Rush / Clockwork Angels Tour
Clockwork Angels Tour Spielzeit: 59:23 (CD1), 65:34 (CD2), 60:04 (CD3)
Medium: 3 CDs
Label: Roadrunner Records, 2013
Stil: Prog Rock

Review vom 21.12.2013


Boris Theobald
Fazit: Das muss man haben!
Okay, für gewöhnlich ziehe ich selbst bei einer Band wie Rush das Fazit erst am Ende. Aber allein ein Blick auf die Setlist verheißt so viel Gutes und Erfrischendes: Songs, die seit Äonen nicht mehr oder gar noch nie und nimmer auf einem Livedokument veröffentlicht wurden ... dazu
Clockwork Angels fast komplett am Stück (es fehlen nur "BU2B" und "BU2B2"). Und es gibt Historisches zum Nachlauschen: Rush haben Gastmusiker auf die Bühne gebeten! Trio plus Streicherensemble - das hat es nie zuvor gegeben. Unsere Ohren sind zu Gast in den USA, in Phoenix, Dallas und San Antonio - welche Songs konkret von wo stammen, ist kaum nachvollziehbar.
Als erstes nehmen sich 'Lerxst', 'Dirk' und der 'Professor' mal richtig Zeit und gönnen sich einen Anlauf durch die 80er. Mit dem Klassiker "Subdivisions" aus der Synthie-Phase entscheiden sich Rush als Einstieg für atmosphärische Bannkraft statt harten Rock. Natürlich geht der Plan voll auf; die Fans fressen dem Trio - noch sind 'nur' drei Leute auf der Bühne - bedingungslos aus der Hand. Die Publikumsreaktionen sind detailliert hörbar auf diesem Mitschnitt. Das Drumherum ist ein wichtiger Teil im Endmix, aber nicht so überbetont wie bei "Rush In Rio" ... fein austariert ist das Ganze, und man kann hören und fühlen, wenn ein Drittel der Band Szenenapplaus genießen darf ...
Und das kommt oft vor - selbst für Rush-Verhältnisse erstaunlich oft. Diese Musiker sind nicht unbedingt dafür bekannt, ihre Stücke ein ums andere Mal umzuarrangieren. Entsprechend erstaunlich sind die vielen Freiheiten, die sie sich dieses Mal nehmen. Geddy Lee quietscht nicht nur bei "The Big Money" mehr als er müsste - das war schon lange nicht mehr so erfrischend und ansteckend. Neil Peart verlängert das Instrumentalstück "Where's My Thing" um ein Schlagzeugsolo namens "Here It Is!" und "Headlong Flight" um "Drumbastica" - hier und auch später mit den mystischen Fantasy-Klängen von "The Percussor" überrascht er uns mit neuem Aufbau und neuen Klängen seiner geliebten Trommelwunder. Und Alex Lifeson schrammelt noch ein kleines Blues-Solo bei "Force Ten", frickelt "Bravado" bravourös nach Hause und verändert auch mit seinem Asia-Intro von "Territories" deutlich die Vorlage.
"Territories"?! Ein Wahnsinn, was die Band für Songs ausgegraben hat. Das gab es zuletzt bei "A Show Of Hands" - aber nur in der Video-Version! »We've got one, two, three, six million songs to play. Let's get to it, this is "Grand Designs"!« - "Grand Designs" ... das gab es noch auf keiner Live-Veröffentlichung. Noch ein Song aus dem Jahr 1985. "Power Windows" ist so richtig angesagt. Von zahlreichen Alben wie "Hemispheres", "A Farewell To Kings", "Counterparts", "Test For Echo" oder "Vapor Trails" kommt dagegen gar nix. Selten zuvor hatte man so sehr den Eindruck, dass Rush einfach das spielen, worauf sie aktuell Lust haben statt einen gewissen Querschnitt zu repräsentieren.
Lust haben sie definitiv auf ihr aktuelles Album. Nach der obligatorischen Pause gibt es die große "Clockwork Angels"-Show mit acht Streichern auf der Bühne - das ist ganz, ganz groß. Mit dem Gedanken an Gastmusiker hatte die Band schon länger geliebäugelt, das Tourmanagement jedoch weniger. Dieses Mal, wo Streichersounds einen so wichtigen Teil des aktuellen Studioalbums ausmachten, ergriffen Rush die Chance - wer weiß, wie oft sie sich noch ergeben würde ... Die Streicher rollen bei weitem nicht bloß ein paar Klangteppiche aus - ganz und gar nicht: Die Songs wurden so arrangiert, dass die Gastmusiker die Dynamik der Stücke deutlich mitprägen. Außer edlem Bombast und weicher Klangfülle wird auch die ein oder andere Hookline und das ein oder andere Riff 'gestrichen', beispielsweise bei "Caravan" und "Headlong Flight". Wild wie bei "The Anarchist" spielen die acht auch mal nicht immer so genau; aber das ist gar nicht schlimm.
Und wenn sie schon mal da sind, dann werden sie auch nicht gleich von der Bühne gescheucht und bleiben noch für ein paar Songs. Bei "Dreamline" werden so die markanten Synthie-Parts im Chorus mit Leben erfüllt (ein Hauch von Kansas) und die »We are young«-Parts mit einem spannenden Tremolo unterstrichen. Der Dramatik einer Nummer wie "Red Sector A" steht der symphonische Touch extrem gut - hier spielen die Violinen zusätzlich noch figurativ um Geddy Lees Gesang herum - ein echter Hinhörer. Aber es wird noch besser - "YYZ" ist schlichtweg sensationell. Die streichenden Gäste spielen flitzeflink die Melodien mit, folgen dabei im ständigen Wechsel Gitarre oder Bass, um im nächsten Moment wieder Harmonien im Hintergrund beizusteuern. Ihr Job ist hier ganz schön flexibel - man weiß nie so recht, was als nächstes ansteht.
Doch ist die Dreifach-CD 'nur' das Nebenprodukt der dazugehörigen Blu-ray/DVD? Klar ist: Es fehlen (natürlich) einige optische Goodies. Alex Lifesons Tanzeinlage bei "Wish Them Well". Der (menschliche) Gorilla, der einfach mal so auf die Bühne marschiert und sich bei der endlos im Hintergrund poppenden Popcornmaschine bedient. Wie die Mitglieder des String Ensembles mitrocken und in jeder freien Sekunde ihre Bögen durch die Luft wirbeln. Und natürlich eine Lockerheit, wie ich sie nie zuvor bei den drei Hauptakteuren auf der Bühne erlebt habe - die ganzen Faxen; die Blicke, die man einander zuwirft ... einfach klasse. Aber vielleicht macht ja auch gerade das bei einem Liveerlebnis, bei dem es so viel zu sehen gibt, den Reiz der Audioversion aus. Man konzentriert sich voll und ganz auf das, was zu den Ohren reinkommt und fragt sich auch ohne Bild ganz schnell: Wann haben Rush eigentlich schon einmal 'besser' zusammengespielt? »I can't stop thinking big ...« ("Caravan")
Fazit:
Ach nein, das hatten wir ja schon.
Line-up:
Geddy Lee (vocals, bass, keyboard, pedals)
Alex Lifeson (guitar, vocals, keyboard - CD2, #10)
Neil Peart (drums)

The Clockwork Angels String Ensemble:
David Campbell (conductor)
Mario De Leon (violin)
Joel Derouin (violin)
Jonathan Dinklage (violin)
Gerry Hilera (violin)
Audrey Solomon (violin)
Adele Stein (cello)
Jacob Szekely (cello)
Hiroko Taguchi (violin)
Entcho Todorov (violin)
Tracklist
CD 1:
01:Subdivisions
02:The Big Money
03:Force Ten
04:Grand Designs
05:The Body Electric
06:Territories
07:The Analog Kid
08:Bravado
09:Where's My Thing?/Here It Is! (drum solo)
10:Far Cry
CD 2:
01:Caravan
02:Clockwork Angels
03:The Anarchist
04:Carnies
05:The Wreckers
06:Headlong Flight/Drumbastica (drum solo)
07:Peke's Response (guitar solo)/Halo Effect
08:Seven Cities Of Gold
09:Wish Them Well
10:The Garden
CD 3:
01:Dreamline
02:The Percussor
(I) Binary Love Them
(II) Steambanger's Ball (drum solo)
03:Red Sector A
04:YYZ
05:The Spirit Of Radio

Encore:
06:Tom Sawyer
07:2112

Bonus:
08:Limelight (soundcheck recording)
09:Middletown Dreams
10:The Pass
11:Manhattan Project
 
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