Ich wundere mich immer wieder, wie verschlungen mittlerweile die Veröffentlichungswege physischer Tonträger sind. Speziell für Musik, die der Allgemeinheit durch komplette Ignoranz der (kommerziellen) Medienlandschaft vorenthalten wird.
Wir werden mit Veröffentlichungen zugeschmissen, aber kaum jemand nimmt es zur Kenntnis. Aber vielleicht stimmt diese These auch gar nicht, denn über das Medium Internet stehen prinzipiell alle Informationen zur Verfügung, sofern ich es mir denn (finanziell) leisten kann.
Der musikalische Ottonormalverbraucher wird so oder so abgehängt, denn dieser surft nicht stundenlang auf einschlägigen Seiten wie MySpace oder YouTube, hangelt sich von einem Mailorderanbieter zum Nächsten oder blättert gar in den zahllosen Online-Musikmagazinen, sondern wird vom musikalisch 'gleichgeschalteten' Rundfunk- und TV-Angebot komplett verblödet, ohne wirklich etwas dafür zu können.
Und so fristet (natürlich) auch das mir jetzt vorliegende Produkt in Form eines hübsch verpackten Silberscheibchens (Digi-Pack) ein gnadenloses Nischendasein.
Es wird von der 'weltbekannten' Firma Transubstans Records auf den Markt gebracht und vom Internet-Mailorder Record Heaven vertrieben.
Transubstans sitzt im schwedischen Malmö und der Silberling ist fast folgerichtig in Stockholm aufgenommen worden. Aber nicht in den Polar-Studios, schließlich erwartet uns auch kein fröhlicher Abba-Pop, sondern im Real Music Studio, Nomen est omen völlig Pop-frei, stattdessen darf eine Schublade aufgemacht werden, deren Existenz bis dato an mir vorbeigegangen war - Vintage-Rock!
Liebe Leute, da steige ich nicht mehr durch. Was den Vintage-Rock vom sogenannten Retro-Rock unterscheiden soll, wissen die musikjournalistischen Griffelschwinger exklusiv. Ich konstatiere dagegen in aller Einfachheit, dass bei Siena Roots neuestem Output einmal mehr die rockmusikalische Glanzzeit von vor 40 Jahren - x heraufbeschworen wird, und zwar mit allen Konsequenzen.
Als Konsequenz Nr. 1 wird die Band garantiert keinerlei Innovationslorbeeren ernten können und der Rezensent begibt sich vermutlich schnurstracks in das Lager der Ewiggestrigen. Hier klingt alles nach XYZ, ist längst dagewesen und millionenfach durchgekaut. Also ein typischer Fall für die Arschbombe des Monats für den deutschen Rolling Stone. Pech nur, dass sich diese Kategorie das Rock Hard-Magazin bereits gesichert hat. Dort sitzen auch einige Ewiggestrige. Ob sie von dieser Scheibe Kenntnis haben, weiß ich nicht, sollten sie aber!
Denn Siena Root scheinen sehr genau um die Problematik zu wissen, die sich allen Bands mit ausgeprägtem Vergangenheitshabitus in den Weg stellt - die gesichtslose Beliebigkeitsfalle.
Diese Hürde überspringen die Schweden mit einer sensationellen Gelassenheit, denn ihr neuestes Werk, mit Tonnen von Patina auf dem Buckel, ist von vorne bis hinten völlig unverkrampft und zeichnet sich durch einen hohen Unverwechselbarkeitsfaktor aus, was für eine reine Retro-Kapelle im Grunde ein Widerspruch in sich ist.
Aber Siena Root sind ob ihrer musikalischen Klasse in der Lage, einen famosen, leichtfüßigen, rifflastigen, mitreißenden, kompromisslosen Zeitreisen-Sound ohne jede pseudomodernistische Punkfärbung zu kreieren, der im Verbund mit hervorragenden Songgebilden und einem hohen Wiedererkennungswert einen überraschend großen Eigenständigkeitscharakter aufweist!
Somit kommt bei "Far From The Sun" als zweite Konsequenz nicht weniger als ein Meisterwerk heraus, musikalisch irgendwo in einem Spektrum von (Hard)Rock, Blues Rock, Psychedelic Rock, Progressiv Rock und Jam Rock verortet, und innerhalb dieses Kontextes ein Meilenstein.
Spötter würden nun wieder sagen, das Teil kommt ziemlich genau 38 Jahre zu spät, ich sage, besser spät als nie!
Es ist übrigens völlig müßig, hier genau sezieren zu wollen, wo welches Riff, welche Akkordfolge, welches Orgelmotiv, welche Hookline, welche Melodieführung oder welche Klangfarbe geklaut ist, ob der Sänger nun tatsächlich wie eine Kreuzung aus Ian Gillan, David Coverdale und Glenn Hughes klingt und ob die punktuelle Integration von Flötentönen bloße Anbiederung an den Sound von Jethro Tull darstellt, um vordergründig das Klangspektrum erweitern zu können.
Wer auf einem einzigen Album gleich 2 ½ Songs für die Ewigkeit präsentieren kann, braucht sich für nichts mehr zu verteidigen, auch nicht für Ideenklau!
"Long Way From Home" mit geradezu sentimental, melancholisch klagenden Orgeltönen und einer immensen, ja fast schmerzenden Intensität, "The Summer Is Old" als Quintessenz der Premium-Marke Siena Root und mit kleinen Abstrichen, "Almost There" als treibender (Riff)Rocker, der zwischendurch zum intensiven Blueser wird, sind absolute All-Time-Klassiker, im Grunde die Krönung des bisherigen Schaffens des Schweden-Vierers.
Und tatsächlich, die Gastbeteiligung des Flötisten Erik Lundin bei den beiden erstgenannten Songs ist mitnichten eine kalkulierte Anbiederung, sondern in seiner organischen Selbstverständlichkeit des Einfließens in den Gesamtsound ein absoluter Gewinn, der diese Epen, die nicht zufällig die längsten Spielzeiten aufweisen, erst richtig veredelt. Das ist Musik, um sich darin zu verlieren. Musik zum Träumen, um dann plötzlich die Matte wehen zu lassen. Tempiwechsel, Breaks, instrumentale Spotlights, der souveräne, leidenschaftliche Gesang, alles Puzzleteile, die im Gesamtergebnis große Kunst hervorbringen.
Daran ist nicht ganz unerheblich Sartez Faraj beteiligt. Auf dem dritten Album von Siena Root bereits der dritte Mikrofonartist, wobei Kaleidoscope freilich von der durchaus weiblichen Sanya geprägt war.
Mit dieser Personalentscheidung scheint sich für die Band ein Kreis erfolgreich zu schließen, der bereits Ende der 90er seinen Anfang nahm, als Sartez in einer frühen Inkarnation von Siena Root schon einmal Mitglied war. Danach agierte er mit einer Combo namens Mouth Of Clay und lieferte unter anderem 2004 das fantastische Album "Still Open" ab, ein Freudenfest für alle Freunde des orgellastigen (Hard)Rock('n'Rolls) klassischer Prägung.
Große Kunst will aber auch auf den vermeintlichen Seiten- oder Nebenschauplätzen glänzen können und so kommen wir zur dritten Konsequenz, welche Siena Root vorbildlich durchgezogen hat - den absolut passenden Sound der Produktion, der seinen Vorgängern in nichts nachsteht. Warm, transparent, druckvoll, durchhörbar, homogen, ausgewogen, differenziert, lebendig - kurz, selbst der schnöde Silberling lässt einen seufzend an glorreiche Zeiten denken, als Musik noch nicht durch den Einheitssoundkomprimierer gejagt wurde, um Höchstpegel für Mäuse-Hifi zu erreichen.
Fazit:
Siena Root sind und bleiben eine Oase der organisch gewachsenen, mithin inzwischen tradierten Rockmusik, schummeln nichts hinzu, wissen aber die herkömmlichen Einzelteile in höchstmöglicher Qualität zusammenzusetzen und mit frischem Wind zu versorgen, auch wenn KG West weder zum zweiten Jimmy Page, noch zum doppelten Lord mutieren kann, aus Love H Forsberg kein zweiter Keith Moon, aus Sam Riffer kein zweiter Jack Bruce wird und Sartez Faraj nicht wirklich wie Ian Gillan, David Coverdale oder Glenn Hughes klingt, zumindest bei seiner neuen Band (bei Mouth Of Clay sah das schon anders aus!).
Das Gesamtergebnis ist letztlich mehr wert als die qualitative Summe seiner Einzelteile und führt nach einer schon beängstigend hohen Uhrenwertung für den Vorgänger "Kaleidoscope" bei "Far From The Sun" zur Höchstpunktzahl von 10 RockTimes-Uhren!
Danke Jungs für diese akustische Wohltat des Jahres 2008!!!
Line-up:
Sartez Faraj (vocals, guitar)
KG West (guitar, organ, sitar, Rhodes, mellotron)
Sam Riffer (bass, percussion, vocals, double bass)
Love H Forsberg (drums, percussion)
Guests:
Erik Lundin (flute)
Christer 'Lappen' Karlsson (harmonica)
Per Ängkvist (2" tape recorder)
Tracklist |
01:Dreams Of Tomorrow
02:Waiting For The Sun
03:Time Will Tell
04:Almost There
05:Two Steps Backwards
06:Wishing For More
07:The Summer Is Old
08:The Break Of Dawn
09:Long Way From Home
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Externe Links:
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