Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich den in Nazareth geborenen Palästinenser
Michel Sajrawy mit seinem Debüt-Album
Yathrib
unseren Lesern als vielversprechenden, großartigen neuen Fusion-Gitarristen vorgestellt und ihn mit diversen Genre-Größen verglichen. Noch 2007 hat er mit den Aufnahmen für den Nachfolger unter Beweis gestellt, dass er sich von den Vorbildern gelöst hat und sich anschickt, ihre mitunter schon recht ausgefahrenen Bahnen mit einem zukunftstauglichen Kunst-Belag zu versehen. Weshalb die Veröffentlichung auf dem deutschen Ozella-Label vom Mitproduzenten
Dagobert Böhm so lange gedauert hat, bleibt allerdings offen.
War "Yathrip" noch weitgehend beeinflusst von seiner Herkunft, kompositorisch und in den Arrangements, so ist "Writings On The Wall" frei von World Music-Tendenzen. Allerdings jongliert
Sajrawy gekonnt mit Stilen und Themen, bewegt sich dabei mit seiner Truppe leicht und unangestrengt durch die eigenen Kompositionen, elegant, swingend, treibend oder auch klassisch stringent, aber immer mit einem wunderbar melodiösen, perlenden 'Erzähl'-Ton. Und der kommt nicht mehr von der Fender Stratocaster, sondern von einer Gibson ES und ist entsprechend weicher geworden. Auch sonst hat sich einiges im Sound getan. Oud, Tabla und Geige sind verschwunden, dafür ist
Franck Dhersin an den Klaviertasten der neue kongeniale Partner im Melodie-Konzept.
Valeri Lipets hat ebenfalls den E-Bass mit dem akustischen Tieftöner vertauscht und bietet mit den beiden Drummern aufregende Rhythmusgeflechte.
Von der Dynamik und dem Gefühl für spannungsgeladene Szenarien erinnern manche Stücke an die frühe Musik von
Jan Garbarek, ohne dessen spätere oft elitäre Kühle. Denn auch das mediterrane Feuer glüht in
Sajrawys Spiel und da ist er dann einem
Chick Corea näher. Das Album steigert sich emotional bis zum bolerohaften "The Arch And The Branch" als grandioses Finale.
Michel Sajrawy stößt bereits mit seinem Zweitwerk in olympische Dimensionen vor, ein klasse jazziges Gitarrenalbum, jenseits jeglicher Frickelei oder übertriebener Selbstdarstellung. Der Grenzgänger, dessen Heimat in diesen Tagen erneut vom Grenzkrieg heimgesucht wurde, hat ein Album vorgelegt, das kein Menetekel ist. Ihm steht eine große Zukunft bevor. Zum perfekten Können auf dem Griffbrett verfügt er stilsicher auch über die oft vermisste Emotionalität seiner Kollegen, ohne eine Spur von Sentimentalität oder romantischer Verklärtheit. Wer auf ein zeitgemäßes richtungsweisendes Album von
Al Di Meola oder
Pat Metheny wartet - hier ist es!