erhielten wir eigentlich erst nach der Wende Kenntnis, als wir quasi Kontakt zu Menschen aufnehmen und selbige uns ihre damaligen Empfindungen endlich mitteilten konnten.
Das aktuelle Rockpalast-Buch enthält auch ein aufgeschriebenes Kapitel von Tobias Künzel, Mitglied der Leipziger Popgruppe Die Prinzen, der das Ganze hinter zwei Mauern erlebt hat - einmal die Mauer, die die DDR von der westlichen Welt abschirmt, und dann die Mauer des Thomaner-Alumnates, hinter der nur klassische Musik stattfinden durfte. Künzel beschreibt, wie er auf abenteuerliche Weise schließlich doch einen Weg für sich entdeckt hatte, die Konzertnächte mitzuverfolgen.
Dann ist da das Kapitel mit dem Freund Peter Gehre, ehemaliger Chemie-Facharbeiter der Leuna-Werke und heute ambitionierter Künstler, der sich schon damals auf der Suche nach 'draußen' befand und seine Rockpalast-Erfahrungen in einem Ölgemälde von Rory Gallagher festhielt, dessen glücklicher Besitzer i-c-h mittlerweile wurde.
Die erste konkrete Begegnung mit dem ostdeutschen Publikum hatte ich allerdings schon beim legendären Bruce Springsteen-Auftritt auf Ostberliner Seite 1988, als ich überraschenderweise von dortigen Fans begrüßt und euphorisch auf Rockpalast-Details angesprochen wurde.
RockTimes:Peter Rüchel Legen die Musiker heutzutage immer noch ein exaltiertes Verhalten an den Tag oder stellen gar außergewöhnliche Forderungen für ihren Auftritt, wie es in den so genannten 'wilden Zeiten' oft geschah?
Inwiefern hat sich das Leben innerhalb des Backstagebereiches gewandelt?
Peter Rüchel: Die Produktionsverhältnisse in der Grugahalle waren damals paradiesisch. Wir errichteten unsere Technik eine Woche vor der Livesendung und jede engagierte Band bekam einen eigenen Probentag zur Verfügung gestellt. Die dritte Position probte am Mittwoch, die zweite am Donnerstag usw., sodass wir letztendlich den PA- bzw. Bühnen-Aufbau für den Opener am Freitag schon unter Dach und Fach wussten. Die Musiker und das gesamte Produktionsteam wohnten im gleichen Hotel und wurden traditionell am Dienstag mit einem Oberbürgermeister-Empfang der Stadt Essen, in einem Ausflugslokal am Baldeneysee gewürdigt.
Außerdem wurden an dieser Stelle meist auch Jamsessions unter den anwesenden Musikern vereinbart, wobei sich selbst die als recht schwierig geltenden Zeitgenossen wie Mitch Ryder dazu animieren ließen.

Um dem etwas anderen Lebensrhythmus der Künstler Rechnung zu tragen, trafen wir uns nach den Proben um Mitternacht an der Hotelbar, d. h. diese einwöchentliche Gemeinschaft von Gleichgesinnten genoss eine intensive Kennenlernphase, die im Kern zu einem Wir-Gefühl hinführte und schließlich zusammen mit den 8000 Hallenbesuchern in eine authentische Konzertsendung gipfelte.
In dieser Nacht waren wir traumverloren und eng verbunden, die Musiker, das Team, das Publikum und die Zuschauer, die europaweit Rockpalast-Parties feierten, pflegten ein Gemeinschaftserlebnis jenseits der Isolation.

Innerhalb der zweiten Staffel des Rockpalasts veränderte sich das formell grundlegend, so lernten wir die engagierten Musiker erst am Tag ihres Auftrittes kennen, bevor diese danach im Tourbus zum nächsten Festival entschwanden, und die Produktionen, wie das Bizarre-Festival, Fremdübernahmen waren, bei deren Umsetzung wir nur noch geringes Mitspracherecht hatten. Die Ausnahmen bildeten nur noch die Loreley-Veranstaltungen 1995-99, bei denen dann aber auch vertragsgebundene Musikergagen ausbezahlt wurden und vermehrt ein unternehmerisches Know-how gefragt war.
Im Gegensatz dazu spielten die Gagen für die Künstler angesichts der weiten TV-Verbreitung während der ersten Staffel eine eher untergeordnete Rolle, zumal manche Bands gern darauf zurückgriffen, eine Europatournee in einer Nacht zu absolvieren.

Peter RüchelWährenddessen war es keine Seltenheit, dass sich aus den Musikerbekanntschaften auch echte Freundschaften entwickelten und sich über die Jahre gar konsolidierten. Eine davon ist Little Steven, bekannterweise Mitglied der E Street Band, deren Boss Bruce Springsteen ich über die gesamte Strecke vergeblich versuchte, zu einem Auftritt im Rockpalast zu bewegen.
Die Faszination für Springsteens Musik liegt durchaus in meiner Jugend begründet, als ich 1953 für ein Jahr in Minneapolis/Minnesota die Schulbank drückte und ich ein Bewusstsein dafür entwickelte, was 'Saturday Night On Main Street' eigentlich bedeutete, und was ich später in einigen Texten bzw. der Atmosphäre wiederfand.

1982 bekam ich von Springsteens Manager John Landau ein Telex mit dem Inhalt »Ich muss dich auf die Geburt eines neuen Stars aufmerksam machen«, der sich als Steven van Zandt alias Little Steven entpuppte, der damals gerade die E Street Band verlassen und seine eigene Truppe The Disciples Of Soul formiert hatte. Mit deren genialem Debüt "Men Without Women" im Ohr und mit einigen Empfehlungen, flog ich, nebst einem Kollegen und einem Scheck über die halbe Gage nach New York mit dem unbändigen Willen, wenigstens ein E Street-Bandmitglied für einen Auftritt zu engagieren.
Wir trafen uns schließlich in einem kleinen Cafe auf der Avenue Of America und von diesem Augenblick an war dieser charismatische Musiker nur noch Little Steven für mich und nicht mehr der Gitarrist von Springsteens Truppe. Zu diesem hochbegabten Songschreiber und Musiker, dessen einzige Chance damals darin bestand, sich einem übermächtigen Schatten zu entziehen, entwickelte sich über die Zeit eine echte Freundschaft. Übrigens hat er auch ein Kapitel zu dem Buch mit beigetragen.
RockTimes: Wie kündigte sich seinerzeit das Ende der ersten Rockpalast-Staffel an, und wie wurde viele Jahre später wieder ein Neubeginn gewagt?
Peter Rüchel: Nachdem anfangs die Öffentlich-Rechtlichen die alleinige Erziehungsrolle im Fernsehen inne hatten, traten Mitte der 80er allmählich die Privaten Sender auf den Plan, was gravierende Prämissen wie Werbung und Einschaltquoten aufkommen ließ.
Somit richteten sich die Einschaltquoten gegen die Sendeformen, die auf ein spezielles Publikum zugeschnitten waren und begünstigten gleichzeitig Formate für die Allgemeinheit. Dazu kam 1985 die erste, von den Öffentlich-Rechtlichen produzierte Videoclip-Sendung "Formel 1", die handwerklich Beachtliches zu bieten wusste und eine neue Ära der Musikpräsentation im TV einläutete.

Peter RüchelWir hatten zu diesem Zeitpunkt schon erhebliche Probleme, die Rocknächte zu besetzen, und so geriet die Oktobernacht 1985 mit einem eher unterqualifizierten Line-up, wobei die Rodgau Monotones und ein Salsa-musizierender Ruben Blades für sich selbst sprachen, zum völligen Desaster, und uns zum Resultat des vom damaligen Programmdirektor Günter Struwe verkündeten 'Aus'.
Nur noch zwei vertraglich geregelte Sendungen mit
Pete Townshend & The Deep End in Cannes, nebst der Rocknacht mit Big Country, Jackson Browne und BAP besiegelten tränenreich und endgültig die erste Rockpalast-Staffel.

Letztendlich nahm ich es im Nachhinein als Chance, uns neu zu orientieren und nach einer längeren Pause mit der Unterstützung des neuen Programmmachers Gert-Kaspar Müntefering, einem der "Sendung mit der Maus"-Erfinder, und lauter werdenden Rufen nach einem Rockmusik-orientierten Jugendprogramm, den roten Faden vergangener Rockpalast-Tage wieder aufzunehmen. Keinesfalls aber wollten wir dabei den Fehler begehen, uns in nostalgische Überlegungen zu verstricken.
Um den Gedanken, ein zeitgemäßes Programm für ein junges Rock'n'Roll-interessiertes Publikum zu verwirklichen, verbündeten wir uns 1996 mit dem etablierten Bizarre-Festival, um die erste Sendung unter dem Rockpalast-Banner zu realisieren. Mein zweiter Sohn, der gerade das Abitur abgelegt hat und bekennender HipHopper und Schlagzeuger einer Swing-Band ist, hat mich auf einem Großteil dieser Strecke begleitet, bzw. auch die nötigen alternativen Musikimpulse mitgegeben.
Währenddessen konnte ich später persönlich auch noch Dinge, die mir immer am Herzen lagen, wie das vom Rockpalast unterstützte Rock am Ring-Festival verwirklichen.
So gelang es mir 2002 dann auch, nach zwanzig Jahren hartnäckigen Bemühungen im Rahmen dieses Festivals, die Folk Rock-Legende Neil Young zu einem Auftritt zu bemühen und ihn zeitversetzt direkt, quasi zu nachtschlafender Zeit im ersten Programm zu übertragen. Ich werde hierbei nie den Augenblick vergessen, als mein damals 12-jähriger Sohn, der mit mir und einigen Begleitern hinter der PA ins mittlerweile halb geleerte Rund auf des Altmeisters Performance sah, und der Steppke meine Frage, wie er es wohl fände, mit einem lakonischen "Interessant" kommentierte.

RockTimes bedankt sich bei Peter Rüchel, der Edel Germany GmbH Hamburg und dem IBB Hotel Erfurt für die freundliche Unterstützung.

Zu Teil II des Interviews
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