Kaum kündigen Savoy Brown auf ihrer Website ein neues Studio-Album an - das erste seit "Steel" aus dem Jahre 2007 - entdecke ich in dem Plattenladen meines Vertrauens, Mr. Music in Bonn, ein neues, mir unbekanntes Album der Band: "Train To Nowhere". Produziert im Jahr 2010, handelt es sich dennoch nicht um neues Material, sondern um Live-Aufnahmen, die die Band in 1997 und 1998 für den US-amerikanischen Radiosender WXXI Rochester New York State eingespielt hat, teilweise in Rochester, teilweise in Tampa, Florida. Dabei wurden auf dem vorliegenden 2-CD-Album die Aufnahmen nicht chronologisch, sondern so aneinander gereiht, dass zwei Scheiben mit ungefähr gleichen Laufzeiten entstanden.
Das Material ist also schon mehr als zwölf Jahre alt, nach meinen Erkenntnissen aber - soweit man bei den zahlreichen Issues, Re-Issues, Compilations etc. der Band überhaupt einen Überblick behalten kann - bislang nicht veröffentlicht worden. Dieser Umstand rechtfertigt es, sich vorliegend mit diesem alten Material näher zu beschäftigen.
Zwei CDs, auf denen insgesamt nur zwölf Tracks versammelt sind, ist das überhaupt o.k.? Schaut man sich die Laufzeiten der Scheiben an, muss man dies spontan - sowie erwartungsvoll - mit 'Ja' beantworten: rd. 120 Minuten Laufzeit insgesamt lassen angesichts der geringen Titelanzahl von einer durchschnittlichen Dauer pro Stück von zehn Minuten ausgehen; das ist genau nach meinem Geschmack! Keine Nummer unter fünf Minuten Spielzeit, sieht man einmal davon ab, dass in dem über zwölfminütigen "Savoy Brown Medley" fünf Songs verarbeitet sind - darunter auch der Klassiker Hellbound Train, der ansonsten von Savoy Brown live selten unter 10 Minuten gespielt wird.
Savoy Brown werden nach wie vor als britische Blues-Band bezeichnet, obwohl sie mehr als in ihrer Heimat in den USA Erfolge feiern konnte und sich daher dorthin orientiert hat (vgl. dazu näher den Beitrag des geschätzten Jürgen Bauerochse über einen Auftritt der Band im vergangenen Jahr in Deutschland). Seit 45 Jahren existent, hat sie seitdem unzählige Besetzungswechsel erlebt; von dem ursprünglichen Sextett war zum Zeitpunkt der vorliegenden Aufnahmen nur noch ein Terzett übrig geblieben, was jedoch die Leistungsfähigkeit der Band nicht grundsätzlich schmälert.
Und auch die Besetzung, die die vorliegenden Aufnahmen eingespielt hat, ist äußerst volatil. Neben dem Urgestein Kim Simmonds bediente seinerzeit Nathaniel Peterson den Bass. Als Schlagzeuger werden für das Konzert im August 1997 in Rochester Al Cash, sowie für den Auftritt im März 1998 in Tampa 'T' Xiques genannt; beide sind in der ansonsten sehr ausführlichen Liste der Bandmitglieder von Savoy Brown auf Wikipedia überhaupt nicht erwähnt, was den Schluss nahelegt, dass beide Drummer nie 'offizielle' Mitglieder von Savoy Brown waren, sondern lediglich für die anstehenden Auftritte verpflichtet wurden. Um es vorweg zu nehmen: dies hat den vorliegenden Aufnahmen nicht geschadet!
CD 1 enthält fast ausschließlich Eigenkompositionen von Savoy Brown, lediglich der tolle Slow-Blues "Bad Shape", dessen Herkunft als unbekannt angegeben wird, sowie "Wang Dang Doodle" von Willie Dixon sind 'Kuckuckseier'. Stilistisch wird alles präsentiert, was zum Genre gehört und passt: Boogie, klassischer Blues Rock, Slide Guitar bei "Mr. Browns Boogie", und - begleitet von jaulenden Gitarrenklängen - wird mit dem Slow-Blues "Stay While The Night Is Young" erstmals die 10-Minuten-Grenze überschritten, bevor das bereits angesprochene Medley in zwölf relativ gleichmäßig verteilten Minuten nochmals einen Querschnitt durch das Repertoire der Band bietet.
CD 2 wird eingeleitet von "Little Red Rooster". Eine unspektakuläre, weil ruhige und getragene Basslinie bietet Kim Simmonds den Boden für ausgiebige Improvisationen rund um das Thema dieses Willie Dixon-Klassikers, bevor am Ende noch das Wah Wah-Pedal ausgepackt wird und dem Ganzen noch mehr 'Blues' verleiht.
Das "Mississippi Steam Boat" eines unbekannten Komponisten wird zunächst durch einen 'dampfenden' Bass sowie entsprechende Drumschübe getrieben, bevor der Dampfer durch den intensiven Einsatz einer Harp stilistisch gut untermalt wird. Wer die allerdings hier - wie auch im vorigen Stück - bläst, wird nicht verraten. Die Tatsache, dass während ihres jeweiligen Einsatzes keine Gitarre zu vernehmen ist, lässt vermuten, dass Kim Simmonds himself sie spielt, doch ist er mir bislang nur als Gitarrist und Sänger bekannt. Chapeau!
Etwas rauer kommt "Lookin' In" daher. Aber auch hier massiver Einsatz des Wah Wah-Pedals: einfach gut!
Ausdrücklich als »psychedelischer Song«' wird der folgende "Louisiana Blues" angekündigt. Und in der Tat ist es schon arg schräg, was die Jungens da, basierend auf dem klassischen Muddy Waters-Song, so zusammenjammen. Man muss das oftmals unorganisch wirkende Aneinanderreihen der unterschiedlichsten Ton-, Klang- und Geräuschabfolgen schon wirklich mögen, um an den vorliegenden gut zwanzig Minuten wirklich seinen Spaß zu haben - und natürlich in der entsprechenden Stimmung sein. Dass zwischendrin noch ein bisschen "Sunshine Of Your Love" von Cream zitiert wird, stellt demgegenüber schon wieder eine kurze Rückkehr zur Harmonie dar. Positiv ist allerdings zu werten, dass Kim Simmonds seinen Begleitern ausgiebig Gelegenheit zur solistischen Präsentation einräumt, wobei die Tatsache, dass er den Schlagzeuger anschließend mit Vor- und Zunamen, den Bassisten jedoch nur beim Vornamen vorstellt, die eingangs geäußerte Vermutung bestärkt, dass es sich nur bei Letztgenanntem um ein 'vollwertiges' Savoy Brown-Mitglied gehandelt hat. In den letzten Minuten kehrt die Band wieder zum klassischen "Louisiana Blues" zurück; das stimmt dann wieder versöhnlich. Das Publikum war jedenfalls in der richtigen Stimmung und ist offensichtlich mit der Darbietung zufrieden, wie der folgende gut einminütige Applaus zeigt.
Der Schlusssong des Albums "Little Wheel" wird damit angekündigt, dass man das Publikum zum Singen bringen wolle. Doch es dauert ganze fünf Minuten, bis es soweit ist. Allerdings ist nach weniger als einer Minute leichten Wechselgesangs (»Hey, hey«) das Ganze - nicht aber der Song an sich - wieder vorbei. Sei's drum, das Publikum ist begeistert und geht bereitwillig mit.
Insgesamt betrachtet, sind auf "Train To Nowhere" zwei tolle Konzerte von Savoy Brown dokumentiert, die Appetit darauf machen, die Band unbedingt selbst einmal live zu erleben. Solange Kim Simmonds dabei sein wird, wird sich weder an ihrem Stil noch an der Qualität der Darbietungen etwas grundlegend ändern. Dass vorliegend der Klang manchmal etwas dumpf erscheint und ein wenig Transparenz vermissen lässt, kann man verschmerzen. Wir sind hier halt nicht in einem Violinen-Konzert, sondern erleben bodenständigen Blues in Live-Atmosphäre, da geht das schon insgesamt in Ordnung.
Savoy Brown Fans: Zugreifen!
Line-up:
Kim Simmonds (lead guitar, vocals)
Nathaniel Peterson (bass, vocals)
Al Cash (drums, CD 1 - #2-7; CD 2 - #1, 4, 5)
'T' Xiques (drums, CD 1 -#1; CD 2 -# 2, 3)
Tracklist |
CD 1:
01:Too Much Of A Good Thing (6:15)
02:Let It Rock (5:33)
03:Train To Nowhere (5:12)
04:Bad Shape (9:06)
05:Mr. Browns Boogie (8:46)
06:Stay While The Night Is Young (12:18)
07:Savoy Brown Medley: (12:16)
a:She's Got A Ring In His Nose And A Ring On Her Hand
b:Street Corner Talking
c:Hellbound Train
d:Wang Dang Doodle
e:Tell Mama
|
CD 2:
01:Little Red Rooster (13:06)
02:Mississippi Steam Boat (8:30)
03:Lookin' In (8:05)
04:Louisiana Blues (21:27)
05:Little Wheel (8:14)
|
|
Externe Links:
|