R.E.M. / Reckoning (Deluxe Edition)
Reckoning Deluxe Edtion Spielzeit: 38:55 (CD 1), 56:07 (CD 2)
Medium: Do-CD
Label: I.R.S. Records/Capitol Records, 2009 (1984)
Stil: Alternative Rock


Review vom 21.07.2010


Joachim 'Joe' Brookes
Nach Murmur Deluxe Edition erschien auch "Reckoning" als besondere Ausgabe. Die Verpackung ist ebenso schmuck, wie die des Vorgängers. Für die wortreichen Linernotes zeichnet Tony Fletcher, seines Zeichens britischer Journalist, verantwortlich. Als Biograf kümmerte er sich nicht nur um R.E.M., sondern schrieb auch über Keith Moon sowie Echo & The Bunnymen. Wirklich lesenswert, dieser Text, der sich in der Hauptsache um die Entstehung der Platte "Reckoning" rankt.
Nach dem großen Erfolg des ersten Albums musste der Nachfolger über die wahren Qualitäten dieser Band Aufschluss geben. Nun ist die History der Gruppe um den Sänger Michael Stipe ja mittlerweile festgezurrte Geschichte und allerseits bekannt. Der Vierer wollte anders sein. Die Einteilung der damaligen LP in eine 'L'- und 'R'-Seite ist da aus meiner Sicht nur ein nettes Nebenbei. Den Albumtitel vermisst man auf dem Cover und stattdessen erscheinen auf der zweiköpfigen Schlange einige Songnamen. Der Hinweis »File Under Water« kann nur ironisch gemeint sein. Was zählt ist der musikalische Inhalt des 1984 erschienenen Originals.
Locker und flockig eröffnet "Harborcoat" das Album. Die Gitarren klingen fast so, als würden sie phasenweise mit dem Ska anbändeln wollen. Bill Berry haut einen treibenden Beat raus und über Harmonien beziehungsweise Melodie muss man bei der amerikanischen Band gar nicht reden. Eine echte Überraschung ist die für eine Stippvisite zu hörende Harp in der Mitte des Tracks. Die Kompositionen, alle aus dem Kollektiv stammend, sind geradeaus rockend und irgendwie mit einer größeren Eingängigkeit behaftet. Hier und da dürfen, wie auf "Murmur", Pianoklänge nicht fehlen. Der Sound des Sechssaiters, oft durch Overdubbing verstärkt steht sozusagen im Zentrum des instrumentalen Hörvergnügens. Stellenweise werden gar Gitarrensoli eingeflochten und selbstredend zupft Mike Mills immer noch einen höchst melodischen Bass.
Neben solchen Lichtgestalten wie "Pretty Persuasion", in dem Buck durch sein Spiel mit den Byrds zwinkert oder "(Don't Go Back To) Rockville", das einen astreinen Country-Rocker mimt, finden sich auch deutlich melancholische Momente auf dem Silberling. "Camera" ist gleichzeitig die Überballade der Platte.
Über das gekonnte Songwriting des Quartetts finden sich viele verschiedene Kleinode in den einzelnen Tracks. Klasse Songs mit ultimativem Riffing sind zum Beispiel "Second Guessing" oder in anderer Weise der Rausschmeißer "Little America" mit einer psychedelischen Wiederaufnahme des Themas am Ende des Tracks. Ähnlich wie der Erstling war "Reckoning" richtungweisend und auch heute noch macht es Spaß, sich der Vielfalt an Gitarrenklängen hinzugeben.
Ebenfalls identisch mit der "Murmur"-Jubiläumsausgabe enthält "Reckoning Deluxe Edition" eine Live-CD. Gleich zu Beginn ehrt R.E.M. Velvet Underground mit der Sängerin Nico. Unverkennbar überlagern Stipe & Co das filigrane Original mit ihren persönlichen Federstrichen. Zwischen der Bonus-CD aus Larry's Hideaway (von "Murmur") und dem Konzert im Aragon Ballroom liegen fast auf den Tag genau nur zwölf Monate. Der Sprung von der Club-Atmosphäre in die größeren Hallen ist deutlich hörbar und der Zuschauer-Enthusiasmus ist ebenfalls ein anderer.
Weitere Parallelen zur ersten Deluxe Edition sind in der Setlist auftauchende Songs, die erst einige Zeit später auf Alben veröffentlicht werden sollten. "Hyena" findet sich in der Tracklist von "Lifes Rich Pageant", das 1986 auf den Markt kam. Wie viele andere Stücke auf der Plattenzugabe rockt das 'aasfressende Tier' wie Schmitz Katze und nicht ganz so lange musste man auf "Driver 8" warten. Der tauchte schon 1985 im "Reckoning"-Nachfolger "Fables Of The Reconstruction" auf.
Auch 1984 liebte es R.E.M., sich live rau und stellenweise rotzig zu geben. Kein Wunder, finden sich doch einige Nummern bereits auf dem Debütalbum. Der Gig wurde seiner Zeit von der Chicagoer Radiostation WXRT aufgezeichnet und ist heute in bester Klangqualität zu hören.
"Reckoning Deluxe Edition" kommt unter dem Strich genauso gut weg, wie "Murmur ...". Rundum ist die Sonderausgabe des Albums eine in sich stimmige Angelegenheit, deren Anschaffung einfach nur zu empfehlen. So aufbereitet macht Rock-Geschichte Spaß.
Line-up:
Michael Stipe (vocals, harmonica)
Peter Buck (guitar)
Mike Mills (bass, backing vocals)
Bill Berry (drums, backing vocals)
Tracklist
Reckoning:
01:Harborcoat (3:58)
02:7 Chinese Bros. (4:15)
03:So. Central Rain (3:16)
04:Pretty Persuasion (3:53)
05:Time After Time (Annelise) (3:34)
06:Second Guessing (2:50)
07:Letter Never Sent (3:03)
08:Camera (5:51)
09:(Don't Go Back To) Rockville (4:33)
10:Little America (3:43)
Live At The Aragon Ballroom, Chicago, 07.07.1984:
01:Femme Fatale (3:19)
02:Radio Free Europe (3:54)
03:Gardening At Night (3:38)
04:9-9 (2:48)
05:Windout (2:13)
06:Letter Never Sent (3:03)
07:Sitting Still (3:13)
08:Driver 8 (3:28)
09:So. Central Rain (3:23)
10:7 Chinese Bros. (4:27)
11:Harborcoat (4:34)
12:Hyena (3:26)
13:Pretty Persuasion (3:49)
14:Little America (3:23)
15:Second Guessing (3:07)
16:(Don't Go Back To) Rockville (4:30)
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