Zwei Schreiber – eine Meinung! Nur, dass Boris als proggender Hardcore-Rush'ler schon wusste, was die kanadische Dreifaltigkeit live zu bieten hat. Metal-Maniac Marius, Verehrer der betagten Klassiker der Band, ahnte es nur. Und so ergab es sich, eines Sonntags im Mai ... eine 'doppelte Rush-Story' – Marius macht den Anfang!
Marius:
Wir schreiben den Vormittag des 29. Mai 2011: Gerade wachte ich aus meinem ausgiebigen Post- Maiden-Koma vom Vorabend auf, da begebe ich mich natürlich umgehend an meinen PC, um die Mails der RockTimes-Belegschaft zu checken. Direkt fällt mir eine Nachricht von Kollege Boris ins Auge, der ins Rund verkündet, er habe noch eine Konzertkarte für eine ganz besondere Band über: Denn noch am gleichen Abend werden in derselben Halle wie am Abend zuvor Rush spielen - ihre einzige Deutschland-Show der aktuellen "Time Machine"-Tournee, zu der als ganz besonderes Schmankerl zählt, dass sie das komplette "Moving Pictures"-Gottalbum von 1981 in voller Länge und am Stück spielen.
In den ersten paar 30 Minuten rang ich noch ein wenig mit mir und meinem Geldbeutel und mit der Tatsache, ob man nach einer derart einzigartigen Show am Vortrag es wagen soll, sich noch ein weiteres Konzert zu geben. Doch nach kurzer Zeit stand die Entscheidung fest: Auch diese Show werde ich besuchen! Und auf die Frage, ob die kanadischen Prog-Götter das Niveau des Vorabend- Maiden-Massakers halten konnten, kann ich auch nur eine Antwort geben: Ja, das konnten sie; und zwar mit links! Es folgt nun der Erlebnisbericht meines ersten richtigen Prog-Rock-Konzertes, das sicherlich auch nicht mein letztes sein wird.
Boris:
Mist, Karte über. Wer meldet sich? Marius! Ob der seinen Konzertkröten nicht nochmal hinterhertrauern würde ... schließlich guckt er sonst Bands wie Accept, Vicious Rumors und - ausgerechnet am Abend vorher - Iron Maiden! Dafür weiß ich, dass unser 'Mr. Old School' (der zu "Roll The Bones" gerade in die Windeln gemacht hat) auf "2112" abgeht wie Zäpfchen und (ausgerechnet) "Moving Pictures" im CD-Regal hat. Könnte was werden ...
Marius:
Bereits um 16 Uhr trudelte Herr Theobald plus Gefolgschaft in meiner Residenz ein, denn der auf der Karte angegebene, ungewohnt frühe Beginn um 18:30 Uhr sollte tatsächlich der Startschuss der mitsamt rund 20 Minuten langen Pause über dreistündigen Mega-Show sein. Keine Vorband also, für mich persönlich doch eher ungewohnte Konzertumstände. Wir bestellten uns noch ein gemeinsames Aufwärm-Hopfenschälchen und nisteten uns langsam unter der traditionsträchtigen Kuppelfassade ein. Vor der Show durfte ich noch ein interessantes Geschehnis erleben: Obwohl die Lichter der Halle noch längst an waren und keine Musiker weit und breit zu sehen waren, fingen die Die-Hard-Fans in den ersten zehn Reihen etwa bei jedem Mucks auf der Bühne an, vor lauter Vorfreude zu schreien und zu klatschen, als wäre morgen das Ende aller Tage. Selten erlebte ich auf einem Konzert eine solch fanatische Fanbase wie bei dieser Band...
Als dann die Lichter um kurz nach halb 7 tatsächlich ausgingen und ein passendes Video zum Tourmotto, bei dem die drei Musiker einzelne Charaktere spielten, über die Leinwand flimmerte, waren offensichtlich fast alle 10 - 12.000 Besucher der ausverkauften Halle nicht mehr zu bremsen. Und als es dann mit "The Spirit Of Radio" endgültig losging und das Trio um den für sein Alter noch wirklich jung ausschauenden Geddy Lee die Bretter enterte, sah ich schon die ersten Sanis vor meinen geistigen Augen, die ohnmächtig gewordene Fans an die Seite ziehen müssen. Was für eine Ekstase ...
Weiter ging's im ersten, etwas mehr als einstündigen Set mit einer kunterbunten Mischung des über 40-jährigen Schaffens, obwohl ich bei einigen Songs doch zugeben musste, dass sie mir noch völlig fremd waren. Neues Material vom nächsten Album kam hierin ebenfalls zum Zuge, das einen doch sehr metallischen Unterton vermittelt; sehr geil! Und natürlich gab's wieder jede Menge Videoeinspielungen auf der Leinwand, Rauch- und Pyroeffekte und alles was zu einer amtlichen Mega-Rockshow dazugehört, zu bestaunen. Ich denke, hier kann der werte Kollege sicherlich etwas genauer drauf eingehen.
Boris:
Ich hab's gewusst! Strange für Marius, erwartbar für mich: Die Show ging mit einem langen Intro-Video los. In spaciger Zukunft, in einer Weltraum-Würstchenbude namens "The Haus Of Sausage" (!), tritt die junge Band 'Rash' auf und spielt Polka-Rock. Oder so was. Beobachtet von Weltraum-Würstchenverkäufer, Polizist und Band-Manager, gespielt von ... na kar. Der urkomische, tonnenschwere Manager aka. Lifeson im Fat-Suit, wirft die Zeitmaschine an - and here we are! "The Spirit Of Radio": Die Halle tobt; Rush-Fans sind eben absolute Maniacs!
Vor wie immer passender Bühnendeko mitsamt 'Zeitmaschine' und Geddy Lee im 'Rash'-T-Shirt folgen seltene Perlen wie "Presto" mit seiner himmlischen Melodie oder der "Counterparts"-Rocker "Stick It Out". Zugegeben: Das erste Set hatte auch seine Schwächen. So war "Faithless" vom Snakes And Arrows-Album ein Bremser am falschen Platz. Dafür war das brandneue, bislang nur digital erschienene Stück "Brought Up To Believe" - kurz "BU2B" - ein Hammer vor dem Herrn! Monströse, Metal-lastige Riffs, ein raffinierter Groove, eine tiefgehende Atmosphäre ... sensationell! Rush sind immer noch in der Lage, neue Highlights zu produzieren. Weiterer Höhepunkt: das lange nicht gespielte "Marathon" - eine magische Atmosphäre!
Marius:
Um ca. 19:40 Uhr folgte dann die rund 20-minütige Pause, die viele natürlich zum Frönen der Nikotinsucht oder zum Entleeren der Blase nutzten. Doch dann folgte das wirkliche Highlight des Abends: "Moving Pictures" in voller Länge, Stück für Stück! Die Gefühle während dieser 40 Minuten kann ich auch einen Tag später noch kaum in Worte fassen. Vielleicht kann man dieses Erlebnis einfach mit dem Begriff Transzendenz umschreiben, keine Ahnung. Es ist einfach schwer ... Ekstase und Adrenalin pur, vom ersten Ton bei "Tom Sawyer" bis zum letzten Ausklingen von "Vital Signs", soviel steht fest! Und auch hier gab es etliche, unterhaltsame Videoprojektionen oben drauf! Danach kamen noch ein paar weitere Stücke, ein ausgiebiges, völlig umwerfendes Schlagzeugsolo von Trommlergott Neil Peart ...
... und zu meiner äußersten Freude die sieben besten Minuten der progressiven Rockgeschichte: die beiden "2112"-Untersongs "Overture" und "The Temples Of Syrinx"! WAAAAAAAAAAAAAAAAHNSINN!!! Als letzter Song des regulären Sets fungierte "Far Cry" vom "Snakes And Arrows"-Album, bevor mit den beiden Zugaben "La Villa Strangiato" und dem "Working Man" um ziemlich genau 21:45 Uhr endgültig ein Schlussstrich gezogen wurde und nach einem witzigen Abschiedsvideo die Lichter ein letztes Mal endgültig angingen.
Boris:
Auf "Moving Pictures" am Stück hatte ich mich gefreut ... aber dass es so gut wurde, hätte ich nicht gedacht! Erstmal gab's viel zu lachen ... wieder ein langes Video mit der Story rund um den schusseligen, Fett- und Ruhm-süchtigen Bandmanager. Die Zeitmaschine wirft alles durcheinander! Peart an der Gitarre, Lee am Schlagzeug und Lifeson am Bass, am Ende sind es drei Schimpansen auf der Leinwand, während die 'wahren' Rush schon "Tom Sawyer" zocken. Das ist es, was Rush und ihre Fans verbindet - wunderbare Zaubermucke, perfekte Performance und dabei ein fettes Grinsen im Gesicht! Das "MP"-Feuerwerk nimmt - dank Giganto-Pyros teils wortwörtlich - seinen Lauf, durchweg begleitet von neuen Videosequenzen, in denen die drei Herren im roten Overall vom Plattencover szenisch in die Thematik der Songs einführen. Höhepunkt: das epische "The Camera Eye" - Magie pur!
Nach der abgöttisch bejubelten "Moving Pictures"-Show überzeugt mit dem knifflig-heavy groovenden "Caravan" ein weiterer brandneuer Song. Und das länger nicht gespielte "Closer To The Heart" brachte die Fans durch stramme Variationen zum Staunen - 'was spielen se jetzt', dachte man zwischendurch ... "Far Cry" beendete das reguläre Set mit seiner düster-intensiven Hypno-Atmosphäre und die Zugabe mit einem der genialsten (und unterschätztesten) Instrumentals sowie der 'Band-Hymne' "Working Man" mit Polka-Intro. Einziges, wenn auch sympathisches, da irgendwie 'menschliches' Manko: Bei Neil Pearts Drumsolo lag die Takt-gebende Hi-Hat des Öfteren (ganz schön) daneben - kurios, irgendwie.
'Mein' Höhepunkt waren die ersten Parts von "2112". Denn Marius links neben mir wurde zum Tier, trommelte und schrubbelte mit und verschaffte sich volle Bewegungsfreiheit im Radius seiner Haarlänge. Marius war von Tausenden Glücklichen vielleicht einer der Glücklichsten! Ach ja, er wollte noch was sagen ...
Marius:
Ach, übrigens: Wer als Kuttenträger nicht auch die Macht von Rush zu schätzen weiß, der hat wahrscheinlich taube Ohren; denn vor Ort sah man Rockfans vom gediegenen Alt-Proggie bis hin zum derbsten Thrasher!
An diesem Abend habe ich einen Teil meiner Seele an Rush verloren ... Ich knie ehrfürchtig nieder und sage: DANKE FÜR ALLES, Geddy, Alex & Neil!
Tracklist |
Set One:
The Spirit Of Radio
Time Stand Still
Presto
Stick It Out
Workin' Them Angels
Leave That Thing Alone
Faithless
BU2B
Freewill
Marathon
Subdivisions
Set Two:
"Moving Pictures"-Special-Show:
Tom Sawyer
Red Barchetta
YYZ
Limelight
The Camera Eye
Witch Hunt
Vital Signs
Caravan
Drum Solo
Closer To The Heart
2112 (Part I: Overture)
2112 (Part II: The Temples Of Syrinx)
Far Cry
Encore:
13:La Villa Strangiato
14:Working Man
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Externe Links:
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