Einer der schönsten Momente im Leben eines Musikfreundes ist doch, wenn er erwartungsfroh vor lauter positiver Überraschung vollkommen aus den Socken gehauen wird, die er ob der warmen Witterung noch nicht einmal an hat.
So geschehen am 16.07.2005 auf dem 'Burg Herzberg Festival', ca. 17.15 Uhr am helllichten Nachmittag.
Da betritt zunächst ein blasser, langmähniger Schlacks mit müden Augen die Bühne, erinnert in seiner ganzen Erscheinung an einen im Jahre 1970 irgendwo vergessenen Gitarrenroadie, der per Zeitreisemaschine plötzlich im Jahre 2005 gelandet ist, ohne sich dessen bewusst zu sein, und begibt sich mit einem Ungetüm von Saiteninstrument an den rechten vorderen Bühnenrand, hockt sich mit verknoteten Beinen und natürlich barfuss auf einen Schemel und beginnt andächtig zu zupfen.
Very strange, der Bruder im Geiste von George Harrison ist erschienen, denn dieses Ungetüm ist natürlich nichts anderes als eine Sitar, ein nordindisches Instrument, welches eine Weiterentwicklung der sogenannten 'Rudra-Veena' darstellt. Die Sitar ist heute das gebräuchlichste fernöstliche Instrument, sie hat 18 Bünde, sieben Spielsaiten und bis zu 20 kleinere Resonanzsaiten und dürfte den meisten durch Ravi Shankar ein Begriff sein, der schon besagten Georg Harrison in die Welt des bis dato in der westlichen Kultur vollkommen unbekannten Instruments einweihte. Harrison wiederum nahm diese Eindrücke mit nach Hause und bereicherte fortan den Sound der Beatles durch seine neuerworbenen Künste.
Und nun zupft ein gewisser KG West scheinbar gedankenverloren die Saiten dieses in unseren kulturellen Breiten immer noch exotischen Instruments, minutenlang ganz allein auf der Bühne und es darf wirklich der Mut bewundert werden, mit so einer Einlage einen Gig zu beginnen.
Erst später gesellen sich mit Sam Riffer (what a name!) und Love H. Forsberg (wirklich originelle Namen) die Bandkollegen dazu und intonieren schließlich das großartige Songmonstrum "Rasayana", indem Sam Riffer tatsächlich einen riffenden Groovebass anschmeißt und Love H. Forsberg einen knackigen Beat dazu trommelt. Dabei wird die fernöstliche Atmosphäre geradezu hinweggefegt, den KG West wechselt nun zur Rory Gallgher -Gedächtnisstrat und rifft mit Herrn Riffer um die Wette, als gelte es demonstrativ zu beweisen, dass nicht nur die Optik des Jahres 1970 ins Heute rübergebeamt ist, nein, auch gleich die passende Musik dazu.
Immerhin bestechen die beiden hinzugekommenen Bandkollegen ebenfalls mit einem absolut authentischen 1970-Rockstar-Lookalike und in der Musik lassen sich schon jetzt die verschiedensten Motive der damaligen zeitgenössischen Rockmusik erkennen, von den späten Beatles, über ganz viel Cream bis hin zu den frühen Uriah Heep und Deep Purple der MKII-Besetzung.
Letzteres geht erst so richtig los, als im zweiten Song, wiederum ein ellenlanges Instrumental(!), von Herrn West die Tasten angeschmissen werden. Dieses geschieht an einem ziemlich kleinen 'Wunderkasten', aus dem er synthetische Töne hervorzaubert, die irgendwo zwischen Moog und Hammond B3 liegen, und wiederum zunächst Fragezeichen auf den Stirnen des Publikums entstehen lassen.
Abermals wird nach einiger Zeit eine gewaltige Groovemaschine angeschmissen und es dauert nicht lange, bis auch die ersten Matten vor der Bühne wehen.
Was für ein herrlicher Anachronismus in heutigen, ach so modernen und fortschrittlichen Zeiten. Frühsiebziger Hardrock geht eine Synthese mit dessen Vorläufern ein, nämlich dem furiosen Improvisationsbluesrock von Cream und der Jimi Hendrix Experience.
Siena Root werden dafür gerne mit dem Etikett Stoner Rock klassifiziert.
Völliger Unsinn!
Was soll das sein?
Hier passiert nichts anderes, als die hochspannende, energetische, groovende, mitreißende und kompetent gespielte Verwurstung verschiedenster Endsechziger/Anfangsiebziger Rockmusik-Roots (irgendwoher muss der Gruppenname ja kommen, er ist schlicht Programm!) zu einem irgendwie doch speziellen Gebräu, denn erstens kommen die drei aus Schweden, genauer Stockholm, und skandinavische Retrorock-Bands haben einfach eine gewisse, wenn auch undefinierbare, Eigenständigkeit in ihrem Sound, und zweitens kommt bei der ersten Gesangsnummer Gastsängerin Sanya zum Zuge, die für den etatmäßigen Sänger und Tastenmann Oskar Lundström am Start ist und mit einer glänzenden Vokalperformance zu überzeugen weiß. Mit klarer und doch leicht angerauter Stimme würzt sie den teils dickflüssigen, schweren Sound der drei jungen Herren und lässt so das Ganze nicht wie einen bloßen Abklatsch irgendwelcher Vorbilder erscheinen, sondern zaubert das gewisse Etwas in das Schwedengebräu.
Zusammen mit ihrer sehr attraktiven, wenn auch durchaus nicht schwedisch anmutenden Optik ist sie das Salz in der wohlschmeckenden Suppe und die drei Jungs bemühen sich redlich, ihr jeweils zu imponieren.
Bassist Sam Riffer groovt wirklich ultralässig und ohne die Miene zu verziehen durchgehend wie Hölle, da kann nur Jack Bruce das große Vorbild sein, während Schlagwerker Love einen fantastisch transparenten, furztrockenen, rhythmischen und gleichzeitig dynamischen Sound an seinen Fellen und Becken produziert.
Und er hat mit einem virtuosen und gleichzeitig spektakulären Drumsolo, selbiges nämlich mit brennenden(!) Sticks gespielt, seinen ganz großen Auftritt.
Schließlich fällt Gitarrist und Ersatztastenmann KG West mit einer leicht verschmitzten, verträumten und, sorry, verschlafenen Ausstrahlung auf, die er aber mit feurigen, punktgenauen Licks und heftigsten Riffkaskaden ohne jede große Geste zu konterkarieren weiß. Das irritiert und die Aufmerksamkeit ist ihm sicher, wenn er auch freilich nicht an sein vermutliches Vorbild, dem Eric Clapton der Cream-Zeit, heranreichen kann.
Musikalisch wird es durchaus nicht einseitig oder langweilig, denn neben bekannt vorkommenden Hardrockmustern haben die Vier mit "Fever" auch einen dramatisch anmutenden Slow-Blues im Programm, während beispielsweise "Trippin'" mit perkussiv vorangetriebener Rhythmik besticht.
Natürlich dürfen Wah-Wah - Eskapaden nicht fehlen und auch der berühmte Geigenbogen findet seinen Einsatz, diesmal aber als überraschende Variante
von Sam Riffer an seinem Bass in Szene gesetzt.
Es ist wirklich beeindruckend, wie irgendwann beim Konzert dieser 4 jungen Leute das Gerüst bekannter Songstrukturen einfach zu einem wabernden Dauergroove zerfließt, der die Leute im Publikum, sofern sie sich darauf einlassen können oder wollen, geradezu in einen Rausch versetzt, ganz ohne Substanzen, einfach nur der Fluss der Musik, sonst nichts, und es wird abgerockt bis zum Abwinken.
Und am Ende findet die Band in bewundernswerter Weise immer wieder zurück zu Songstrukturen, die einem Halt und Orientierung geben.
Siena Root haben bisher ein offizielles Album veröffentlicht ("A New Day Dawning", Nasconi Records, 2004), wo verschiedenste Kritiker bei aller Klasse der eingespielten Musik einwenden, dass sich diese Band lediglich im großen Materialkasten der rockmusikalischen Historie bedient, ohne dabei eine gewisse Eigenständigkeit und Originalität zu entwickeln, geschweige denn eine Weiterentwicklung der Rockmusik zu betreiben.
Ich möchte dem eigentlich nur entgegnen, liebe Leute, schaut euch diese Combo bitte erst mal live an und bildet dann euer Urteil.
Meins steht fest:
Highly Recommended!
Bilder vom Konzert
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