Seasick Steve alias Steve Wold ist ein Phänomen. Der heute 70-Jährige nahm erst 2004 im Rentneralter seine erste Platte auf, zusammen mit der schwedischen Begleitband Level Devils. Davor liegt eine Biografie, die ihn zu dem machte, was er heute so authentisch wie kaum ein anderer verkörpert: den Bluestramp von der Straße und der Schiene, der mit einer alten Gitarre und einer günstigen Gelegenheit zum Star wird.
Aus dem schwierigen Elternhaus reißt er mit 14 aus und hält sich als Hobo mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Des Öfteren sieht er auch den Knast von innen. Er lernt Gitarre spielen und kommt mit diversen Musikern in Mississippi und Tennessee in Kontakt. Nach einem Herzinfarkt lässt er sich in der Heimat seiner norwegischen Frau nieder und spielt dort den Blues. Zuvor hatte er in Aufnahmestudios in Seattle gearbeitet und selbst zwei Bands produziert.
Sein Durchbruch kommt, als er, entdeckt von John Paul Jones, Silvester 2006 in der englischen TV-Sendung "Hootenanny" von Jools Holland auftreten darf und riesige Resonanz erhält. Daraufhin wird er 2007 zu allen großen Festivals auf der Insel eingeladen und dort zum Liebling der Fans. Das Märchen vom singenden Landstreicher (der Geschichte von Michael Hirte nicht unähnlich) setzt sich in den CD-Verkäufen fort, sein erstes Solo-Album "Dog House Music" (2006) kann sich Anfang 2008 in den Charts etablieren. Ende des Jahres erscheint der Nachfolger "I Startet Out With Nothing …" und schafft es auf Anhieb in die UK-Top Ten. Den gleichen Erfolg hat er 2009 mit Man From Another Time und heuer mit "You Can't Teach An Old Dog New Tricks". Dazwischen veröffentlicht er die EP "Songs For Elisabeth", seiner Frau gewidmet, die es auch in die Charts schafft. Drei Alben sind bis heute vergoldet, eins platiniert, dazu kommen ein Mojo-Award und ausverkaufte Auftritte im ganzen Land. Sein Publikum vereint junge und alte Musik-Fans, die durch ihn den Blues neu oder wieder entdeckt haben.
Aber was ist es, das die Leute so anspricht? Seasick Steve scheint tatsächlich aus der Zeit gefallen zu sein, er singt den Blues puristisch wie vor 70, 80 Jahren, down in Mississippi, aber genauso mit den Stilmitteln von heute. Ein einfacher, 'echter' Typ, dem man seine Songs ebenso abnimmt, wie einem Pete Seeger, Leadbelly
oder einem John Lee Hooker. Die Engländer sind Bluesfans und begeistert von seiner ungekünstelten, direkten und sehr intensiven Art Musik zu machen, egal ob er allein oder mit Kollegen auftritt. Seine Stimme ist variabel und sein Vortrag hat Charisma, er ist ein guter Storyteller und dazu rockt die billige rote Gitarre, die er oft mit dem Bottleneck zum Glühen bringt.
In Deutschland ist Seasick Steve noch relativ unbekannt, obwohl ihn die Bluesfans hierzulande natürlich auch längst entdeckt haben. Erst kürzlich war er in einigen Clubs bei uns zu Gast. Wir haben also bereits Witterung aufgenommen und bleiben dran!
Mit dem Sampler "Walking Man: The Very Best Of Seasick Steve" besteht nun die zweitbeste Gelegenheit, den bärtigen Roadman kennen zu lernen. 21 Songs aus seinen fünf Alben zeichnen die bisherige Karriere nach. Die ersten Stücke hat er noch zuhause aufgenommen, 'billig' zwar von den Herstellungskosten und im Klang, jedoch voller Emotion und Energie. Es beginnt mit dem "Dog House Boogie" und "Cheap", die beide genauso aus einem uralten Bluesalbum stammen könnten, inhalts- wie auch soundmäßig. Kaum zu glauben, dass das Soul Sister-verstärkte "Started Out With Nothin'" vom gleichen Künstler stammt, der mit breitem Südstaaten-Slang zwischen den Songs spricht. Könnte genauso von John Mooney sein, "Thunderbird", "You Can't Teach An Old Dog New Tricks" oder "Never Go West" stünde den North Mississippi Allstars bestens.
Dass er auf seinen Wanderungen aber auch Musikern mit anderer Herkunft begegnet ist und deren Songs ebenso verinnerlicht hat, hört man auf dem keltisch inspirierten "Treasures", dem lakonischen "Banjo Song" oder dem archaischen, an Ureinwohner-Chants erinnernden "Dark". Als gefühlvoller, akustischer Folk Blues kommt "Walkin' Man" daher, schwungvoll-locker "Prospect Lane" im Stil von Keb' Mo'.
Seasick Steve hat den Blues und Blues Rock nicht nur intus, sondern schöpft auch aus dem Vollen der Zwölftakter-Historie von der Frühzeit bis heute. Das Ganze wird mit viel Energie und Frische vorgetragen, er entstaubt mal locker nebenbei den ganzen alten Kram. Der Mann ist eine lebende Blues-Juke-Box, aber soll der wirklich schon 70 sein?! - Unbelievable …
Ob es wirklich "The Very Best Of " von Seasick Steve in dessen relativ kurzer Karriere ist, kann ich nicht beurteilen. An der Zusammenstellung gibt es höchstens an den Lautstärken-Sprüngen zwischen den einzelnen Songs etwas zu bemängeln, das hätte sich besser machen lassen können. Aber und gerade deshalb: Die Gefahr für den Erwerber dieses Samplers ist, dass er umgehend die Original-Alben nachkauft, was ich als verantwortungsbewusster Redakteur nicht warnend zu erwähnen vergessen haben möchte!
Neben der mir vorliegenden 'Normalausgabe' gibt es noch eine 'Deluxe' mit DVD, die laut PR-Mitteilung einen Konzertmitschnitt und eine Dokumentation über Seasick Steves Leben mit Besuchen in der alten Heimat enthält.
Tracklist |
01:Dog House Boogie
02:Cheap
03:I Started Out With Nothin'
04:Diddley Bo
05:Thunderbird
06:Happy Man
07:Cut My Wings
08:Treasures
09:St Louis Slim
10:8-Ball
11:Don't Know Why She Loves Me But She Do
12:Walkin' Man
13:You Can't Teach An Old Dog New Tricks
14:Fallen Off A Rock
15:The Banjo Song
16:Never Go West
17:My Donny
18:Prospect Lane
19:Xmas Prison Blues
20:That's All
21:Dark
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