Rush / Snakes And Arrows Live
Snakes And Arrows Live Spielzeit: 92:45 (DVD 1), 102:30 (DVD 2)
26:15 (DVD 3)
Medium: DVD-Box
Format: PAL
Sprache: Englisch (Dolby Digital 2.0), Englisch (Dolby Digital 5.1), Englisch (DTS 5.1)
Bildseitenformat: 16:9
FSK: ohne
Label: Anthem, 2008
Stil: Prog Rock


Review vom 20.12.2008


Boris Theobald
»Hello, and welcome to the DVD! Ready for some fun? I always am. Let's watch, shall we?!«
So begrüßt uns zu mittelöstlichen Klängen ein herrenloser Kopf in einem Reisekoffer, hinter dessen grünem Make-up ich einen ziemlich bekannten kanadischen Gitarristen vermute - der erste Brüller, noch bevor es eigentlich losgeht! Rush machen eben nicht nur einzigartige Musik. Sie sind auch mitunter herrlich herumalbernde Zeitgenossen - und mit zunehmendem Lebensalter wird das schlimmer! Und ich wage zu behaupten: Nie zuvor hatten Rush-Fans so viel Spaß, und das im wahrsten Sinne des Wortes, wie bei Snakes & Arrows Live - auf Tour und auf DVD! Wer sie im Oktober 2007 in Oberhausen oder Mannheim live sehen durfte, kann sich auf eine absolut würdige DVD-Umsetzung der Show freuen, aufgenommen wenige Tage zuvor in Rotterdam.
Das Konzert beginnt denn auch sowohl in der Konzerthalle als auch im Wohnzimmer mit einem gewohnt aufwändig gestalteten Einführungsfilm. Der Titel von Tour & Album ist das Motto: Schlange und Pfeil, von Neil Peart in dem uralten indischen Spiel "Leela - The Game of Snakes And Arrows" entdeckt, machen ihre Aufwartung in etlichen symbolischen Kontexten. Geflügelte Bilder von Klapperschlangen und ihren Beschwörern, von Pfeilen und Bogenschützen flattern durch den Himmel. Und Hühner gackern - aber dazu später mehr.
Alex Lifeson erwacht schweißgebadet aus seinem Albtraum: »Snakes? Why am I dreaming about snakes... Honey! Honey, wake up!« Doch beim Anblick von "Honey" mit den Drumsticks neben ihm im Bett wird der Schrecken nicht unbedingt kleiner...
Auch Geddy Lee hat nicht gut geschlafen... »What the hell did I eat last night?!« Und bevor er sich versieht, kommt ein durchgeknallter Schotte namens Harry Satchel mit verdächtig großer Nase herein und komplimentiert Herrn Lee sehr robust mit unflätigen schottischen Ausdrücken auf die Bühne. Auf dieser sprintet Alex Lifeson alsbald vor die jubelnde Menge, spielt einmal das "Limelight"-Riff an - und wartet ein paar Sekunden, bis schließlich auch Geddy Lee seinen Weg gefunden hat. Gar nicht mehr verschlafen! Die Bühne ist hell erleuchtet. Die riesige Ahoy Arena flippt aus. Neil Peart ist samt Werkzeug, von Bassdrum bis Mütze, mit dem "Snakes & Arrows"-Artwork geschmückt. Neben dem Drumset rotieren drei Hähnchen-Grills vor sich hin. "Limelight" klingt dynamisch, lebendig, ja von allen drei Hauptdarstellern beinahe euphorisch dargeboten. Großartig.
Das Licht wird gedimmt. Äußerst früh greifen Peart, Lee und Lifeson mit ihrem Griff in die Überraschungskiste - ausgerechnet "Digital Man", wer hätte damit gerechnet?! Herrliche Brummel-Basslines, niemand setzt den Tieftöner so präsent und verspielt ein wie Geddy Lee. Die gefühlvolle Dynamik in Neil Pearts Spiel ist unerreicht - die Fills sind die schönsten des Universums. Alex Lifesons Gitarrensound hört man aus Tausenden heraus. Ein einziger Gitarrist? Den Beweis braucht man im Bild - er klingt so präsent, als stünden zwei oder drei auf der Bühne. Genial und einzigartig. Aber wieso gilt er nicht unbedingt als Virtuose? Mit ganz zauberhaften, gefühlvollen Frickelsoli beweist er das Gegenteil.
"Digital Man", das nicht unbedingt aus der Hard Rock-Phase der Band stammt, wird mit fetten Gitarren zu einem echten Schwergewicht. Es kommt dem verdutzten Fan beinahe vor, als höre er das Stück zum ersten Mal - wie wertvoll so eine Live-Erfahrung für ein ohnehin schon geniales Stück sein kann! Es ist das erste Mal, dass "Digital Man" auf einer Konzert-Veröffentlichung erscheint. Ebenso wie "Entre Nous". Aber bei diesem unscheinbaren Stück, das auf "Permanent Waves" sein Schattendasein neben vielen Klassikern fristen muss, ist der Aha-Effekt noch größer. Beeindruckend, wie Alex Lifeson von einem auf den nächsten Ton die Gitarre wechselt... Und doch: vielleicht packen sie etwas zu früh die Raritäten aus. Die Stimmung unter den Zuschauern flaut oberflächlich etwas ab - Glücksgefühle, die mehr paralysieren denn euphorisieren.
Das bleibt aber nicht lange so im Set Nummer 1 des zweigeteilten Abends mit Rush. Es folgen weitere schiere Unglaublichkeiten, die das Fan-Herz tief beglücken. "Circumstances", wow! Schon bei der Ankündigung eines Stückes vom "Hemispheres"-Album kommt großer Jubel auf. Geddy Lee quietscht wie einst als junger Hüpfer. Und plötzlich kühlt die Atmosphäre ab - das unheilschwangere, von schweren Keyboardakkorden getragene "Between The Wheels" erklingt. Von der Decke senken sich fünf Ufo-ähnliche, fünfeckige Scheinwerfer-Konstruktionen herab, bis bedrohlich dicht über die Köpfe der Musiker. Rush verwöhnen ihre Fans bei jeder Tour aufs Neue mit einer beeindruckenden Bühnenshow. Hingucker, und doch niemals überfrachtet - das ist Rush!
Die Lasershow, die bei "Dreamline" einsetzt, gehört längst wie selbstverständlich dazu. Die 'Ufos', inzwischen wieder an der Decke, nehmen am dezenten Lichter-Spektakel teil - das sind fesselnde, hypnotisierende Atmosphären!
Auch die zahllosen Animationen und Filmchen auf den großen Leinwänden im Hintergrund sind immer wieder echte Hingucker. Auch bei altem Songmaterial gibt es meist neue Bilder. Das quicklebendige Mid-Tempo Instrumentalstück "The Main Monkey Business" ist ja ohnehin brandneu - hier wütet im Hintergrund King Kong in der Großstadt, Schimpansen fahren Karussell und schwingen Hula-Hoop-Reifen - richtig schön schräg. Zuweilen lässt man auch einfach stehende Bilder wirken, wie bei "The Larger Bowl", das Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten auf der Welt anprangert. All die optischen Eindrücke werden äußerst professionell auf den heimischen Bildschirm transportiert, mit Kameras auf Schienen, auf Kränen und an Seilen.
Eine Besonderheit stellt der dynamische Bildschnitt da - die meisten Umschnitte erfolgen in Kamerabewegungen hinein, seien es fliegende Hallen-Totalen aus luftiger Höhe oder präzise Zufahrten auf filigrane Finger. Was man ohnehin hört und sieht, wird nochmals unterstrichen: Wir haben es hier nicht mit einer abgehalfterten Altherren-Band zu tun, sondern mit dem kanadischen Götter-Trio im... wievielten Frühling? Und doch entschuldigt Geddy Lee die Band in die Pause mit dem Spruch: »As we are no spring chickens« - zu deutsch 'junge Hüpfer' - »we need to take a short break...«. Da sind sie wieder, die Hühner...
Set Nummer zwei beginnt schon wieder mit einem üppig ausgefallenen Film - eine Reise über das besagte 'Spielbrett' mit allen Facetten des Menschseins. In den skurrilsten Rollen und Verkleidungen empfängt uns Alex Lifeson aus verschiedenen Spielfeldern: "Plane Of Cosmic Consciousness", "Plane Of Primal Vibrations". Im "Plane Of Dharma" bekommen wir noch empfohlen, alles im Leben richtig zu machen. Mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fahren, Klodeckel vor dem Pinkeln hochklappen und so weiter. ...und das Spielfeld "Birth Of Man" leitet (natürlich passend zum Kinderwagen auf Irrwegen) mit Blitz und Donner das furiose "Far Cry" ein. Hektische und wilde Schnitte verstärken den Effekt. Was für ein packender Start!
Es folgt gleich eine ganze Reihe von frischen Songs vom "Snakes & Arrows"-Album. Wenn zu diesem Zeitpunkt sich noch irgendjemand fragt, wieso Rush nun schon die dritte DVD in diesem Jahrtausend veröffentlicht haben... nun, sie trägt nicht umsonst den Titel des Albums. Das Rotterdamer Publikum feiert die Stücke so frenetisch wie die Klassiker, sei es das straight rockende und melodiebetonte "Workin' Them Angels" oder der kribbelnde Psychotrip "Spindrift" mit hochgradig geladener Atmosphäre. Natürlich folgen auch noch einige Pflicht-Klassiker wie Neil Pearts Schlagzeug-Solo, versetzt mit wirklich vielen neuen Elementen, oder auch die Band-Hymne schlechthin, "Tom Sawyer", eingeleitet von einem musikalischen Southpark-Gastauftritt von Cartman & Co!
Und Klassiker mit Seltenheitswert werden auch im zweiten Set ausgepackt - "Witch Hunt" und "A Passage To Bangkok" sind unerwartete Highlights einer famosen Setlist. Die Mischung aus etlichen Premieren und unverhofften Klassikern, wie dem komplexen Technik-Feuerwerk "Natural Science", lässt einen als Rush-Liebhaber zwei Stunden lang einfach nur durchfeiern. Nach der allerletzten Zugabe "YYZ" schickt der schottische Geddy-Lee-Doppelgänger die Zuschauer nach Hause. Und für die DVD-Gucker gibt's nochmal ein Extra-Wiedersehen mit dem grünen Kopf. Und als ob das nicht reichen würde, taucht plötzlich auch noch das Haupt von Neil Peart im Koffer auf: »Well, this is most unusual...« Ach, nee...
Most unusual, indeed! Normal ist das nicht, was man hier geboten bekommt. Oder ist es doch schon 'normal', dass sich Rush jedes Mal aufs Neue selbst übertreffen? Den nahezu perfekten Klang in optimaler Abmischung ist man schon gewohnt. Und wirklich 'besser' als R30 ging ohnehin nicht mehr. Fast... das hart rockende "One Little Victory", auf "Vapor Trails" noch suboptimal aufgenommen, klang nie so gut wie hier. Und überhaupt - sie spielen hier nun mal ein völlig anderes Konzert als auf ihrer Jubiläumstour...
Man spürt, wie gut den Jungs das neue Album getan hat und wie viel Spaß es ihnen bereitet, das Material zu präsentieren. Sie freuen sich wie kleine Kinder! Mimik und Gestik sprechen für sich! Geddy Lee hüpft und grinst ohne Ende, Alex Lifeson spielt genau so viele Soli mit dem Gesicht wie mit den Fingern und torkelt bei "Tom Sawyer" (»he gets high on you...«) berauscht über die Bühne. Und sogar Neil Peart flachst hier und da mit und kann sich spätestens als bei "The Spirit Of Radio" zur besten Party-Zeit ein überlebensgroßes Huhn die Bühne betritt und die Grill-Hähnchen nachfettet ein fettes Grinsen nicht verkneifen. Das tut einem als Rush-Fan besonders gut! Ein Enthusiasmus, der auch auf Jahrzehnte alte Songs übergreift. In jedem Ton steckt Magie.
Die Gaudi hört mit dem Konzert nicht auf. In einem dreieinhalb Minuten langen Filmchen voller genialer Gags namens "What's That Smell?" begibt sich Geddy Lees schottisches Alter Ego auf die Suche nach Grillhähnchen und findet auf der Straße nach "Lakeside Pork" (!) eine bayerische Versionen von Alex Lifeson. Mit von der Partie ist wieder US-Komiker Jerry Stiller, dieses Mal in einer weiblichen Hauptrolle. Keine Ahnung, was das Zwerchfell eher zum Bersten bringt - dieses Super-Schmankerl oder die Outtakes vom Dreh zu eben diesem und zu den zahlreichen Leinwand-Filmchen.
Außerdem gibt's noch alternative Versionen von "Far Cry" und "The Way The Wind Blows", bei denen die Hintergrundanimationen reingeschnitten wurden, und "Red Sector A" von der "R30"-Tour, das auf jener DVD fehlte. DVD drei enthält noch Teile eines Konzerts aus Atlanta mit Songs, die in Rotterdam nicht auf dem Plan standen, darunter die vitalste Version von "Red Barchetta", die man jemals gesehen/gehört hat und mit "Ghost Of A Chance" noch einen Glücklichmacher mit Seltenheitswert. Naja, eigentlich ist dieses gesamte DVD-Paket so etwas wie ein vierblättriges Kleeblatt - unglaublich tolles Teil, das!
Line-up:
Geddy Lee (bass, vocals)
Alex Lifeson (guitar, mandolin)
Neil Peart (drums, percussion)
Tracklist
DVD 1:
01:Limelight
02:Digital Man
03:Entre Nous
04:Mission
05:Freewill
06:The Main Monkey Business
07:The Larger Bowl
08:Secret Touch
09:Circumstances
10:Between The Wheels
11:Dreamline
Bonus:
01:What's That Smell
02:2007 Tour Outtakes
03:What's That Smell Outtakes
04:Far Cry (Alterrnative Cut)
05:The Way The Wind Blows (Alternative Cut)
06:Red Sector A (R-30 Tour)
DVD 2:
01:Far Cry
02:Workin' Them Angels
03:Armor And Sword
04:Spindrift
05:The Way The Wind Blows
06:Subdivisions
07:Natural Science
08:Witch Hunt
09:Malignant Narcissism
10:De Slagwerker
11:Hope
12:Distant Early Warning
13:The Spirit Of Radio
14:Tom Sawyer
Encore:
15:One Little Victory
16:A Passage To Bangkok
17:YYZ
DVD 3:
Oh, Atlanta! The Authorized Bootlegs
01:Ghost Of A Chance
02:Red Barchetta
03:The Trees
04:2112 / The Temples Of Syrinx
 
Externe Links: