Als Bruce Springsteen im März mit seinem mittlerweile 17. Studioalbum "Wrecking Ball" herauskam, war das Interesse von Medien, Kritikern und Fans erwartungsgemäß riesig. Ebenso, dass das Echo von ungezügelter Euphorie bis zu abgrundtiefer Ablehnung reichen würde, unabhängig davon, wie der jeweilige Reflektor wohl bisher zum 'Boss' positioniert war. Im Fanblock herrschte überwiegend Jubelstimmung ob des Solowerks, das er weitgehend ohne seine E Street Band aufgenommen hatte, die Boulevard-Medien gaben sich in der Summe freundlich gestimmt, aber es hagelte auch reichlich Negativ-Kritik aus den Reihen der Verteidiger des wahrhaften Rockmusikglaubens. Einige Kollegen (und das war auch nicht anders zu erwarten) verrissen "Wrecking Ball" mit Schaum vor dem renovierungsbedürftigen Wolfsgebiss als aufgeblasenes populistisches US-Patrioten-Machwerk ohne wirkliche Bedeutung für die Welt. Die Käufermeinung war jedoch eine andere, das Album stürmte in kürzester Zeit in 16 Ländern (darunter Deutschland, USA, UK) auf Platz 1 der Album-Charts, nicht ganz so erfolgreich waren die drei ausgekoppelten Singles.
Auch bei mir, spät eingetroffen, musste das flotte Album mit dem auf 'Sponti-Protest' getrimmten Cover etliche Runden drehen, und bis heute ist meine Meinung zwiespältig. "Wrecking Ball" - um das mal gleich zu sagen, ist sicher kein neuer Meilenstein in der Springsteen'schen Diskografie, kann aber als akzeptables Pop-Rock-Album durchgehen. Was erwartet 'man' denn eigentlich von ihm? Dass er im Frührentneralter noch immer »die Zukunft des Rock'n'Roll« gibt, mit der Telecaster die Geier aus der Wall Street und den Bankentürmen jagt und als neuzeitliche Mutation von St. Martin und Woodie Guthrie die Armen und Entrechteten dieser Welt mit seinen Songs tröstet? Auch wenn er selbst mehr als genug Dollars besitzt, darf er deshalb nicht mehr in Flanellhemd, Jeans und Lederjacke den Homeboy mimen und seinen Landsleuten aus der Seele singen?
Bruce Springsteen ist Amerikaner, ein Patriot, aber kein volkstümelnder Idiot. Und seine Klientel besteht in erster Linie aus seinen Landsleuten, für die spielt er und für die ist auch dieses Album gemacht. Wenn er ihnen, trotz aller offenkundigen Absicht, Mut macht und die Gefühle zu 'ihrem' Amerika stärkt, was ist daran verwerflich? In dieser zunehmenden Depression, die im Land herrscht, zum Durchhalten aufruft und gegen die allgegenwärtigen Missstände anbrüllt? Dass er damit den blankliegenden Nerv einer desillusionierten Gesellschaft trifft, auch wenn er deren Sorgen nicht hat und damit noch gut Geld verdient? Dass er seine Proletarier-Rolle als Leitfigur einer Rock-Generation weiter spielt, die auch lieber noch wie früher auf den Putz hauen würde, aber die mittlerweile in die Jahre gekommen ist? Dass er, trotz seines Wohlstands, zornig und traurig ist, kritisiert, predigt und anklagt? Wer, wenn nicht er, würde dazu taugen? Dass seine Texte parolenhaft klingen, Klischees bedienen und auch die Musik nicht mehr unbedingt den 'Heartbeat of Rock'n'Roll' anno 2012 vorgeben, wertet ihn das ab?
Nicht zwangsweise. Wer ihm angesichts seiner Songs gegen die Finanzhaie und 'Heuschrecken', deren desaströse Machenschaften die Welt zerstören und deren 'Spielschulden' der 'kleine Mann' auslöffeln muss, Populismus vorwirft, hat nur bedingt recht. Aber Springsteen ist auch noch als Millionär und Präsidenten-Freund als Rockmusiker glaubwürdig, wenn man nicht Musik als Religion und ihn als Messias sieht. Rock ist, wie alles in den USA, in erster Linie Business, falls das jemand vergessen haben sollte. Und Bruce Springsteen ist auch hier der 'Boss'. Soweit erstmal zur 'Message', so wie sie zumindest seine Fans wohl verstehen.
Nun zur Musik. "Wrecking Ball" rockt von Anfang an. Das ist alles andere als die puristische Nabelschau á la "Nebraska" oder "The Ghost Of Tom Joad", sondern ganz im Gegenteil dazu ein üppiges, mainstreamiges Americana-Album, das mit folkloristischen und durchaus auch modischen Accessoires wohl nicht nur die Kundschaft ansprechen soll, die mit Springsteen älter geworden ist. Hauptverantwortlich für die Produktion zeichnete Ron Aniello, der, entsprechenden Veröffentlichungen zufolge, Springsteen davon abgebracht hat, das Album erneut nur sparsam zu instrumentieren. Dafür hat er fast jeden Titel nun reichlich mit den unterschiedlichsten Zutaten belegt (siehe Besetzungsliste) und leider meist zu dick aufgetragen. Die wohl ursprünglich sehr einfach angelegten Songs sind oftmals regelrecht mit Folkarrangements, Streichern, Bläsern, aber auch Loops und E-Drumbeats überhäuft, deren musikalischer Firlefanz schon etwas seltsam zur oft bitteren Aussage steht.
Von der Produktion sind verschiedene Versionen auf digitalen und analogen Datenträgern erhältlich, mir liegt die Standard-CD mit elf Songs vor. Drei der Stücke (der Titeltrack, "Jack Of All Trades" und "Land Of All Our Dreams") wurden bereits 2009 geschrieben und spiegeln die trüben Eindrücke wider, die Springsteen und seine Band unterwegs im Land gewonnen haben. Da sie eher noch an Aktualität zulegten, bildeten sie ein Gerüst für das neue Album. Mit "We Take Care Of Our Own" (der Wahlkampf-Song Obamas) geht's schon mal kräftig ab, die Hymne beginnt mit einer Art Indianergetrommel, lässt die typische E-Gitarre ein paar mal aufheulen und bleibt auch ohne Patriotismus im Ohr. Dann Digital-Drums zu irischen Fiedeln und Chor, Jahrmarktstimmung zum Schluss. Auch "Shackled And Drawn" gibt sich fröhlich und könnte aus einem klassischen Western stammen. Das traurige "Jack Of All Trades" hätte gut auf die 'einfachen' Soloalben gepasst, säuft aber hier in seiner eklektizistischen Klassikverbrämung gnadenlos ab. Bei "Death To My Hometown" wurde der "Irish Rover" schwer eingespannt, dann geht's erneut in den Stimmungskeller mit dem chorumwaberten "My Depression". Gut, dass danach mit dem Titelsong der bessere Teil des Albums beginnt. "Wrecking Ball" ist eine kraftvolle Springsteen-'Ballade' aus der edelsten Schublade. Und mit "You've Got It" kommt die obligatorische Halbstarken-Rock'n'Roll-Nummer mit einer brennenden Lap Steel. Gospelig wird's mit "Rockin' Ground", das in einen ordentlichen Rap mündet - recht interessant anzuhören. Da kann dann "Land Of Hope And Glory" gleich weitermachen, ein weiterer ganz starker 'Boss'-Song. Als emotionalen Höhepunkt hören wir dann nochmals Clarence Clemens mit einem letzten, unverkennbaren Solo auf seinem Sax. Blow on, Big Man! "We Are Alive" lässt das Album optimistisch ausklingen.
Mit "Wrecking Ball" hat ein ursprünglich sehr zorniger 'Boss' ein Album vorgelegt, das musikalisch über weite Strecken ganz anders ist, als seine bisherigen. Sowohl seiner Solowerke (der puristischen eingeschlossen), als auch der mit der E Street Band. Ein wenig typisches, sehr 'blumig' ausgefallenes 'Ami-Pop-Album', was Inhalt und Machart betrifft. Vor allem für europäische Ohren, die auf den 'gängigen' Springsteen voreingestellt sind, gewöhnungsbedürftig. Zumal Aussage und Verpackung doch sehr unterschiedlich ausgefallen sind und die darin enthaltene Ironie wohl kaum offenbar wird. Straight ist was anderes. In jeder Hinsicht. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Johnny Cash, dessen "Ring Of Fire" im Schlusssong aufmarschiert, war im gleichen Alter, als er noch mal richtig loslegte. Allerdings mit einem (damals noch) guten Produzenten und nachdem er selbst vorher richtig Dreck gefressen hatte.
Line-up:
Bruce Springsteen (vocals, guitars, banjo, piano, organ, drums, percussion, loops)
Ron Aniello (guitar, bass, keyboards, piano, drums, loops)
Max Weinberg (drums - #7,11,12)
Matt Chamberlain (drums - #3,5,8,10)
Charlie Giordano (accordion, piano, B-3 Organ, synth, Celeste - #3,5,7,9,10,12,13)
Soozie Tyrell (violin - #2-7,10,11)
Clarence Clemons (saxophone - #7,10)
Tom Morello (electric guitar - #4,6)
Greg Leisz (banjo, mandocello - #11, lap steel guitar - #8)
Marc Muller (pedal Steel - #8)
Steve Van Zandt (mandolin - #10,13)
Horn Section:
Curt Ramm, Clark Gayton, Stan Harrison, Ed Manion, Dan Levine, Art Baron - #3,4,7-10
Curt Ramm (trumpet Solo - #4,7)
Darrel Leonard (trumpet Solo - #11)
Additional musicians:
Kevin Buell (marching drum - #5)
Rob Lebret (electric guitar - #7)
Clif Norrell (tuba - #3)
Steve Jordan (tambourine - #2)
Backing Vocals:
Patti Scialfa (vocal arrangements), Lisa Lowell, Soozie Tyrell - #1-3,6,7,10,11
Michelle Moore - #9,10
Cindy Mizelle (outro vocal - #3)
Steve Van Zandt - #7,10,13
Ron Aniello - #1,12
Group Vocals:
Ross Petersen, Ron Aniello, Clif Norrell, Rob Lebret - tracks 2,3,5,7,10,13
Choir:
Victorious Gospel Choir - #9,10, Founder & Director: Lilly 'Crawford' Brown
Strings:
New York Chamber Consort - #1,2,4,7,12, strings arranged and conducted by Rob Mathes
Tracklist |
01:We Take Care Of Our Own
02:Easy Money
03:Shackled And Drawn
04:Jack Of All Trades
05:Death To My Hometown
06:This Depression
07:Wrecking Ball
08:You've Got It
09:Rocky Ground
10:Land Of Hope And Dreams
11:We Are Alive
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Externe Links:
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