Sieges Even / Playgrounds
Playgrounds Spielzeit: 69:51
Medium: CD
Label: SPV/InsideOut, 2008
Stil: Prog Metal

Review vom 08.08.2008


Boris Theobald
2004 sind Sieges Even nicht nur wieder zum Leben erwacht - mit dem vorzüglichen niederländischen Sänger Arno Menses und der Rückkehr von Gitarrist Markus Steffen ist auch so etwas wie Konstanz eingekehrt. Nur konsequent, dass nach zwei Alben in dieser Konstellation mit "Playgrounds" nach insgesamt sieben Studiowerken auch der erste Live-Output Plattenladenluft schnuppert. Da sich die jüngsten Scheiben seit der Band-Reunion stilistisch vom betagteren Band-Material teils stark unterscheiden, verwundert es nicht, dass gleich acht von zehn Stücken von den allerjüngsten Alben stammen, die in der live agierenden Vierer-Konstellation auch entstanden sind, mitgeschnitten auf der Paramount-Tour Ende 2007.
Mit "Playgrounds" untermauern Sieges Even ihren Ruf als Ausnahmemusiker. Ob viereinhalb ("Tidal") oder elf Minuten lang ("The Weight") - alle der frischen Stücke sind gehobene technische Prog-Feinkost, je nach Länge mehr oder weniger vertrackt. Sieges Even spielen in einer Liga, wo nur die allerwenigsten mithalten können. Diffizile Rhythmus- und Tempowechsel und virtuose Parallelläufe schütteln sie auch live ultralässig so unverschämt präzise aus dem Ärmel, dass der geneigte Hobbymusiker eigentlich nur noch die Waffen strecken kann und sich glückserfüllt in Ehrerbietung üben muss. Mit ihren Engagements für Blind Guardian (Oliver) und Rhapsody (Alex) müssen die Holzwarth-Brüder chronisch unterfordert gewesen sein...
Als ob es mit der spielerischen Klasse nicht schon genug wäre, sind Sieges Even ja auch noch Weltklasse-Songschreiber, deren Stücken selbst die vertracktesten Strukturen nicht die Kohäsion rauben können. Unweigerlich kommen mir immer wieder Rush und Fates Warning in den Sinn. An Rush erinnern - obwohl Sieges Even härter und Metal-lastiger zu Werke gehen - nicht nur die brummeligen Basslines von Oliver Holzwarth, sondern vor allem die bewundernswerte Gitarenarbeit eines Markus Steffen, der in sagenhaftem Tempo die Sounds wechselt und eine übermenschliche klangliche Präsenz darstellt. An der ein oder anderen Stelle hilft der Bass mit verzerrten Tiefton-Riffs aus, wenn einfach mal punktuell eine zweite Gitarre nötig wäre. Eine solche Fertigkeit kenne ich sonst nur von einem gewissen Alex Lifeson.
Im Gegensatz zu Rush gibt es bei Sieges Even allerdings nun mal gar kein Keyboard, das die Melodiearbeit übernehmen oder Klangteppiche kreieren könnte. Nur ein paar Mal, ganz vereinzelt, kommen Effekte und Samples vom Band, beispielsweise das Intro von "When Alpha And Omega Collide" oder der Countdown zu Beginn von "Paramount". Um so beeindruckender, wie diese Band auch live ihre packenden Atmosphären erzeugt. Ein Ohrenschmaus für jeden Fates Warning-Fan sind das schwermetallisch-melancholische "Paramount" mit seinen filigranen Wechseln aus düsteren Endzeit-Riffs und aufwändigen Clean-Gitarren-Arpeggien und die emotionale Achterbahnfahrt des meisterlichen "Unbreakable".
Zig Lieblingsstellen habe ich in diesen Longtracks. Und jedes Mal erfüllen Sieges Even auch live meine Erwartungen. Dem saustarken Sänger Arno Menses kann ich es verdanken, dass der Gänsehautfaktor in den Live-Versionen an der ein oder anderen Stelle noch ein Stück größer ist als auf den Studioalben. Extrem gefühlvoll und mit optimaler Kraftanstrengung kann Menses in allen Tonlagen ohne hörbare Anstrengung überzeugen. Besonders schön: Wo es im Studio mehrstimmig wurde, variiert Menses live und singt höher - hier geht aber auch gar nichts gegenüber den Studioarrangements verloren!
Gerade Menses' Stimme macht auch die beiden älteren Songs vom "A Sense Of Change"-Album zu Hinhörern, damals mit Jogi Kaiser am Gesang aufgenommen. Dass man nur auf Klassiker-Material vom 1991er Album zurückgegriffen hat, ist kein Zufall, war es doch vor den beiden Scheiben des neuen Jahrtausends seinerzeit das vorerst letzte mit Markus Steffen an der Gitarre. Bei "These Empty Places" - mehr ein Kunstwerk denn ein Song und das krasse Gegenteil von 'eingängig' - zeigt er ganz im Spaß nochmal, wo seine Einflüsse liegen und spielt mittendrin plötzlich Rushs "Red Barchetta" an.
Nun könnte man weiteren, noch älteren Klassiker-Stoff der Steffen-Zeit vermissen. Ich persönlich tue das nicht, weil die anderen Alben sich stilistisch doch stark von den berücksichtigten unterscheiden. So ist "Steps" selbst für hart erprobte Proggies extrem schwer verdaulich. Und das Debüt "Lifecycle" war avantgardistischer Hardcore-Prog à la Watchtower.
Eine Höchstwertung für "Playgrounds" verbauen sich Sieges Even leider durch den seltsamen Umgang mit der Publikums-Atmo. Jubelnde Zuschauer werden praktisch nach Belieben ein- oder ausgeblendet - eine seit Jahrzehnten immer wieder auf Livescheiben betriebene Praktik, die, wenn nicht perfekt angewandt, schnell nerven kann (siehe auch Rushs "Exit...Stage Left"). So ist es leider auch hier, wenn bei epischen Breaks immer wieder Ruhe im Karton ist. Das gibt's zwar beim disziplinierten und fachkundigen Prog-Publikum tatsächlich, aber nicht derart durchgängig - da wird auch mal gejubelt und geklatscht. So klingt's manchmal etwas steril, aber trotzdem 'live' dank des recht rohen Gitarrensounds, der jeglicher Verwechslungsgefahr mit den Studioalben vorbeugt.
Line-up:
Arno Menses (vocals)
Markus Steffen (guitar)
Oliver Holzwarth (bass)
Alex Holzwarth (drums)
Tracklist
01:When Alpha And Omega Collide
02:Tidal
03:Unbreakable
04:The Waking Hours
05:Iconic
06:These Empty Places
07:Duende
08:Paramount
09:The Lonely Views Of Condors
10:The Weight
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