1970: Das Debüt-Album von Wishbone Ash, "Let It Be", der Abgesang der Beatles, " Led Zeppelin III", Pink Floyds "Atom Heart Mother" und " Deep Purple
In Rock", das waren die LPs des Jahres, die wir in den Musik- und Kunsterziehungsstunden unseres Kronacher Kaspar Zeuß-Gymnasiums bei den wenigen aufgeschlossenen Lehrern hören und ausgiebig diskutieren durften. Ein Werner Schnappauf (bis vor wenigen Wochen Bayerischer Umweltminister und heutiger hauptberuflicher Industrie-Lobbyist) bereitete als Schülersprecher seine Karriere vor und fungierte gleichzeitig als Redakteur unseres Schulblattes "Kaspar", dessen erstes Titelblatt ich mit meinem Freund Ronald zeichnete.
Mein musikalischer Favorit war jedoch ganz klar Santanas vibrierendes und pulsierendes "Abraxas", das mich in jeder Hinsicht aufregte. Allein die Cover-Collage mit dieser prallen schwarzen Schönheit, die sich da völlig nackt, nur mit einer Taube an entscheidender Stelle, überaus lasziv räkelt (ganz klar die "Black Magic Woman"), dazu der ebenso wohlgebaute rote Erotik-Engel mit einer Conga zwischen den Beinen, das war (in Zeiten der noch reichlich prüden Medienlandschaft) mehr, als ein heftig pubertierender 14-Jähriger in üblicher Gesellschaft aushalten konnte. Und erst recht dann zuhause in der Bude, bei dieser Musik, bei dem der alte Röhrenradiokasten von Graetz als Verstärker für erstaunliche Vibrations sorgte, mit Schummerlicht von selbst gebastelten Rotlichtlampen, Räucherkerzen und Cola-Whiskey brannten sowieso alle Sicherungen durch. Zumal die angebeteten weiblichen Wesen noch unerreichbar waren, die Gefühle also zwangsweise rein platonisch, aber die Triebe sehr real die Levis ausbeulten.
Dann kamen die Teenager-Partys, bei "Se A Cabo" flogen die inzwischen gewachsenen Matten und "Samba Pa Ti" war die absolute Klammer-Nummer. Wenn du da nicht zum Zug kamst, gab's als letzte Rettung eigentlich nur noch die unerträglichen Bee Gees. Mit "Black Magic Woman/Gypsy Queen" ging's schon in den intensiveren Nahkampf über, gegen die Finger-Percussions über die Wirbelsäule in die tropischen Zonen war kaum eine Braut immun. Die fünf Minuten waren entscheidend.
"Abraxas" gab den Soundtrack für viele heiße Runden (unterteilt in die berühmten 2 x 20 Minuten pro Plattenseite) in meiner Bude und stellte sich seltsamerweise als eine der wenigen Platten heraus, die die Mädels aus meiner stetig wachsenden LP-Sammlung wirklich mochten. Und wenn ich jetzt beim Woodstock-Projekt die Nachwuchs-Girls bei den Santana-Nummern genauso ausflippen sehe, wie ihre Mütter und Großmütter, dann ist klar, dass der Zauber noch immer wirkt. Danke Carlos!
Nach Woodstock waren Santana zu absoluten Superstars aufgestiegen. Auf dem ersten Album davor tönte noch der relativ wilde, ungeschliffene Latino-Rock. Trotz des enormen Drucks spielten Carlos Santana, Gregg Rolie, Dave Brown, Mike Shrieve, Jose Areas und Mike Carabello mit dem erfahrenen Fred Catero am Mischpult innerhalb von nur drei Wochen ein Meisterwerk als Nachfolger ein. Für mich das Santana-Meisterwerk schlechthin. Es gelangte als Senkrechtstarter auf Platz 1 der Billboard-Charts und blieb dort sechs Wochen lang.
Die Mischung war ebenso verblüffend, wie genial. Die eine Hälfte eigene Nummern, die andere Latino-Tanznummern und dazu das Cover von Peter Green, der selbst bei den Aufnahmen mit im Studio war. Enorm elektrisierend klang die vielschichtige Perkussion in Verbindung mit dem kraftvollen Schlagzeug Shrieves, die jeden Song zu einem heißen Gebräu machte. Rolies dröhnende Hammond, der pulsierende, oft pointiert eingesetzte Bass von Brown und darüber die unvergleichlich singende und schreiende Gitarre des jungen Carlos, der schon als Jugendlicher in den mexikanischen Puffs für erotische Stimmung sorgte. Es mag bessere Gitarristen geben, aber seinen Ton erkennt man auch noch heute in jeder Produktion. Und so schlecht waren er und Rolie als Sänger auch nicht. Das alles ergab eine völlig neue Version der noch jungen Rockmusik und eine überaus schillernde, die auch über genügend Pop-Zutaten verfügte.
Das Album beginnt mit dem flirrenden "Singing Winds, Crying Beasts", ein Instrumental als Opener, schon das war mehr als ungewöhnlich. Ähnlich impressionistische Sounds kreierten Santana später dann noch einmal auf der ebenfalls starken "Caravanserai". Der Song geht nahtlos in den Green-Klassiker über, von dessen Bluesstrukturen nichts mehr übrig blieb und mündet in das hochenergetische "Gypsy Woman". Das war die erste der beiden Top-Single-Auskopplungen. Mit "Oye Como Va" folgt die zweite, die für mich allerdings eher nicht zu den besten Nummern gehörte, aber gut in der Disco lief (und dafür war man als reichlich frustrierter Rockfan ob des sonstigen Angebots schon dankbar). "Incident At Neshabur" wechselt zwischen harten Gitarrenriffs und weicheren Swingpassagen, nach meinem Empfinden das interessanteste Stück der LP. "Se A Cabo" besticht durch seine Rhythmuswechsel und die Duelle zwischen Gitarre und Orgel einerseits und den Perkussionisten anderseits.
Die Westcoast-Herkunft ist bei "Mother's Daughter" unverkennbar, wenngleich auch wieder mit dem typischen Power-Drive abgespult. Selbst als Schmusenummer ist "Samba Pa Ti" nach 37 Jahren immer noch erträglich. Dafür mischt "Hope You're Feeling Better" wieder kräftig auf, diesmal kommt die rote Gibson SG über das Wah-Wah und auch der Gesang ist verzerrt. Der letzte Song des ursprünglichen Albums, "El Nicoya", ist ein seltsamer Singsang mit viel Perkussion und einer nur schwach im Hintergrund zu hörenden Gitarre. Das klingt recht archaisch und passt eigentlich nicht zum Rest der Platte. Deshalb hab ich mich immer beeilt, schon vorher die Kurve zu kriegen ... .
"Abraxas" wurde im Lauf der Zeit regelmäßig remastered und compilated, es gibt eine unüberschaubare Anzahl von Versionen auf verschiedenen Medien. Meiner Besprechung liegt eine CD-Sonder-Ausgabe zugrunde, die 2004 als 'The Vinyl Classics - Spiegel Edition' in einem Schuber mit sehr informativem Booklet (zeigt das Original-Cover) erschienen ist. Der Clou dabei war, dass, damals noch recht ungewöhnlich, die CDs dieser Serie im schwarzen LP-Look mit Rillen herausgegeben wurden. Der Klang ist astrein, da hat das Remastering wirklich viele Feinheiten und noch mehr Druck herausgekitzelt. Auch die Stereoabmischung wurde klarer getrennt, was nicht nur die Percussions wesentlich besser zur Geltung bringt.
Als Bonus kamen drei bislang unveröffentlichte Live-Tracks vom April 1970 aus der Royal Albert Hall dazu, die nicht nur soundmäßig etwas abfallen. Und hier gilt klar bei diesem Klassiker: Überflüssig und unnötig. Ich habe "Abraxas" vom ersten bis zum letzten Ton verinnerlicht, das ist so mein Album und für das Nachspiel wird was anderes aufgelegt ... .
Line-up:
Carlos Santana (guitar, vocals)
Michael Shrieve (drums)
José Chepitó Areas (percussion, conga, timbales)
Gregg Rolie (keyboard, vocals)
David Brown (bass)
Mike Carabello (percussion, conga)
Alberto Gianquinto (piano)
Rico Reyes (percussion)
Tracklist |
01:Singing Winds, Crying Beasts
02:Black Magic Woman/Gypsy Queen
03:Oye Como Va
04:Incident At Neshabur
05:Se A Cabo
06:Mother's Daughter
07:Samba Pa Ti
08:Hope You're Feeling Better
09:El Nicoya
10:Se A Cabo (Live)
11:Toussaint l'Overture (Live)
12:Black Magic Woman/Gypsy Queen
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