Zum "Sturm aufs Paradies" setzen die Spielleute von Saltatio Mortis an und stürmen damit gleich mal die Media Control Charts (Platz 3 in der ersten Verkaufswoche). Diese paradiesischen Zustände kommen nicht von ungefähr, sondern von einem sehr rührigen Marketing. Nicht genug damit, dass ständig Newsletter mit neuen Video-Leckerlis eintrudeln, auch ein aktives Facebook-Marketing und eine Autogrammtour wecken die Vorfreude bei den Fans. Ein unüblicheres Publikum, jenseits der schwarzen Szene, wird ganz sicher angesprochen durch Aleas medienwirksame Hochzeit kurz vor Erscheinen des neuen Albums: "Wild Weddings" auf Pro7 berichtet an gleich drei Terminen über die mittelalterliche Hochzeit des Sängers und Multiinstrumentalisten.
Sind Saltatio Mortis damit nun dem kommerziellen "Sündenfall" verfallen?
Die gleichnamige Nummer wartet zwar mit einer durchaus eingängigen Melodie auf, durch treibende Gitarren, reichlich Dudelsackeinsatz und die etwas knarzige Stimme Aleas erheben sie sich aber über den Verdacht auf die Massenkompatibilität zu schielen. Wenn sie »verbotenen Früchten erlegen« sind, dann ganz sicher nicht auf Kosten ihrer musikalischen Linie.
Das Rockalbum "Sturm aufs Paradies" kommt wahrhaft stürmisch daher, voller Power und Elan. Fetzig, schwungvoll - die Gitarren sägen und das Schlagzeug rumpelt und wummert druckvoll. Als 'Metal-Alter-Rock' bezeichnen sie selbst ihre Mucke und treffen damit den Nagel auf den Kopf. Stand der Vorgänger Manufactum II noch ganz unter dem Stern der akustischen Marktmusik, hält hier die Neuzeit wieder rockigen Einzug und bringt eine geballte Ladung Pep mit. Natürlich dürfen die Dudelsäcke und Drehleiern, Schalmeien und Pipes nicht fehlen. Der Sound kommt echt fett und frisch rüber - geil gemacht!
Und die Texte? Wer hier nur mittelalterliche Themen erwartet, könnte die eine oder andere Überraschung erleben: "Gott würfelt nicht" beleuchtet beispielsweise eine sehr neuzeitliche Thematik:
»Götter in weiß verlängern das Leid
erhängt an Geräten
gefesselt von Kabeln
und ein Krankenhemd wird zum Totenkleid.«
So wie hier das Thema vom Üblichen abweicht, drückt es sich auch in der musikalischen Umsetzung aus - ein Piano-Intro und nur eine dezente Hintergrundinstrumentierung lassen bei dieser sehr nachdenklichen Nummer den Gesang und Text in den Vordergrund treten. Untypisch - aber gut gemacht!
Die Sterblichkeit zu überwinden ist allerdings auch ein klassisches Thema, das Saltatio Mortis im alten Gewand mit "Orpheus", eng an die gleichnamige griechische Sage angelehnt, noch einmal aufgreift. Orpheus erhält die Gelegenheit, seine Geliebte Eurydike mit seiner Musik aus dem Hades zu befreien - unter der Bedingung, dass er sich nicht umschauen darf. Als die Schritte seiner Liebsten ausbleiben wird er schwach, dreht sich um und Eurydike muss erfahren, »wie laut Stille klingen« kann.
Zum Glück müssen wir als Zuhörer das noch nicht erfahren, denn "Sturm aufs Paradies" wartet noch mit einigen weiteren Ohrenfreuden auf, bevor nach insgesamt gut 55 Minuten Spielzeit die Stille laut wird und nach der 'Play-Taste' ruft.
Die typischen Mittelalterfiguren "Eulenspiegel" und "Spielmann" finden ihren Platz und bringen eine leichte Heiterkeit mit sich. Während im erstgenannten Song den Autoritäten wahlweise der Spiegel vorgehalten oder der nackte Hintern gezeigt wird, wird in "Der letzte Spielmann" ein Rollentausch zwischen Gott und eben diesem letzten Spielmann als Gedankenspiel praktiziert.
»Schlägt dein Herz für Sünder,
trinkst du Wasser oder Wein?
Wärst du keusch oder verzaubert
von schönen Mägdelein?
Ich glaube ja, du würdest feiern,
ausgelassen, wild und frei,
du gäbst ein' Dreck auf die Gebote
und hättest Spaß dabei! «
Der Spaß, die Lebensfreude und das 'Über-die-Stränge-Schlagen' kommt dabei so ansteckend rüber, dass es schlichtweg unmöglich ist, dabei mies gelaunt und griesgrämig zu bleiben. Stattdessen wippen oder wirbeln die Füße und der Impuls wild zu hopsen wird immer stärker!
"Wieder unterwegs" lässt das Album ausklingen und wäre eigentlich dazu angetan, wieder 'runterzukommen' und in den neuzeitlichen Alltag zurückzukehren. Oder ein weiteres Mal ins 'Paradies' zu stürmen, denn beim erneuten Druck auf die 'Play-Taste' passt der Refrain von "Habgier und Tod" haargenau: »Gib mir mehr!«
Ja bitte!!!
Mit DER Musik sei den 'Spielleuten' jeder kommerzielle Erfolg gegönnt - aus tiefstem Herzen!
Line-up:
Alea der Bescheidene (Gesang, Dudelsack, Schalmei, Gitarre)
Bruder Frank (Bass, Chapman Stick, Electric Upright)
El Silbador (Dudelsack, Schalmeien, Uilleann Pipe, Whistles, Small-Pipe, Highland-Pipe)
Falk Irmenfried von Hasen-Mümmelstein (Dudelsack, Schalmei, Drehleier)
Herr Samoel (E-Gitarren, akustische Gitarren, Bouzouki)
Jean Mechant, genannt der Tambour (Percussion, Gesang)
Lasterbalk der Lästerliche (Schlagzeug, Davul)
Luzi das L. (Dudelsäcke, Schalmeien, Whistles)
Tracklist |
01:Habgier und Tod
02:Hochzeitstanz
03:Ode an die Feindschaft
04:Eulenspiegel
05:Sündenfall
06:Nachtigall und Rose
07:Gott würfelt nicht
08:Nach Jahr und Tag
09:Orpheus
10:Spiel mit dem Feuer
11:Fiat Lux
12:Der letzte Spielmann
13:Wieder unterwegs |
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