Royal Hunt
Paradox II - Collision Course
Paradox II-Collision Course Spielzeit: 51:40
Medium: CD
Label: Frontiers Records, 2008
Stil: Bombast/Melodic Metal


Review vom 19.03.2008


Boris Theobald
1997 veröffentlichte Royal Hunt, damals noch mit Sänger D.C. Cooper, ihr wohl bis heute bekanntestes (Konzept-)Album. "Paradox" fanden sie es damals, dass ein und derselbe Gott einerseits für Frieden und Menschlichkeit steht und andererseits als Grund für vernichtende Glaubenskriege herhalten muss. 11 Jahre später erzählen die Dänen die Fortsetzung. Tastenflitzer und Chefkomponist André Andersen verleiht seiner gewohnt bombastisch angelegten Musik allein schon dadurch Tiefgang und Glaubwürdigkeit, dass das Thema Heiliger Krieg vielleicht aktueller ist denn je. Schon das Cover spricht Bände über den Inhalt des Konzeptalbums: 'westliche' und morgenländische Städte stehen in Flammen, im Vordergrund über Totenköpfen in einem trostlosen Ödland das christliche Kreuz und der orientalische Halbmond, die sich gegenseitig zerstören, darüber angedeutete Engelsflügel als Zeichen göttlicher Absolution für Krieg, Tod und Gewalt - Christentum und Islam auf 'Kollisionskurs'!
Als "Paradox"-Fan durfte man gespannt sein, ob Royal Hunt auch musikalisch an ihren Klassiker anknüpfen würden. Schon die ersten Sekunden geben die Antwort: ja, und wie! "Paradox II" beginnt genau wie Teil 1 gleich mit einer geheimnisvoll anmutenden Regen-Atmosphäre. Akustikgitarre und Klavier sind zu hören, und von einer Flöte das melancholische "Long Way Home"-Thema, das sich schon wie ein roter Faden durch das Album von 1992 gezogen hatte. Dann wird's orchestral mit Cello und Violinen - und der 'Neue' hat seinen ersten Gesangseinsatz; und das ist kein Geringerer als Mark Boals. Seine allerersten Zeilen für Royal Hunt sind ruhig und balladenhaft, dabei aber ungeheuer spannungsgeladen - ein mehr als gelungener Einstieg, nach welchem die verheißungsvolle Zurückhaltung schnell aufgegeben wird. Es folgen mehrere Schwindel erregend gute, instrumentale Minuten mit rasch wechselnden Drives voller Breaks und Tempowechsel, auf- und abfahrendem Orchester-Bombast, mysteriösen Keyboardeffekten, Bass-Solospots, mehreren gefühlvollen Gitarrensoli, melodischen Hammond-Frickeleien zu schwergewichtigen Metal-Riffs. All das bescheren uns die fast sechs Minuten Intro von "Principles Of Paradox".
Mit "The First Rock", "Exit Wound" und "The Clan" folgen einige straighte Melodic Metal-Perlen im mittleren bis schnellem Tempo, die sich mit einem immensen Reichtum an Ideen und Details, vom ersten bis zum letzten Takt aufregend mitreißend präsentieren. Besonders die gewaltigen Chöre stechen heraus. Für dieses Markenzeichen hat Andersen außer Kenny Lübcke und Maria McTurk, die schon bei "Paradox" die Backings sangen, zudem Ian Parry (Elegy, Consortium Porject) mit ins Studio geholt, dessen kraftvolle, markante Stimme des öfteren deutlich zu hören ist. Im typischen Call-And-Response-Muster muss Mark Boals im Chorus gegen die theatralische Vielstimmigkeit ansingen. Und das macht er ganz hervorragend. Den vollen Einsatz für die Musik von Royal Hunt, mit Leib und Seele nimmt man ihm in jedem Ton ab. Hier hört man vielleicht seine stärkste Gesangsleistung überhaupt - mit Sicherheit seine vielseitigste. Es schließt sich für ihn ja auch praktisch ein Kreis. 1986 mit Malmsteens Album "Trilogy" bekannt geworden ist er nun ausgerechnet bei einem weiteren Bandchef gelandet, der offensiv und gekonnt barocke und klassische Harmonien und Melodien in Heavy Metal einbaut. Und wer Boals vom All-Star-Projekt Ring Of Fire kennt, der weiß bereits, dass bei ihm hier und da genial-verrückte Screams mit zum Programm gehören.
Boals schlägt richtig ein - nicht besser oder schlechter als sein super Vorgänger John West, aber anders und ziemlich markant. Und auch ansonsten gibt es reichlich Neues im Hause Royal Hunt. Für seichte 08/15-Songs war Mr. Andersen ja nie bekannt. So theatralisch und komplex wie "Collision Course" kam aber bislang noch keines der Royal Hunt-Alben daher. Ein Höhepunkt jagt den nächsten, Überraschungen inklusive. "Divide And Reign" startet mit einem weiteren Zitat von "Paradox", nämlich der Melodie von "It's Over", allerdings unterlegt von einem mächtig Druck machenden, langsamen Double Bass, bevor sich die Frequenz der Basstrommeln verdoppelt und der Song sich zu einem rasanten Up-Tempo-Stück hochschraubt.
Spätestens bei "High Noon At The Battlefield" wird es dann richtig episch, ohne Strophe und Refrain. Der Song startet ruhig und nachdenklich, um später regelrecht zu explodieren. Und wenn's richtig dramatisch wird, überraschen Ex-RH-Sänger Henrik Brockmann und Doogie White (u.a. Malmsteen, Rainbow) mit einem Gesangsduell! "Tears Of The Sun" wird umrahmt von weiblichen Gast-Vocals von der erst 16-jährigen US-Amerikanerin Michelle Raitzin. Einen dramatischen Höhepunkt bildet das druckvolle "Blood In Blood Out" mit einem Wechsel aus brachialer Metal-Gewalt, brillant platzierten Breaks und Gänsehaut erregenden orientalischen Melodiepassagen als symbolisches Gegenstück zu Kirchenglocken bei "Tears Of The Sun".
Kurz vor Schluss treibt "Hostile Breed" das Energielevel noch einmal bis zum Anschlag - ein Song über islamische Gotteskrieger, mit Dramatik und Power inklusive gewaltiger Jihad!-Rufe im Hintergrund. Bei dieser hochemotionalen, filmreifen musikalischen 'Inszenierung', natürlich wieder getragen von einschüchternd gewaltigen Chören, läuft einem der ein oder andere Schauer über den Rücken. Das abschließende "Chaos A.C." ist wieder eine echte epische Komponente - mehr ein Schlussakt als ein Song. Es ist ein Finale Furioso. Und wieder wird der Royal Hunt-Fan glückselig: Das Stück beginnt mit dem berühmtesten Riff der Bandgeschichte, nämlich dem von "River Of Pain" - in einer wesentlich aggressiveren Fassung - und endet (natürlich) mit dem roten Faden von "Paradox" (I und II): »It's still a long way home...«
"Paradox II - Collision Course" ist ein Album, das mich inzwischen auch nach dem schätzungsweise 20. Hören noch plättet. Das liegt zum einen daran, dass es keine Zeit zum Luftholen lässt - die zehn Tracks greifen ohne Pause alle ineinander, was den epischen, theatralischen Gesamteindruck und die Kohärenz der Platte natürlich stark untermauert. Zum anderen bietet das Weltklasse-Songwriting auch beim 100. Mal noch Details, die es zu entdecken und Lieblingsstellen, die es zu lobpreisen gilt: Sahne-Soloduelle, barocke Frickeleien, coole Basslines, prächtige Chorsätze und ein mächtig Druck machendes, äußerst variantenreiches Schlagwerk. Royal Hunt sind im Vergleich zum (fantastischen!) Vorgängeralbum Paper Blood epischer geworden, theatralischer, progressiver... und im Langzeitvergleich zu "Paradox" ein ganz großes Stück weit aggressiver. Die einzelnen Songs haben nicht das Ohrwurm-Potenzial von "Tearing Down The World" oder "Message To God" - einige sind allerdings, oder gerade deswegen, komplexer.
Das Album als Ganzes dürfte das vollkommenste Werk in der Bandgeschichte sein und bringt locker 9 von 10 RockTimes-Uhren zum Ticken. Ein klein bisschen Luft nach oben lasse ich nur noch für die ganz großen Konzept-Epen à la Operation Mindcrime.
Line-up:
André Andersen (keyboards, guitars)
Mark Boals (lead vocals)
Marcus Jidell (guitars, cello)
Per Schelander (bass)
Allan Sorensen (drums, percussion)
Ian Parry, Doogie White, Kenny Lübcke, Henrik Brockmann, Maria McTurk, Soma Allpaass, Michelle Raitzin (additional vocals)
Patricia Skovgaard (violin)
Soma Allpass (cello)
Erik Rosenqvist (woodwinds, accordion)
Tracklist
01:Principles Of Paradox
02:The First Rock
03:Exit Wound
04:Divide And Reign
05:High Noon At The Battlefield
06:The Clan
07:Blood In Blood Out
08:Tears Of The Sun
09: Hostile Breed
10:Chaos A.C.
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