Trotz aufziehender Erkältung mit Halsschmerzen und Husten stellte ich meinen geplagten Körper in den Dienst der Sache und machte mich pflichtbewusst bei Dauerregen auf den Weg nach Krefeld. Schließlich ging es ja auch nicht um einfach nur irgendeine namenlose Combo, die ich mit wenig schlechtem Gewissen hätte sausen lassen können. Wir reden immerhin von fünf gestandenen Musikern aus einer der ganz oberen Riegen der Rockmusik, die sich derzeit auf der "Temple of Rock-Tour 2012" befinden. Michael hatte gerufen und sie waren gekommen: Doogie, Francis, Herman und Wayne, in alphabetischer Reihenfolge. Muss ich vorstellen? Ich glaube, es ist müßig, zu diesem Quintett noch ein weiteres Mal endlose Wer-mit-wem-Links zu setzen. Vielleicht ein paar, später…
Gerade aus dem Baltikum kommend, waren die Herren angetreten, eine satte Mischung aus MSG, UFO und Scorpions zu bringen. Dabei ist es fast überflüssig zu erwähnen, dass das neue Album natürlich ebenfalls ein wenig gepuscht werden sollte, schließlich heißt die Tour ja auch wie die Scheibe. Dem altersmäßig mehrheitlich gesetzteren Publikum war eine gewisse Vorfreude durchaus anzusehen und auch die Gespräche drehten sich wie üblich darum, wer welche Konstellation schon wie oft und wo live erlebt hat und wieso die eine besser war als andere. Das heutige Line-up bedeutete jedoch für wohl so gut wie alle Anwesenden ein Novum (ich bin jetzt mal so dreist, einfach zu behaupten, keiner der Gäste habe diese Kombi bisher erlebt), denn auch bei den beiden ersten Legs der Tour in Nordamerika und Japan gab es andere Zusammensetzungen, so zum Beispiel mit Michael Voss ( Mad Max, C.T.P., u. a.) oder Robin McAuley am Mikro. Aber vor das Aha-Erlebnis des heutigen Abends hatten die Götter zwei Dinge gestellt: Support Act und Umbaupause.
Ersteres war an diesem verregneten Abend das Trio Fury UK aus Manchester, das bereits für viele Größen eröffnen durfte und sich dabei für seinen Metal höchstes Lob eingefahren hat. Y&T und Iced Earth haben die drei Jungs sogar als die besten Anheizer überhaupt bezeichnet. Und auch vor dem Krefelder Publikum holten sie das Letzte aus Gitarre, Bass und Schlagzeug und ernteten mehr als nur artigen Applaus. Das Set war mit acht Songs überschaubar kurz und wechselte zwischen älterem und ganz neuem Material hin und her, unterbrochen von einem druckvollen und kurzweiligen Schlagzeugsolo. Unterm Strich gab es natürlich auch beim Rest mächtig viel Dampf auf der Bühne, von fortwährender Double Bass des wüst arbeitenden Drummers Martin McNee untermalten schnellen Läufen auf Chris Appletons Stromgitarre (der auch für die Vocals verantwortlich zeichnet) und dazu passendem unablässigen Gehämmer seines Bruders Luke am Bass (der demnächst zu Iced Earth wechseln wird). Neben der Tour mit Schenker & Co. werden sie auch einige Clubkonzerte im benachbarten Ausland geben, während die Headliner kurzzeitig mit anderen Gästen spielen.
Pause. Weder körperlicher Zustand noch die mittlerweile herrschende Platznot in der ersten Reihe ließen es zu, dass ich mir an der Bar Nachschub in flüssiger Form holen konnte. Stattdessen mussten ein paar Ibu 600 herhalten, um das gefühlte Gleichgewicht wieder einigermaßen herzustellen. Das Equipment der Briten war schnell von der Bühne geräumt und der notwendige Platz für die Headliner geschaffen. Somit stand einem planmäßigen Beginn nicht wirklich was im Wege, wenn, ja wenn der Gitarrentechniker nicht in letzter Minute noch mal einen kleinen Check hätte durchlaufen lassen und eine böse Rückkopplung entdeckt hätte. Und damit nahm das Drama seinen Lauf. Grundsätzlich ist das ja nicht weiter schlimm, so was passiert halt immer wieder mal und manchmal ist das Trouble Shooting auch nicht ganz trivial. In diesem speziellen Fall hatte ich natürlich so meine persönlichen Probleme auf der einen Seite, aber auch Teile des Publikums waren etwas angepisst wegen der fortwährenden 'Beschallung' mit leicht nerviger Mucke aus dem Hardcore-Bereich, oder was auch immer das war. Keine Rufe nach Abstellen oder entsprechende Pfiffe kamen dort an, wo sie hin'gehört' hätten. Mit locker einer dreiviertel Stunde Verspätung gingen dann endlich die Lichter aus und dröhnende Synthie-Klänge bedeuteten uns, dass es nun aber wirklich nicht mehr lange dauern würde.
Dann wurde es belebter auf der Bühne als mit den ersten Tönen zu "Into The Arena" die Herren Rarebell, Buchholz und Findlay ihre Instrumente unter Applaus in Gang setzten. Die Beifallsbekundungen steigerten sich mit dem Auftritt des Herrn und Meisters himself. Bunte Sportschuhe, Lederweste und die Kappe verkehrtrum auf, so kennen wir ihn. Bevor dann Doogie White zu "Armed And Ready" nach vorn rannte, hatte sich die Show einige Minuten im instrumentalen Bereich bewegt. Ab jetzt folgten gut zwei Stunden grandioser Unterhaltung auf ganz hohem Niveau. »It's gonna be dangerous here tonight - we have three live Scorpions on stage!« so eine der ersten Ansagen Whites. Er und die Band führten die Krefelder KuFa durch alle Jahre der Schaffensepochen Michael Schenkers, von der brandneuen "Temple Of Rock" und diverse MSG-Jahre, über seine Zeiten bei den Scorpions, mit denen er und auch Rarebell und Buchholz damals die "Loverdrive" (1979) einspielten, bis hin zu seinen UFO-Phasen.
Herausragend an diesem Abend waren natürlich immer wieder die solistischen Einlagen auf der schwarz-weißen Flying V oder anderen Exemplaren aus dem Hause Dean, mit denen Herr Schenker das Publikum stets zu fesseln wusste. Nicht, dass auch nur ansatzweise die Gefahr bestanden hätte, irgendjemand habe einzuschlafen gedroht! Lediglich meine mittlerweile bleiernen Beine wollten ab und an den Dienst versagen, aber das haben wir tapfer ignoriert. Die Band brachte den Spaß am gemeinschaftlichen Spielen so was von deutlich rüber, Wayne Findlay, Herman ze German und Francis Buchholz grienten sich einen ab, dazwischen wirbelte Doogie White herum und selbst bei Michael Schenker konnte man hin und wieder das eine oder andere Grinsen entdecken - oder war es mein Fieberwahn?
Ich vermag nicht zu sagen, welche kreative Phase von MS mir an diesem Abend am besten gefallen hat. Das ganz neue "Before The Devil Knows You're Dead" kam ebenso groß rüber wie "Another Piece Of Meat", das instrumentale "Coast To Coast" oder das spacige "On And On". Bei "Assault Attack" oder den UFO-Krachern "Lights Out", "Shoot Shoot" und "Rock Bottom" kochte der Saal noch ein wenig höher, aber diese Songs sind auch für ein extatisches Publikum gemacht. Zum Abschluss gab es einen Drilling aus dem balladesken "Holiday", das im Original von 1979 in den ersten drei Minuten vollkommen akustisch vorgetragen wird und im dann einsetzenden 'elektrischen' Zwischenteil richtig abgeht. Wir in Krefeld bekamen eine abgespeckte Elektrofassung der ersten Minuten serviert, die in einem erneut mitreißenden "Blackout" gipfelte, dem unter Rarebells Mitwirkung 1982 entstandenen Titeltrack der gleichnamigen Langrille mit dem allseits bekannten Helnwein-Cover. Mit einem fulminanten "Doctor Doctor" von UFO, denn das gehört zu jeder Show, wurden wir auf die immer noch regennassen Straßen gespuckt.
Was den zahlenden Gästen an diesem Abend blieb, war die Gewissheit, ein ganz großes Line-up für ganz kleines Geld gesehen haben zu dürfen. Keine dreißig Tacken für wahrlich immer noch die Oberliga der Unterhaltungskunst. Das ist vom Geldwert her betrachtet genauso wie seinerzeit, als ich die alten Scorpions in ähnlicher Besetzung live erlebt habe, vor gefühlten hundert Jahren. Mir bleibt an dieser Stelle nur, Ulrich Traub von der Krefelder Kulturfabrik vielmals für die Akkreditierung und den tollen Abend zu danken - und da spielt es dann auch keine Rolle mehr, dass mich drei polnische Sattelzüge in der Nachbarstraße so zugeparkt hatten, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes durch die Büsche fahren musste, um des Nachts mein Auto wieder auf den Asphalt zu bekommen…
Line-up:
Doogie White (vocals)
Michael Schenker (guitar)
Francis Buchholz (bass)
Wayne Findlay (keyboards, guitar)
Herman Rarebell (drums)
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Bilder vom Konzert
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