Robbie Robertson ist, vor allem durch seine Arbeit mit The Band zu so was wie einer Kult-Figur geworden. Nicht nur, dass diese Truppe mit ihren ersten beiden Alben ("Music From Big Pink" & The Band) in den späten Sechzigern eine Rückbesinnung von der Psychedelic auf wieder Basis-orientiertere Musik einläutete, sondern sie hat auch die damaligen Szene-Größen schwer beeindruckt. So wollte zum Beispiel Eric Clapton nach dem Genuss von "Music From Big Pink" seine bisherige Karriere komplett über Bord werfen, er reiste in die amerikanische Provinz nach Woodstock und hatte nichts anderes mehr im Sinn, als bei diesem Quintett einzusteigen.
Daraus wurde zwar nichts ( The Band gab ihm freundlich zu verstehen, dass man bereits einen Gitarristen habe und keinen zweiten bräuchte), aber erstens entwickelte sich eine dicke Freundschaft und zweitens waren Claptons Alben ab "461 Ocean Boulevard" (1974) deutlich von den Mannen um Robbie Robertson und Levon Helm inspiriert. Bei Robertsons fünftem Solo-Album "How To Become Clairvoyant" schließt sich der Kreis nun gewissermaßen, denn Clapton war hier stark involviert. Aber dazu später mehr.
"How To Become Clairvoyant" ist, um das mal vorweg zu nehmen, ein ganz feines Album geworden, das für mich den Höhepunkt des bisherigen Jahres 2011 darstellt. Die komplette Scheibe durchziehen vorzügliches Songwriting, sehr persönlich Texte (mit überdurchschnittlich viel Vergangenheitsbewältigung), musikalische Darbietungen auf höchstem Niveau und eine dichte, gefangen nehmende und zumeist melancholische Atmosphäre. Robertson ist einer dieser Gitarristen, die mit ihrem Spiel brillieren, ohne dem Hörer gleichzeitig damit ins Gesicht zu springen. Sehr subtil, songorientiert und gefühlvoll zieht sich seine Gitarren-Arbeit durch die Songs.
So nimmt er uns bei "Straight Down The Line" mit zurück in eine Zeit, als Rock'n'Roll noch als Teufelsmusik galt. Ein grooviger Rocker im Midtempo-Bereich, in dem er auch die Begegnung der noch blutjungen Band mit dem Kult-Bluesman Sonny Boy Williamson II verarbeitet. Robert Randolph (Robert Randolph & The Family Band) ist hier als Gast vertreten und veredelt den Track mit sehr starken Pedal Steel-Einlagen. Mit "When The Night Was Young" folgt ein etwas reumütiger Blick auf die Anfangszeit mit The Band in den frühen Sechzigern.
Genial hier auch die Vocals von Angela McCluskey, die mit Robbie singt. Dabei hört es sich so an, als wäre sie in einer anderen Zeit, einem anderen Ort und würde die Zeilen losgelöst von diesem Album zu ihrer ganz eigenen Geschichte singen. Inhaltlich geht es darum, dass einem in jungen Jahren die ganze Welt offen steht und man aufbricht, um sie zum Besseren zu verändern. Jahrzehnte später steht dann die Einsicht , eigentlich nicht wirklich besonders weit gekommen zu sein. Oder wie es Rick Danko (Ex- The Band, R.I.P.) einmal vor vielen Jahren in einem Interview ausdrückte: We startet out to change the world, then we found out that we had our hands full with helping out the neighborhood. (Wir wollten die Welt verändern, fanden aber bald heraus, dass wir schon alle Hände voll zu tun hatten, mit uns selbst klar zu kommen).
Es bleibt sehr persönlich. Während Robertson zu Band-Zeiten immer der Verantwortliche war, das Geschäftliche, das (fast) komplette Songwriting, die Produktionen regelte und dazu noch versuchte, die anderen Mitglieder (die oft heftigst über die Strenge schlugen) im Zaum zu halten, war er es, der nach der ersten Auflösung der Band in ein tiefes Loch aus Alkohol und Kokain fiel. "He Don't Live Here No More" ist ein Song über seine eigenen jahrelangen Exzesse Ende der Siebziger und den schwierigen Weg zurück. Das alles weiterhin im Midtempo Rock, mit angenehm warmem Sound und der hervorragend groovenden Rhythmus-Abteilung, bestehend aus Pino Palladino (Bass) und Ian Thomas (Drums), gehalten. Eric Clapton ist hier zum ersten Mal mit dabei und liefert eine tolles Solo auf der Akustischen.
Ein weiterer Gewinner ist "The Right Mistake", das sich direkt in die Erinnerung bohrt. Clapton ist hier an der Elektrischen vertreten und beide Gitarristen liefern superbe, gefühlvolle Soli ab. Viel Blues steckt da drin, obwohl das Stück kein reiner Blues-Song ist. "This Is Where I Get Off" behandelt die Auflösung von The Band und es schwingt viel Trauer aber auch Gewissheit mit, damals das für sich selbst Richtige getan zu haben.
All diese Songs machen süchtig, da sie so hervorragend arrangiert und gespielt sind sowie mit tonnenweise Feeling gebracht werden. Dazu kommt, dass sich Robertson bei diesem Titel zum ersten Mal überhaupt über dieses Thema auslässt. Der Mann ist nun kein 'echter' Sänger, aber WIE er all diese Stücke bringt, ist überzeugend und wirkt ehrlich.
Apropos Gesang: Für "Fear Of Falling" übernimmt den, die erste Strophe betreffend, Eric Clapton (der hier Co-Komponist ist). Dann ist Robertson zurück am Mikro und 'Slowhand' ist bei den Refrains wieder mit dabei. Sehr catchy und einer der vielen Kandidaten für eine Single-Auskopplung. Großes Kopfkino ist bei dem Instrumental "Madame X" (von Clapton geschrieben) angesagt. Ein tolles, eher leises Stück (die Akustische bestimmt das Bild), das vor allem auf Atmosphäre und Soundlandschaften baut. Ein Song zum Eintauchen und sich darin Verlieren. Bittersüß, wunderschön und gleichzeitig sehr traurig.
Bei "Axman" geht es offensichtlich um Jimi Hendrix, der auch namentlich ( Jimmy James) erwähnt wird. Einmal mehr befindet sich der Hörer in einer mentalen Zeitmaschine in ein vergangenes Jahrzehnt, gar nicht mal unbedingt vom Sound, sondern vielmehr von der kreierten Atmosphäre gesteuert. "Won't Be Back" behandelt die schreckliche Situation eines Mannes, dem plötzlich klar wird, dass er die Frau, die er liebt, für immer verloren hat. Einmal mehr in einer Art und Weise umgesetzt, wie man es besser nicht machen kann. Robertson ist ein limitierter Sänger, aber was er hier vom Feeling rausholt, lässt ihn zu einem guten werden.
Den Abschluss machen schließlich der Titelsong und das zweite Instrumental "Tango For Django", das als einziger Track den sehr hohen Standard der übrigen elf vielleicht nicht ganz halten kann. Außer den bereits erwähnten Eric Clapton und Robert Randolph schauten noch ein paar weitere große Namen, nämlich Steve Winwood, Trent Reznor ( Nine Inch Nails), Tom Morello (Ex- Rage Against The Machine) und Jim Keltner im Studio vorbei und steuerten zusätzliche Beiträge ( Winwood gleich dreimal an der Orgel) bei, die allesamt hervorragend in den Gesamtsound
eingebettet wurden.
"How To Become Clairvoyant" ist kein lautes Album geworden, besticht aber - um es noch mal zu wiederholen - durch superbes Songwriting, ausgefuchste Arrangements, spitzenmäßige Musiker, eine ganz eigene, dichte Atmosphäre und so viel Feeling, wie es andere Musiker nicht mal auf fünf Alben bekommen. Ein ganz dicker Tipp, vor allem für Leute, die richtig zuhören, statt Musik nur nebenbei laufen zu lassen. Obwohl, selbst dafür ist dieses Album bestens geeignet.
Das Album gibt es außerdem noch in einer Deluxe-Ausgabe mit zweiter CD, auf der sich sechs Demo-Versionen befinden (die mir nicht vorliegen). Fünf davon sind Tracks, die es auch auf das Endprodukt schafften, dazu eine Nummer namens "Houdini".
Line-up:
Robbie Robertson (guitars, vocals, keyboards)
Pino Palladino (bass)
Ian Thomas (drums)
Eric Clapton (guitars, vocals - #3,4,5,6,7,8,10)
Marius DeVries (keyboards, piano)
Mit:
Robert Randolph (pedal steel - #1,11)
Steve Winwood (organ - #4,6,7)
Angela McCluskey (vocals - #2)
Trent Reznor (additional texture - #8)
Tom Morello (guitar - #9)
Jim Keltner (drums - #7)
Edad Guetto (horns - #10)
Martin Pradler (Wurlitzer piano - #2)
Anne Marie Colhoun (violin - #12)
Frank Marocco (accordion - #12)
Tina Guo (cello - #12)
Angelyna Boyd (background vocals)
Daryl Johnson (background vocals)
Rocco Deluca (background vocals, dobro - #7)
Dana Glover background vocals)
Michelle John (background vocals)
Taylor Goldsmith (background vocals)
Sharon White (background vocals)
Natalie Mendozo (background vocals)
Tracklist |
01:Straight Down The Line
02:When The Night Was Young
03:He Don't Live Here No More
04:The Right Mistake
05:This Is Where I Get Off
06:Fear Of Falling
07:She's Not Mine
08:Madame X
09:Axman
10:Won't Be Back
11:How To Become Clairvoyant
12:Tango For Django
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Externe Links:
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