Ein fast endloses Gespräch mit dem Rockpalast-Pionier Peter Rüchel - Teil II
Peter Rüchel Ladies And Gentlemen! German Television proudly presents …




Interview vom 20.02.2010
Fotos: ©Axel Clemens


Ingolf Schmock
Der Verfasser dieses Artikels möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass dieses geführte Gespräch rhetorisch und im sprachlichen Kontext bearbeitet wurde.
Peter Rüchel RockTimes: Wie empfanden Sie persönlich die schwierigen Gratwanderungen zwischen Kommerz und Anspruch, und welche Kraft trieb Sie damals an, diese zu überwinden?
Peter Rüchel: Da es uns vergönnt war, unsere eigenen Wünsche und programmtechnischen Ansprüche völlig frei bzw. selbstständig umzusetzen, mobilisierten wir dafür keine zusätzlichen Kräfte und wussten die nahezu paradiesischen Bedingungen beim WDR für uns zu nutzen und zu schätzen. So konnten wir einige aufstrebende und für uns hoffnungsvolle Bands weit vor deren rasantem Aufstieg auf der Karriereleiter engagieren, und im speziellen Fall die Iren U2 1981 vor 350 zahlenden Besuchern im Berliner Metropol veranstalten, bevor sie 1983 beim Lorelei-Auftritt die Herzen der deutschen Rockfans endgültig für sich zu öffnen vermochten.
Kommerzielles Kalkül spielte daher für uns keine Rolle und so durften wir auch strittige Wagnisse wie King Sunny Ade And His African Beats und Joe Jackson auf einer Bühne verwirklichen, ohne dabei unser treues und von Erwartungen geprägtes Konzertpublikum zu verprellen.
Peter Rüchel Natürlich hatten wir auch nichts dagegen, solche 'großen' Bands wie The Police oder The Who zu präsentieren, deren Strahlkraft sich auf uns und ebenso auf das Publikum auswirkte. Die Beweggründe für uns, diese Dinge anzugehen, bestanden aber generell darin, dass wir sie gut fanden, was ein hohes Maß an Subjektivität verkörperte, denn letztendlich waren wir dafür zuständig, das Programm für ein Publikum zu gestalten und nicht, um uns selbst damit zu befriedigen. Es hätte nicht 'von Hier bis zur Tischkante' gereicht, wenn selbiges nicht darauf geantwortet hätte.

So trugen sich eben Geschichten zu, dass wir den Auftritt des damals noch Texanischen Geheimtipps ZZ Top gegen 4 Uhr morgens anberaumten, die Bärte ihn fast in ihrer Garderobe verpasst hätten und nach einem ellenlangen "Deguello"- Intro gerade noch rechtzeitig ihre Gitarren einstöpselten, um mit "You Didn't Have To Do What You Did, But You Did And I Thank You" ein furioses und äußerst wichtiges Konzert ihrer musikalischen Laufbahn zu starten.
Ein Jahr später berichtete mir Gitarrist und Freund Billy Gibbons in einem Düsseldorfer Frühstücksraum davon, dass die Musiker während ihrer gerade beendeten Skandinavien-Tournee mehrmals von Straßen-Passanten euphorisch auf den Rockpalast-Auftritt angesprochen wurden. Eben dieses Ereignis, das überhaupt erst durch den Wechsel ihrer Plattenfirma zu Warner Brothers ermöglicht wurde, ebnete den Bluesrockern einen rasanten Karriereweg in Europa.

Erst vor kurzem holte mich Billy während eines Gastspiels in der Essener Grugahalle auf die Bühne, um gemeinsam an diese prägende Konzertnacht im April 1980 zu erinnern. In der zweiten Rockpalast-Staffel hingegen konnten dann kommerzielle Aspekte nicht mehr ausgespart werden, da sie in Zusammenarbeit mit Konzertveranstaltern zwangsläufig unternehmerischen Geschäftsgebaren geschuldet waren.
Peter Rüchel Das bedeutete aber keinesfalls, dass dabei nicht auch manchmal gewisse Risiken eingegangen wurden. Und entgegen allen Befürchtungen sind auch nicht weniger Bizarre-Festival-kompatible Bands engagiert worden. Speziell beim Page&Plant-Gastspiel 1998 besuchten ich und der Veranstalter deren Konzert in der tschechischen Hauptstadt Prag, um letztendlich zu einer positiven Entscheidungsfindung zu kommen, die sich livehaftig als überraschender Höhepunkt unter den meist alternativen Rockern erweisen sollte.
RockTimes: Wie kam es übrigens zu der Idee, das fulminante Band-Paket The Who -
The Grateful Dead für die achte Rocknacht zu schnüren?
Peter Rüchel: Es hat sich einfach so ergeben, nachdem ich zuvor jahrelang im Londoner Who-Management-Büro eingelaufen war, um deren Aversionen gegen TV-Konzerte zu erweichen.
Die Überlegung, das damals gerade fertiggestellte Who-Studioalbum "Face Dances", quasi in einer Nacht europaweit promoten zu können, erleichterte doch schließlich die Bereitschaft des Managements, Roger Daltrey, Pete Townshend und Co. zu diesem einmaligen Konzertunterfangen zu überreden. Die Grateful Dead hingegen händelten die üblichen Formalitäten ziemlich lässig, äußerten nur den Wunsch, eine gerade lieb gewonnene Artistengruppe aus San Franscisco, The Flying Karamazow Brothers, auf eigene Kosten mitbringen zu dürfen, die sich dann beim Dreieinhalb-Stunden-Auftritt von Jerry Garcias Truppe zu profilieren vermochten.

Damals holten wir noch jeden engagierten Künstler persönlich vom Flughafen ab, um dann im Konferenz-Bus der Stadt Essen einen ersten direkten Smalltalk mit ihm und dem gesamten Aufnahme-Team abzuhalten. Dabei kann ich mich noch sehr gut daran erinnern, wie mir Jerry Garcia vom vor längerer Zeit absolvierten Open-Air-Auftritt der Band an den Pyramiden von Gizeh mit den Worten »and the Beduins parked their camels on the horizon« vorschwärmte.
Peter Rüchel Beim Empfang von The Who dagegen erkundigte sich Pete Townshend noch innerhalb des Düsseldorfer Flughafen-Zollgeländes nach den Ablaufplänen, um prompt wenig später mit seinen Mannen auf meinen Wunsch hin vor leerer Halle ein vollständiges, fulminantes Probenkonzert abzuliefern. Ich bedaure es heute noch, mein Versprechen nicht gebrochen zu haben, dieses beeindruckende Ereignis zu dokumentieren.

Die Deads nahmen sich der Sache ziemlich locker an und vertrauten nach wenigen Proben-Songs auf ihre bandeigenen Improvisationskünste. Festgeschrieben wurde nur die Regel, während des Konzertes das Gleichgewicht von Jerry Garcia- und
Bob Weir-Kompositionen zu wahren.

Ich weiß noch, wie ich nach der Probe an Bob einen persönlichen Wunsch herantrug: »Ich weiß, dass ihr immer spontan entscheidet, was ihr als Nächstes spielen wollt. Aber wenn du dich in der Sendung nach "Looks Like Rain" fühlen würdest, dann wüsste ich jemanden, der sich darüber freuen würde.« Er sah mich an und erwiderte: »I will feel like it« und performte prompt diesen Song während des Konzerts.
Bei der abschließenden Jam-Session mit Pete Townshend harmonierte das noch recht anständig intonierte "Not Fade Away" mit des Who-Gitarristen Repertoire-Kenntnissen, wogegen er sich mit den nachfolgenden Dead-Kompositionen nur schwer zurechtfand, zumal die mit umgestimmten Gitarren agierten - ein Zustand, der den Briten in die Passivität drängte bzw. zum Aufgeben verurteilte. Vom Publikum wurde dieser Umstand gewissermaßen kaum bemerkt. Übrigens ist die DVD-Veröffentlichung dieses Rockpalast-Auftritts für das Frühjahr angeplant.
Peter Rüchel RockTimes: Werden mit zunehmender Technik, mehr Kameras etc. Zugeständnisse an das nachgewachsene Publikum gemacht, und besteht nicht die Angst, das mediale Live-Ereignis dadurch künftig zur rasanten Clipshow verkommen zu lassen?
Peter Rüchel: In der ersten Staffel mussten wir in der Tat mit recht schwerfälligem TV-Equipment hantieren, was uns natürlich bildtechnisch enorm einschränkte bzw. das Ganze recht statisch gestaltete. Das änderte sich in der zweiten Staffel grundlegend. Steady-Cams, Drahtseilkameras und diverse elektronische Neuerungen ermöglichten uns mehr Spielraum, um das komplexe Ereignis optimaler darzustellen. Die ältere Technik hingegen wusste aber noch mit dem konzentrierteren Einfangen der Bühnenszenerie zu überzeugen, und sie gezwungenermaßen auch gimmickfrei auszustrahlen. Wir unterlagen damals noch nicht der Versuchung, in sinnlose technische Spielereien zu verfallen, die aus heutiger Sicht gar ins Leere führen oder inflationär wirken mögen.
Ich wünschte mir manchmal, man würde diese alten Darstellungsformen wieder verstärkt einsetzen, obwohl die antiquiert anmutenden Röhren-Kameras nachteilig auf den Schalldruck im Bühnengraben reagierten und Wellenbewegungen im Bild verursachten oder gar mit sparsamen Lichtverhältnissen zu kämpfen hatten - Widrigkeiten, die mit dem heutigen technischen Entwicklungsstand völlig abgestellt wurden.

Unser frisch von seinem theoretischen Studiumwissen geprägter Regisseur, Christian Wagner, vertrat damals noch die Auffassung, dass die entscheidente Einstellung beim Fernsehen die Totale sei, die in diesem Fall die gesamte Interaktion einer Band aufzuzeigen vermochte.
Von der Arbeitsweise der räumlichen zur seitlichen Bild-Gliederung, der sogenannten Montage, mussten wir ihn erst überzeugen, ehe er sie dann auch im Einklang mit der Musik über die Jahre hinweg stetig perfektionierte.
Peter Rüchel RockTimes: In Ihrem Buch werden die kleineren Auftritte zahlreicher beachtenswerter Acts weitestgehend ausgespart. Wird es gegebenenfalls einen Nachschlag zum aktuellen Buch geben?
Peter Rüchel: Im Grunde genommen sehr gern, es hängt aber davon ab, wie das aktuelle Rockpalast-Buch vom Leser angenommen wird. Dieses sollte ursprünglich eigentlich mit prallen 256 Seiten auf hochwertigem Papier und gleichzeitig mit einem vernünftigen Preis aufwarten. Daraus wurden kalkulierte 208 Seiten, wodurch die angesprochenen Bandauftritte reduziert werden mussten. Dabei richtete ich den Fokus auf die beeindruckendsten bzw. wichtigsten Persönlichkeiten aus den Rockpalast-Geschehnissen und garnierte die Chronologie mit einigen Anekdoten, unter dem Aspekt des nicht berechenbaren Live-Ereignisses, das für mich den eigentlichen Rock'n'Roll verkörperte.

Der ehemalige US-Superstar Mitch Ryder zum Beispiel, der damals nach langer Konzertabstinenz die Rocknacht-Gelegenheit benutzte, ein Studioalbum und sein Musikerdasein europaweit wieder ins Gespräch zu bringen, überbrückte die lange Wartezeit zwischen Probe- und Auftrittstag mit 'Mensch ärgere dich nicht' spielen und dem reichlichen Leeren der Hotel-Mini-Bar. Die angestaute Frustration entlud der angetrunkene Sänger dann während seines Auftritts um drei Uhr morgens auf seine doch recht junge Begleitband, was übrigens ein Nichtzustandekommen der finalen Jam-Session mit
Nils Lofgren und Southside Johnny zur Folge hatte, weil die sich vorsorglich geweigert hatten.
Erst drei Monate später wurde mir eigentlich bewusst, was für eine nachhaltige Wirkung dieses unter die Haut gehende Konzert nach sich zog und dessen Kraft mit dem Erscheinen der Mini-LP "Rock'n'Roll/Soul Kitchen(Live At The Rockpalast 79)" noch manifestiert wurde.
Peter Rüchel Neben der Freundschaft verbindet uns übrigens auch das Sternzeichen der Fische. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch gern daran, wie wir beide uns über einen Wandspruch in einem Kölner Umkleideraum, der sinngemäß 'Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom' lautete, köstlich amüsierten.
RockTimes: Was sollte Ihrer Meinung nach der Musikjournalismus seinen Konsumenten heutzutage vermitteln? Räumen Sie den Internet-Musik-Magazinen, die mit sehr viel Herz und ohne Einschränkungen arbeiten, künftig eine Chance gegenüber etablierten PrintMags ein?
Peter Rüchel: In erster Linie möchte ich über diverse musikalische Neuvorstellungen informiert werden, frequentiere andererseits aber auch historische Darstellungen und Ereignisse. Selbst bin ich kein großer Internetnutzer, beobachte aber bei meinem Sohn, dass dieses an Schnelligkeit nicht zu überbietende Informationsmittel gegenüber den Printmedien an steigender Bedeutung gewinnt bzw. selbiges privilegiert.
Ich selbst vertraue beim Lesen von Musikblättern auf die Erläuterungen bzw. Meinungen von Rezensenten, die ich kenne und deren Urteils-Qualitäten ich im Laufe der Zeit schätzen gelernt habe.
Das bedeutet wiederum nicht, dass informative Fakten in völliger Trockenheit verharren sollen, sondern durchaus in einer interessanten Geschichte verpackt sein dürfen.
Meiner Meinung nach ist ein wirklich neues Format noch nicht gefunden worden. Vieles ist recht desperat und wiederholbar. Kleinere Brötchen backen, um auf diesem Sektor ein innovativeres Moment zu eröffnen, wäre vielleicht ein besserer Weg.

Peter Rüchel Da gab es Anfang der Siebziger ein einziges ernstzunehmendes Jugendprogramm, nämlich 'Baff', das vom WDR produziert wurde und dessen Gestaltung einigen nachfolgenden Formaten vehement die Assoziations-Schablone lieferte. Heutzutage wirken die Vorstellungen von etwaigen Sendeformaten, wie wir sie risikobewusst mit den Rocknächten verwirklichten, eher hemmend, weil Faktoren wie Sendezeiten während der PrimeTime oder ausreichende Etats eben nicht mehr gegeben sind. Eine Eurovision spielt heutzutage im Zeitalter der Satellitenübertragungen auch keine solch gewichtige Rolle mehr, wie es damals noch der Fall war.
Vielleicht kann ich es mit einer kleinen Anekdote, die schon etwas länger zurückliegt, besser erklären. Wir bekamen damals gerade einen neuen Chef für das Kulturressort zugewiesen, bei dessen dynamischer Antrittsrede sehr viel über Umstrukturierungen und Synergieeffekte gesprochen wurde, und dessen Aufforderung nach konstruktiven Vorschlägen in die anwesende Runde zunächst erst einmal nur mit einem betretenen Schweigen beantwortet wurde.
Um die etwas peinliche Situation zu unterbrechen, meldete ich mich schließlich zu Wort und unterbreitete den Einwand, dass ich persönlich bei diesen vielversprechenden Plänen das Chaos vermisse. Damit meinte ich natürlich einen gewissen Handlungsspielraum, der den heutigen, zum Erfolg verdammten Programmverantwortlichen fast gänzlich abhanden gekommen zu sein scheint.
RockTimes: Für welche fünf Inselplatten würden Sie sich entscheiden?
Peter Rüchel: Van Morrison - "Astral Weeks", Little Feat - "Sailin' Shoes",
Jimi Hendrix - "Electric Ladyland", The Who - "Live At Leeds" und natürlich Rory Gallagher - "Irish Tour".
Autorisiert von Peter Rüchel

Zu Teil I des Interviews
RockTimes bedankt sich bei Peter Rüchel, der Edel Germany GmbH Hamburg und dem IBB Hotel Erfurt für die freundliche Unterstützung.
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